Recklinghausen. .
„Manches Mal haben wir sicher Schlimmeres verhindert“, überlegt Paul Müller vielsagend. Der 68-Jährige ist Schiedsmann in Recklinghausen-Süd. Schiedsleute arbeiten ehrenamtlich, werden vom Stadtrat gewählt, müssen mindestens viermal im Jahr zu einer Schulung oder Fortbildung und erstellen im negativen Fall eine Erfolglosigkeitsbescheinigung, mit welcher der Bürger erst zum Amtsgericht kann. Aber oft können schon die Streitschlichter ihres Amtes walten und beide Parteien unterzeichnen einen Vergleich. „Der ist dann rechtlich bindend – genau wie ein Gerichtsurteil“, erklärt Müller.
„An meinen ersten Fall werde ich mich bis zum Lebensende erinnern“, sagt er noch heute. 1981 hatte sich eine Über-80-Jährige bei ihm gemeldet, weil ihre Bekannte einen silbernen Löffel gestohlen haben sollte. „Die bestritt das vehement, aber ich appellierte an ihr Gewissen, ob sie wegen eines silbernen Löffels wirklich eine über 40-jährige Freundschaft aufs Spiel setzen wolle und fragte, ob sie das Besteck nicht vielleicht aus Versehen mitgenommen haben könnte“, so Müller. Von wegen, platzte es aus der Seniorin heraus: Nein, absichtlich habe sie den Löffel eingesteckt, „die hat immer mehr gehabt als ich, und sie braucht das ganze Zeug nicht mehr.“ Darauf hätten sich die zwei Damen umarmt und alles sei gut gewesen.
So ein Erfolg motiviere. Die Arbeit werde anerkannt, „vor wenigen Jahren bekam ich das Bundesverdienstkreuz“. Um Baumschnitt oder Schmerzensgeld gehe es meist, „wenn etwa die Hecke über die Grundstücksgrenze ragt und der eine mit der Hacke einen übergezogen bekommt“, sagt Rolf Salomon, Schiedsmann für Grullbad. „Einer hat dem Nachbarn auch mal mit dem Hammer einen Finger gebrochen, als der ihn fragte, ob er so laut und lang mit der Flex arbeiten müsse“, erklärt Salomon, dass es nicht immer nur um Nickligkeiten geht. „Es gibt sogar Stammkunden“, ergänzt Müller.
Manchmal gebe es drei oder vier Verhandlungen am Tag, dann wochenlang keine. Fünf Stunden brauche es pro Fall – mindestens. Im Winter passiere deutlich weniger. „Zum Krach kommt es im Frühjahr, wenn die Menschen wieder raus und in den Garten gehen.“
„Sogar Kinderlärm wurde schon beanstandet“, wundert sich Müller. „Aber Kinder dürfen Krach machen, da können Nachbarn gar nix machen.“ Wenn einer aber seine Box laut aufdrehe, „lasse ich mir das auch mal vorspielen und schaue in der Nebenwohnung, ob wirklich die Teller im Schrank wackeln.“ Lärm empfinde ja jeder anders. Immer mehr Bürger kämen aber gleich mit anwaltlicher Hilfe. Wenn einer auf Krawall gebürstet ist, haben auch die Streitschlichter keine Chance. „Ich habe da ein Gespür und merke nach zehn Minuten, ob eine Einigkeit zu erzielen ist oder nicht“, ist Müller überzeugt.
Beide Parteien werden zur Verhandlung vorgeladen, manchmal „klingen unsere Ratschläge dann lapidar, aber es kommt an“. Geduldig müsse man sein, sich selbst zurücknehmen. „Wenn die Leute rausgehen, soll keiner denken, er wurde übers Ohr gehauen.“
Salomons schrillstes Erlebnis: Ein junger Mann hatte sich auf einer Fete in eine Frau verliebt, die in einer festen Beziehung lebte. Er stalkte sie und zerkratzte einmal eine ganze Reihe BMWs, weil er darunter den Wagen des jungen Paars vermutete. „Zwei Jahre später kam ein Pärchen mit einer Frau, die im Kreishaus arbeitete: In der Bußgeldstelle habe sich ein Mann in sie verliebt und belästigte sie nun – es war derselbe!“
Rund 30 Schiedsmänner und -frauen gibt es im Kreis. Sie trafen sich jetzt im Rathaus der Festspielstadt zur Jahreshauptversammlung ihrer Bezirksvereinigung. 250 Fälle / Jahr werden verhandelt, so Geschäftsführer Michael Scholz. Die Erfolgsquote sei sehr verschieden, „auf dem Land, wo sich noch alle kennen, meist 100 Prozent, in der Stadt etwa 60 Prozent“. Die Schlichtung beruhe darauf, dass ein Wille zum Kompromiss bestehe.