Essen. . Weil zu hohe Geräte und eine Riesenschaukel Anwohner eines Kletterparks am Baldeneysee in Essen gestört hätten, klagten sie vor dem Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen gegen den städtischen Eigenbetrieb „Grün und Gruga“ – mit guten Erfolgschancen.
Mehr als 100 000 Euro hat der städtische Eigenbetrieb „Grün und Gruga“ bereits jetzt schon in den Seil- und Klettergarten am Baldeneysee neben dem „Emil-Frick-Haus“ und in der Nähe vom bereits bestehenden „Seaside Climbing“ investiert. Doch ob Kinder und Jugendliche wie auch Manager im abgemilderten Überlebenstraining auf dem Grundstück „Baldeney 42“ die hochmoderne Anlage jemals nutzen können, ist ziemlich ungewiss. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hob jetzt die Baugenehmigung der Stadt für ihren Eigenbetrieb auf. „Das Vorhaben verletzt das Rücksichtnahmegebot gegenüber den unmittelbar angrenzenden Nachbarn auf dem Grundstück Baldeney 15“, verkündete der Vorsitzende Richter.
Das Gericht, das keinesfalls in den Verdacht geraten wollte, kinderfeindliche Tendenzen zu unterstützen, hob in dem Urteil hervor, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt. „Ich mache seit neun Jahren Baurecht. Noch nie habe ich bisher eine unzumutbare Belästigung der Nachbarn ausgesprochen. Die Kläger hätten sonst hinnehmen müssen, dass ihnen jeden Tag Hunderte von Klettergästen direkt auf den Kaffeetisch gucken können“, beleuchtete Vorsitzender Günter Lütz den „krassen Fall“.
„Unzumutbare Sichtbelästigung“
Die Richter unterstrichen, dass die von den Klägern befürchtete Lärmbelästigung kein Grund für ein Verbot des Vorhabens gewesen wäre. „Die Lärmgrenzen sind eingehalten. Das müssen Nachbarn hinnehmen“, lautete der Tenor. Auch andere Beschwerden wie fehlende Parkplätze für Besucherautos und zu geringe Abstände zum Grundstück der Nachbarn zogen nicht. Aber was blieb war eine „Sichtbelästigung“ intensiven Ausmaßes. Die Klettergeräte und eine sogenannte Riesenschaukel, auf neudeutsch heißt sie „giants wing“, sowie ihre Masten ragen bis zu zwölf Meter in die Höhe. Kletterer erreichen bis zu 9,5 Meter. Das direkt angrenzende Haus der beiden Familien ist aber nur 7,5 Meter hoch. 60 Besucher gleichzeitig könnten die Seil- und Kletterlandschaft nutzen. Und das montags bis samstags von 8 bis 20 Uhr und sonntags von 9 bis 20 Uhr. So heißt es jedenfalls in der Erlaubnis. Die beiden Familien mit vier Kindern befürchteten in dieser Zeit einen Verlust ihrer Intimität, sorgten sich, ihren Garten gar nicht mehr unbeobachtet nutzen zu können. Ein Sichtschutz ist unter diesen Gegebenheiten nicht installierbar.
Was dem Gericht auffiel, waren Eigenwilligkeiten des Verfahrens. So war die Stadt ursprünglich der Meinung, für das Vorhaben, unterstützt von der Universität Duisburg-Essen und der evangelischen Gemeinde Borbeck, brauche man keine Baugenehmigung, weil es ja ein eigenes Projekt der Stadt war. Die bessere Erkenntnis kam den Verantwortlichen erst, als die Nachbarn per Eilverfahren das Gericht einschalteten. Und damit die Einsicht, das Projekt noch nicht in Betrieb gehen zu lassen. Zur Krönung beendete „Grün und Gruga“ das gerichtliche Meditationsverfahren, weil man keine Aussicht auf eine Einigung sah.
Kompromiss gescheitert
Im Prozess dann aber steuerten die Stadtvertreter plötzlich auf einen Kompromiss zu, als sie ihre Felle davonschwimmen sahen. Nur die Kläger waren jetzt nicht mehr einigungswillig. In der Gewissheit, dass sie gewinnen würden, nachdem der Vorsitzende die Rechtslage offengelegt hatte. Die Richter selbst wollten nach dem Scheitern der Mediation keine Vergleichsbemühungen mehr forcieren.
Bereits im Vorfeld hatten es Stadt sowie „Grün und Gruga“ offenkundig versäumt, mit den Klägern ausreichend intensive Gespräche zu führen. Vom „hohen Ross herab“ kann man selten zu einer Einigung kommen. Wie geht es mit dem Klettergarten weiter? Denkbar ist eine Berufung oder der Antrag auf eine neue Baugenehmigung. Änderungen der Betriebszeiten brachte Johannes Oppenberg, Abteilungsleiter von „Grün und Gruga“, ins Gespräch. Er könnte sich vorstellen, werktags von 9 bis 12 Uhr, sowie von 15 bis 19 Uhr zu öffnen. Sonntags könnte geschlossen bleiben. Warum nicht gleich so?
Nachbarn haben die Trumpfkarte in der Hand
Die Rechtsvertreter der Stadt fragten sich, wann die Grenze zur Rücksichtslosigkeit überschritten wird. Bei 100, 50 oder 30 Besuchern? Juristisch wird das eine harte Nuss sein, die es zu knacken gilt. Derzeit haben die Nachbarn alle Trumpfkarten in der Hand. Besser wäre es gewesen, sich mit ihnen im Vorfeld zu einigen. Die Kläger hatten einen anderen Bereich des Grundstücks vom Emil-Frick-Haus vorgeschlagen und wollten sich gar an den Umsetzungskosten beteiligen. Ihr Motiv: Sie hatten das marode Haus vor mehr als fünf Jahren erworben, mehrere hunderttausend Euro teure Bauauflagen der Stadt erfüllt, weil sie in privilegierter Lage im Außenbereich wohnen wollten. Um sich dann von der Stadt überrollt zu fühlen.