Essen. Im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres studieren Karina Antanesian (21) und Nikolay Lukin (20) in Essen und betreuen hier behinderte Menschen. Sie sind damit Pioniere.

Sie sind aus Nishnij Nowgorod an der Wolga nach Essen gekommen, um zu helfen: Karina Antanesian (21) und Nikolay Lukin (20) machen hier ein Freiwilliges Soziales Jahr – und sind damit Pioniere. Bisher vermittelte die Gesellschaft für deutsch-russische Begegnung e.V. junge Deutsche in Essens russische Partnerstadt Nishnij Nowgorod. Dann hatte Vorstandsmitglied Werner Strahl die Idee, die Sache einmal umzudrehen.

„Wir sind an der Uni angesprochen worden, ob wir Lust hätten, ein Jahr lang in Deutschland zu arbeiten“, erzählen Karina und Nikolay, die beide Sozialwissenschaften studieren. Weil sie schon in der Schule Deutschunterricht hatte und er seit immerhin drei Jahren Deutsch lernt, trauten sich beide den Auslandseinsatz zu, obwohl sie zuvor noch nie in Deutschland oder auch nur in Europa gewesen waren. „Ich war überhaupt nie in einem anderen Land“, sagt Nikolay Lukin. Im Sprachunterricht habe er aber etwas über die Kultur erfahren, sagt er und listet auf: „Fasching, Ostern, Weihnachten.“

Arbeit im Kindergarten und an einer Förderschule

Nach vier Monaten in Essen sind solche Feste aber in den Hintergrund gerückt. Ja, sie waren auf dem Weihnachtsmarkt, den Nikolay schön bunt und Karina etwas zu voll fand, sie haben Bekanntschaft mit Glühwein und Adventskalendern gemacht. Doch wirklich spannende Erfahrungen sammelten sie bei der Arbeit fürs Behindertenreferat.

Nikolay arbeitet an einer Förderschule mit geistig Behinderten Kindern, von der er sehr beeindruckt ist. „Ich habe mich schon am ersten Tag gewundert, wie selbstständig die Kinder sind. Sie kommen morgens mit dem Bus, machen fast alles allein. Nur beim Essen oder bei den Hausaufgaben helfe ich. Das russische Sozialsystem hat solche Angebote nicht. Behinderte Kinder bleiben zu Hause bei den Eltern.“

Der letzte Zivi

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    Auch Karina bestätigt diese Einschätzung: „Ich habe hier zum ersten Mal erlebt: Man kann diese Menschen integrieren.“ Sie arbeitet in einem Regelkindergarten und betreut für einige Stunden eine ältere Frau mit Down Syndrom, die im Rollstuhl sitzt und in einer Wohngruppe lebt. „Ich mache Spiele mit ihr, gehe mit ihr spazieren oder Kaffee trinken – und wenn wir unterwegs sind, starrt uns niemand an. In Russland wäre das anders, da könnte sie auch nicht in einer WG leben.“ Sie habe vorher keine Erfahrungen in der Behindertenarbeit gehabt, aber schnell gemerkt, dass diese ihr große Freude bereite, sagt Karina. Darum wird sie im Januar den Job in der Regelkita aufgeben, um mit behinderten Kindern zu arbeiten. In Russland genieße diese Arbeit kein hohes Ansehen, auch das sei hier zum Glück anders, finden Karina und Nikolay. Darum würden sie ihren Kommilitonen jederzeit zum Sozialen Jahr raten. Auch wenn sie sich nach Freuden und Familie sehnen, das Heimweh sei nicht zu groß.

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    Anschluss finden war nicht einfach

    Anfangs fanden es die beiden, die in einer WG mit zwei deutschen Kollegen wohnen, schwierig, Anschluss zu finden. „Ich kann mich nicht gut unterhalten“, behauptet Nikolay, der in Wirklichkeit gut Deutsch spricht, „aber Angst hat, etwas Falsches, Beleidigendes zu sagen“. Anders Karina, die los plaudert. „Wenn ich etwas nicht verstehe, sage ich: ,Noch mal bitte. Ich bin aus Russland, ich brauche Hilfe.“

    Während Nikolay für den Silvesterabend, der in Russland mit Sekt, Feuerwerk und dem Geschenke bringenden Väterchen Frost groß gefeiert wird, noch keine genauen Pläne hat, wird Karina wohl ihre russischen Freundinnen treffen, die sie hier kennengelernt hat. „Ich weiß nicht wo, aber ich feiere auf jeden Fall!“