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Das Pippilotta-Prinzip hat der Verein „Jugend Architektur Stadt“ verinnerlicht. Seine Mitglieder erklären jungen Menschen die architektonische Welt.

Irgendwie hat es was vom Pippilotta-Prinzip „Ich mach’ mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt“, das Treiben an der Vöck­linghauser Straße in Rüttenscheid. Und das nicht nur, weil im eher unscheinbaren Gebäude mit der Nummer zehn Päivi Kataikko das Sagen hat – als Vorsitzende des bundesweit tätigen Vereins Jugend Architektur Stadt (JAS). Sie hat – obgleich ihr Name für manchen womöglich schwedisch klingen mag – zwar skandinavische Wurzeln wie die berühmte Kinderbuch-Heldin Pippi Langstrumpf, aber finnische.

Schwedisch sind alleine die bis an den Rand mit Knetgummi, Holzklötzen, Scheren, Pappe, Papier und allerlei Baumaterial gefüllten Kartons, stammen sie doch aus einem skandinavischen Möbelhaus. Doch wer mit der Architektin und ih­rer Kollegin Britta Grotkamp erst einmal ins Gespräch über die junge Generation, Architektur und Städtebau kommt, merkt schnell: JAS hat das Pippilotta-Prinzip verinnerlicht. „Denn wir führen Kinder und Jugendliche an Architektur heran, spielerisch und so, dass sie verstehen, wie alles zusammenhängt“, betont Pädagogin Grotkamp.

Britta Grotkamp und Marie betrachten die mit dem Handy fotografierte „Bauklotzstadt“. Foto: Kerstin Kokoska
Britta Grotkamp und Marie betrachten die mit dem Handy fotografierte „Bauklotzstadt“. Foto: Kerstin Kokoska © WAZ FotoPool

„Weißt du was eine Stadt zur Stadt macht?“

Seit 2005 vermittelt JAS jungen Menschen das notwendige Handwerkszeug und Hintergrundwissen, um Design, Architektur, Stadt und Landschaft – die gestaltete Lebensumwelt – mit al­l ihren Sinnen wahrzunehmen, neu zu entdecken und mit zu gestalten. „Ziel ist es, ihnen einen verantwortungsvollen und kreativen Umgang mit verschiedenen Räumen zu vermitteln, und sie darin zu bestärken, sich heute und in Zukunft aktiv in die Gestaltung ihrer Stadt einzubringen“, sagt die Vorsitzende.

Dabei setzen Kataikko und ihr interdisziplinäres Team aus gut 40 Personen – Architekten, Pädagogen, Landschaftsarchitekten, Stadt-, Raum- und Regionalplanern – nicht auf mo-notone Vorträge, sondern auf ein stimmiges Gesamtkonzept – etwa mit dem Bau von Miniaturgebäuden oder Besuchen vor Ort, zum Beispiel auf Zollverein. „Denn wir wollen jungen Leuten die gebaute Umgebung näher bringen“, erzählt Britta Grotkamp. Doch das sei gar nicht so einfach. Über 1500 Kinder und Jugendliche, davon 500 im Ruhrgebiet, erreicht JAS nach eigenen An­gaben jährlich mit Seminaren und Projekten. In Freiburg, Köln, Hamburg und Berlin hat der Verein Ableger. Gefördert wird er vor allem von Spendern, Stiftungen und der Hochtief AG. Mit der bundesweit ersten „Kinder- und Jugendakademie für Baukultur“ setzt JAS seit 2010 Ak­zente.

Luzy baut. Foto: Kerstin Kokoska
Luzy baut. Foto: Kerstin Kokoska © WAZ FotoPool

„Weißt du was eine Stadt zur Stadt macht?“, fragen Kataikko und Grotkamp in einem aktuellen Workshop für Acht- bis 14-Jährige, dessen Ergebnis im August beim großen ThyssenKrupp-Ideenpark am Stand der Hochtief AG zu sehen sein wird. Wo und wie wird die En­ergie für die Stadt hergestellt, wie wird sie dahin gebracht und wer verbraucht sie? Und wie wird die Stadt der Zukunft wohl aussehen? – Auf diese und viele weitere Fragen wird im Kurs nach Antworten gesucht. Am Ende soll ein großes Modell entstehen, das neben den wesentlichen Elementen der Stadt auch mit Elektrizität und Licht versehen wird. Darum kümmert sich die Hochtief AG, die das gestern gestartete Projekt finanziert.

Kostenfreie Kurse und Projekte geplant

Die nächsten Termine sind am 26. April, 3., 10. 24. und 31. Mai – je von 15 bis 17 Uhr. Darüber hinaus gibt es ei­nen Intensivworkshop am 17. Mai (10 bis 15 Uhr) in den Räumen der JAS-eigenen „Kinder- und Jugendakademie für Baukultur“ an der Vöck­linghauser Straße. Mit Holzklötzen tasten sich die Kinder zunächst an räumliches

 Toshi und Philipp. Foto: Kerstin Kokoska
Toshi und Philipp. Foto: Kerstin Kokoska © WAZ FotoPool

Bauen heran; später entwerfen sie Modelle mit Licht, Aufzügen, Straßen und allem, was zu einer Stadt dazu gehört. „Sie werden gemeinsam mit uns Ideen entwickeln, wie Energie eingespart und in der Stadt erzeugt werden kann“, erzählt Grotkamp. So sollen die Nachwuchs-Ar­chitekten lernen, sich auf ihre Umwelt einzulassen und mit Proportionen zu arbeiten. Am Ende entsteht ein 1,50 Meter mal 1,50 Meter großes Stadtmodell. „Wer mitmachen will, kann jetzt noch kurzfristig einsteigen“, so Kataikko. Die Teilnahme ist kostenfrei.

Was im ersten Moment spielerisch klingt, soll junge Leute aus der gesamten Stadt dauerhaft beeinflussen. „Beteiligung ist für uns die große Frage – und das nicht erst seit Stuttgart 21“, sagt die Architektin. Wer früh lerne, sich in Prozesse einzumischen, werde sich sicher im Erwachsenenalter als mündiger Bürger in bau-kulturelle Planungen einbringen. „Denn wir wollen Kinder und Jugendliche zum Einmischen befähigen“, sagen beide Frauen. Um dieses hehre Ziel zu erreichen, sind dieses Jahr zahlreiche, meist kostenfreie Kurse und Projekte in Essen und im gesamten Revier geplant. Mehr Infos gibt’s auf: www.jugend-architektur-stadt.de

Kunst, Licht und Raum

 Vincent und Bruno (rechts) in Hochhausmodellen aus Pappe.  Foto: Kerstin Kokoska
Vincent und Bruno (rechts) in Hochhausmodellen aus Pappe. Foto: Kerstin Kokoska © WAZ FotoPool

Am Sonntag, 29. April, feiert „Jugend Architektur Stadt“ seinen siebten Geburtstag – mit einem kind- und jugendgerechten Vortrag aus der Reihe „JAS vor Ort“. Unter dem Motto „Wie hast du das gemacht, Herr Kaiser“, berichtet der Kölner Konzeptkünstler An­dreas Kaiser vom Entstehungsprozess des „Iceberg“, eines der Kunstwerke, das im Sommer 2010 als Atoll auf dem Baldeneysee ankerte. Der Vortrag startet um 15 Uhr, dauert anderthalb Stunden und richtet sich an die ganze Familie.

Im Anschluss wird mit Eisbergen und Waffeltürmen gefeiert. Der Eintritt ist frei. Im Rahmen der „Jugendkunst-Akademie“ beteiligt sich JAS am 5. und 12. Mai (11 bis 17 Uhr) etwa mit dem Workshop „Lichtobjekte selber machen“. Wer zwischen 14 und 24 Jahren alt ist, kann gemeinsam mit Britta Grotkamp und Päivi Kataikko mit Licht und Raum experimentieren. Kosten: 20 Eu­ro. Weitere Infos und Anmeldung unter: 0177 / 75 17 590