Essen. Ein Freiwilliges Soziales Jahr soll Schulabgängern einen Einblick in den Erzieherberuf verschaffen. So will die Stadt Essen junge Fachkräfte für die Kinderbetreuung gewinnen und den Mangel an Erzieherinnen bekämpfen.
Den Mangel an Erzieherinnen will die Stadt jetzt mit einer gezielten Nachwuchs-Werbung bekämpfen: Ab September sollen 20 Plätze für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in städtischen Kitas geschaffen werden. Die ersten Flyer sind Anfang Juni verteilt worden, nun hat das Jugendamt noch einmal 1500 Exemplare nachgedruckt, die in der kommenden Woche an Schulen und Ausbildungsstätten verteilt werden.
Angesichts des geplanten Ausbaus der Kinderbetreuung und des fehlenden Fachpersonals hatte sich zuletzt ein hektisch anmutender Aktionismus entwickelt: Da schlug die Bundesregierung vor, ehemalige Schlecker-Angestellte zu Erzieherinnen umzuschulen, da wurde über den Einsatz angelernter Hilfskräfte nachgedacht und dieser Tage kündigten erste Kommunen an, die Gruppenstärken zu erhöhen.
Das seien bestenfalls kurzfristige Befreiungsschläge, die Essener Aktion sei langfristig angelegt, betont Mathias Bänfer, Abteilungsleiter für pädagogische Einrichtungen beim Jugendamt. „Wir wollen Jugendliche in der Phase der beruflichen Orientierung ansprechen und durch das Freiwillige Soziale Jahr ermutigen, den Erzieherberuf zu ergreifen.“
Auch darum hat man sich für das Format des FSJ entschieden, das nur jungen Leuten bis maximal 26 Jahren offen steht – und nicht für den Bundesfreiwilligendienst, den auch ältere Menschen absolvieren können. Nicht Kindergarten-Omas und -Opas werden gesucht, sondern die Fachkräfte von morgen, die in der Kita-Arbeit ihre Berufsperspektive sehen. Darum sollten die Bewerber nicht nur einen Schulabschluss – von der Hauptschule bis zum Abitur – vorweisen können, sondern auch verantwortungsbewusst und kontaktfreudig sein, „und große Freude an der auch fordernden Arbeit mit Kindern haben“, wie Bänfer sagt.
„Kitas sind ein schöner Lernort“
An den 45 städtischen Kitas und Familienzentren, in denen sie eingesetzt werden können, werden sie auf Kinder vom Baby- bis zum Einschulungsalter treffen, die ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse mitbringen. Geboten werde den FSJlern neben einem „schönen Lernort“ auch eine ganzjährige fachliche Begleitung sowie 25 Seminartage. Da werden sie zu so unterschiedlichen Themen wie Spiel, Frühpädagogik oder Umgang mit schwierigen Kindern weitergebildet.
Sie erhalten ein Taschengeld und am Ende des Jahres ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. „Ich bin mir sicher, dass das auch bei späteren Bewerbungen für andere Berufe oder Ausbildungen hilft. Wenn sich jemand bei uns bewirbt, zählt ehrenamtliches Engagement in der Kirche oder im Sportverein auch immer als Pluspunkt“, sagt Bänfer.
Kinderfest der Kitas
Durch eine Mischkalkulation sei das FSJ für die klamme Stadt am Ende praktisch kostenneutral: Einen Teil der Kosten decken Bundesmittel für das Freiwillige Soziale Jahr. Der andere Teil wird durch Mittel für die Sprachförderung refinanziert. „Die Idee ist, dass die Erzieherinnen ja mehr Zeit für die Sprachvermittlung haben, wenn in ihrer Kita ein FSJler eingesetzt ist.“
Früher sollten Bergleute zu Erziehern werden
Die unverhohlene Rekrutierungsabsicht der Stadt sollte übrigens niemanden abhalten, dem es weniger um einen späteren Erzie-her-Job als um das soziale Engagement gehe. Wer sich nicht sicher sei, ob ihm das Jahr in der Kita nicht zu lang werde, der könne vorher in Absprache mit dem Jugendamt zunächst in einer wohnortnahen Kita hospitieren.
Im Idealfall bekämen auch junge Männer durch das Freiwillige Soziale Jahr Lust auf die Arbeit mit Kindern, hofft Bänfer. Grundsätzlich habe er auch nichts dagegen, wenn sich ältere Frauen zu Erzieherinnen umschulen lassen. „Aber pauschal alle Schlecker-Frauen umschulen zu lassen, davon halte ich wenig. Dahinter steckt das Vorurteil: Die sind weiblich, das reicht schon für diesen Beruf. Das reicht eben nicht. Sie müssen das wirklich wollen und sehr gut qualifiziert sein.“ Bänfer spricht aus Erfahrung: In den 1970er Jahren war er einmal in einem Programm, das frühere Bergleute zu Erziehern umschulen sollte: „Ich bin dann lieber weiter zur Schule gegangen.“