Essen. .
Firmengründer Friedrich Krupp pokerte hoch, investierte waghalsig - und scheiterte. Aber er schuf die Keimzelle für einen Weltkonzern.
Es ist ein reicher junger Mann, der im November 1811 im Handelsregister des unbedeutenden Landstädtchens Essen eine Firma eintragen lässt, die seinen Namen trägt: Friedrich Krupp. Für den Spross einer alten Essener Kaufmannssippe wäre es ein Leichtes, ein auskömmliches Leben im Sinne der Familientradition zu führen. Ihn aber zieht es zu Neuem. Der „Verfertigung des Englischen Gussstahls“ will Krupp sich widmen, ein ebenso belastbares wie höchst schwierig herzustellendes Produkt, das durch Umschmelzen von Schmiedeeisen entsteht. Auf dem europäischen Festland wird guter Gussstahl schmerzlich vermisst, seit Europas Gewaltherrscher Napoleon jeden Handel mit Erzfeind Großbritannien unterband und so die überlegenen Gussstahl-Spezialisten aus Sheffield vom Markt drängte.
Es scheint also eine gute, zukunftsträchtige Idee zu sein, die Friedrich Krupp umtreibt, und sein allerdings bescheidenes Vorwissen als zeitweiliger Leiter der Gutehoffnungshütte im benachbarten Sterkrade mag ihn zusätzlich bestärkt haben, das Risiko zu wagen. Auf dem Gelände einer alten Walkmühle in der sumpfigen Emscherniederung, einige Kilometer nördlich der Essener Stadtmauern, geht der visionäre Stahl-Mann ans Werk und richtet mit dem ererbten Geld seiner Großmutter die Gebäude für einen Reck- und Schmiedehammer her. Windige Mitgesellschafter hat er verpflichtet, die viel versprechen, aber kein Kapital besitzen und die - weit schlimmer - wenig wissen. Ohne ausreichend Erfahrungswissen aber, wie es in England existiert, droht die neue Firma zur Geldvernichtungsmaschine zu werden. Denn die chemischen und physikalischen Vorgänge, die am Ende Gussstahl ergeben, sind vollkommen unerforscht. Friedrich Krupp experimentiert jahrelang und bringt es immerhin mit seinen ersten Produkten - Münzstempel und Werkzeuge - bei den Kunden, darunter dem preußischen Münzamt in Düsseldorf, zu einigem Ansehen. Es ist teuer erkauft. Die Walkmühle, am Flüsschen Berne gelegen, ist als Standort keine gute Wahl. Auf den zeittypisch schlechten Wegen ist Friedrichs kleine Fabrik nur höchst mühsam zu erreichen. Und wenn die Berne trocken fällt - was häufig passiert - kommt der Betrieb ganz zum Erliegen. Das aber heißt: Die Kosten laufen, die Zinsen drücken, während die Einnahmen sporadischer Natur bleiben.
Die Firma Krupp zehrt von ihrer Substanz. Gute Gründe, sich kleiner zu stellen, bescheidener zu werden, auch geduldiger. Aber nicht für Friedrich Krupp. Der vom Stahl Besessene setzt alles auf eine Karte und beginnt im Jahr 1818 mit der Bau einer neuen, weit größeren Werkshalle für acht Schmelzöfen, zu der er noch ein kleines Haus für den Fabrikaufseher stellt. Diesmal wird er rund einen Kilometer außerhalb des westlichen, des Limbecker Stadttores aktiv, wo die Krupps an der uralten Landstraße nach Mülheim seit Jahrhunderten Grund und Boden besitzen. Dass hier gerade die Keimzelle eines Weltkonzerns entsteht, der - vielfach durchgeschüttelt und mutiert - noch 200 Jahre später existiert, wäre selbst den wohlmeinenden unter Friedrichs Mitbürgern als pure Phantasterei erschienen.
Zuflucht „Stammhaus“
Tatsächlich ist noch lange kein Durchbruch in Sicht. Die Nähe zur Stadt, zur Straße und zur Zeche Sälzer-Neuack, deren Kohle Krupp bezieht, sind zwar von Vorteil. Die Schmiede an der Walkmühle muss er jedoch zusätzlich unterhalten, denn am neuen Standort gibt es kein Wasser und damit keine Antriebskraft für die Hämmer. Teure Transporte zwischen beiden Standorten sind nötig. Als zwei Jahre später der neue Bau steht, hat Friedrich Krupp nicht nur sein gesamtes Erbe eingesetzt - nach heutigem Geld mehrere Millionen Euro - sondern auch hohe Schulden aufgehäuft.
Der Bürger Krupp mag neben der Arbeit als Fabrikherr auch nicht von den Ehrenämtern im Dienst der Vaterstadt lassen, die die Krupps seit Menschengedenken in Essen ausüben. Noch bewohnt die sechsköpfige Familie ein standesgemäßes Haus am Flachsmarkt, direkt neben der bis heute bestehenden Marktkirche. Als seine teuren Münzwalzen sich zum größten Teil als funktionsunfähig erweisen, als die Schulden immer stärker drücken und Friedrich noch schwer erkrankt, eskaliert die Situation. Das Haus am Flachsmarkt fällt den Gläubigern zu, der Abstieg des einst schwerreichen Bürgers nimmt seinen Lauf. Im Aufseherhaus neben der Fabrik findet die Familie Zuflucht - zum „Stammhaus“ verklärt, wird es in die Firmengeschichte eingehen und wichtiger Teil eines Mythos werden, der bis heute in der deutschen Unternehmensgeschichte einzigartig ist. 1826 mit nur 39 Jahren stirbt Friedrich Krupp verarmt und mutmaßlich verbittert. Er war überoptimistisch bis zur Waghalsigkeit und hinterließ seinem erst 14-jährigen Sohn Alfred kein leichtes Erbe. Aber es war ihm gelungen, ein Verfahren für die Gussstahl-Herstellung zu entwickeln, auch wenn die Ergebnisse unsicher blieben, eben weil er die komplizierten metallurgischen Zusammenhänge nicht überblicken konnte. Aufbauen aber lässt sich darauf sehr wohl.