Essen. . Immer mehr Anfragen zu Versorgungs- und Pflegeaufgaben erreichen die Essener Ehrenamt Agentur. Doch um die abzuarbeiten, bräuchte es mehr Bürger, die sich sozial engagieren. Vor allem gelte es, junge Menschen anzusprechen, sagt Janina Krüger von der Essener Ehrenamt Agentur.

Die wohl prominenteste Mahnung der vergangenen Wochen zu mehr ehrenamtlichem Engagement stammt vom Bestseller-Philosophen Richard David Precht. Ein Vorstoß – ein Aufschrei; denn die Idee, jung gebliebene Rentner in die Pflicht zu nehmen, damit sie geistige Fähigkeiten und handwerkliches Geschick in den Dienst der Allgemeinheit stellen, sie stieß nicht überall auf Gegenliebe.

Doch so plausibel Prechts Vorstoß geklungen haben mag – die Ablehnung dürfte ihn nicht unerwartet getroffen haben. „Die Erfahrungen zeigen, dass wir Menschen, die nicht schon in ihrer Jugend mit einem Ehrenamt in Kontakt gekommen sind, im Alter kaum erreichen“, sagt Janina Krüger von der Essener Ehrenamt Agentur.

Was Hänschen nicht kennt, wird dem Hans also kaum schmackhaft zu machen sein – doch braucht der selbst immer öfter immer mehr Hilfen. „Gerade aus Seniorenheimen bekommen wir viele Anfragen“, sagt Krüger.

Spazieren gehen und Vorlesen

Nun sind bei der Ehrenamt Agentur nicht Menschen gefragt, die professionelle Versorgungs- und Pflegeaufgaben übernehmen. Der Spaziergangs-Begleiter, die Vorleserin, der Kümmerer – sie stehen auf dem durchschnittlichen Wunschzettel eines Seniorenheim-Bewohners.

Doch woher sollen all die Kräfte kommen, wenn sich „der Rentner“ gegen Vorstöße wie den von Precht verwahrt? „Da müssen wir auf nachbarschaftliches Engagement setzen“, sagt Krüger. In Zeiten des familiären Umbruchs, in denen immer weniger Kinder geboren werden, die dann auch noch in andere Städte ziehen, müsse man in neuen Strukturen denken, Netzwerke gründen aus Nachbarn und Freunden, die zupacken. Und es gelte, junge Menschen anzusprechen – damit die ins Ehrenamt hineinwachsen.

Agenturen müssen Ansprechpartner sein

Denn die klassische Ehrenamts-Biografie geht so: Man kommt als Kind mit dem Ehrenamt in Kontakt, nimmt teil an Angeboten, bringt sich als Jugendlicher selbst ein mit Hilfe und Engagement – bis die erste große Liebe den „sozialen Notstand“ vergessen macht. Es folgt die Heirat, der Beruf nimmt einen hohen Stellenwert ein, dann kommt die Familienphase – schon geht’s wieder zurück in die ehrenamtliche Arbeit in Kindergarten und Schule. „Für Eltern“, sagt Krüger, „sind das die klassischen Bereiche.“

Ob es nach Kita und Schule weiter geht mit dem Engagement, hänge ab von den Angeboten, die gemacht würden. „Man muss etwas finden, das den Neigungen des Menschen entspricht, mit dem er nicht überfordert sein darf.“ Und man dürfe ihn nicht allein lassen, müsse als Agentur begleiten und Ansprechpartner sein.

Hinzu kommt die Qualifizierung. „Meist machen die Träger, bei denen die Ehrenamtlichen später arbeiten, Angebote für Kurse.“ Gute Vorbereitung sei das A und O. Und überschaubar soll die Aufgabe sein, „möglichst projektbezogen, denn viele Menschen wollen sich nicht für einen unabsehbaren Zeitraum binden.“

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Biete man dieses Paket jedoch, gelinge es immer wieder, Menschen ins Boot zu holen. „Rund 700 Vermittlungen haben wir jährlich.“ Das ist viel – und doch zu wenig, denn dem gegenüber stehen rund 1000 Anfragen. Und es werden nicht weniger. „Zum Beispiel für Mentoren-Programme suchen wir immer Freiwillige“, sagt Krüger. Menschen, die zupacken, Jugendliche an die Hand nehmen beim Übergang von der Schule in den Beruf. „Es gibt viele Familien, da haben die Eltern selbst keinen Kontakt zum Erwerbsleben gehabt. Die können das nicht leisten“, sagt Krüger.

Welches Ehrenamt letztlich das richtige ist, das finden die Mitarbeiter der Agentur in Beratungsgesprächen heraus. „Manche Leute wollen nichts, das mit ihrem Beruf zu tun hat, andere wollen diese Erfahrung gerade einbringen.“

Betrachtet man alle Essener Projekte, so werden rund 70 Prozent der Aufgaben von Frauen übernommen, „aber es gibt immer mehr Jungs, die nur unter Frauen aufwachsen und auch männliche Rollenvorbilder brauchen“, sagt die Chefin der Ehrenamt Agentur. Mehr Männer also werden gebraucht, ach, mehr Menschen eigentlich in allen Bereichen, die gern eine helfende Hand reichen.

Die öffentliche Hand, sagt Janina Krüger, könne all das finanziell nicht leisten, „wenn wir aber ein lebenswertes Umfeld und eine soziale Infrastruktur haben wollen, dann müssen wir das selber in die Hand nehmen. Sonst funktioniert der Sozialstaat nicht mehr.“