Essen. .
Der Durchbruch der Gussstahlgeschütze im Krieg 1870/71 macht Krupp zum „Kanonenkönig“. Sein Unternehmen brauchte ein Jahrhundert bis zur Rückkehr zur „Normalität“. Bis zu 40 Prozent der Essener hingen von dem Unternehmen ab.
Jahrhundertelang waren Kanonen aus Bronze, und noch bis zum preußisch-deutschen Krieg gegen Frankreich 1870/71 meinten konservative Militärs, das werde auch immer so bleiben. Dieser Waffengang allerdings, der Deutschlands Einigung und Aufstieg zur Großmacht besiegelte, brachte auch in technischer Hinsicht eine klare Entscheidung. Die Gussstahl-Geschütze aus Essen erwiesen sich auf dem Schlachtfeld gegenüber den französischen Bronze-Kanonen als derart überlegen, dass niemand es ignorieren konnte.
Und jeder in Europa und der restlichen Welt wusste, wer diese Waffe geschaffen hatte, zumal Alfred Krupp sich keine Mühe gab, es zu verheimlichen, vielmehr stolz war auf seinen inoffiziellen Titel „Kanonenkönig“. Krupp war seit diesem Krieg für ein Jahrhundert keine normale Firma mehr, sondern Mythos und Politikum. Und zwar für Freund und Feind.
In einer Mischung aus Naivität und Geschick hält Alfred Krupp an der Fiktion des unpolitischen Charakters seiner Unternehmung fest. Der alternde und gesundheitlich angeschlagene Patriarch will nicht wahrhaben, dass seine Firma mit jeder neuen Kanonenwerkstatt, mit jedem Besuch des Hohenzollernkaisers stärker in die Auseinandersetzungen der Zeit gerät, egal ob dies nun berechtigt ist oder nicht. Die Krupp-Verehrung nimmt überhand wie auch der Hass. Beides sollte für sein Werk und seine Nachkommen Folgen haben, für die Alfred Krupp jede Vorstellung fehlte, auch fehlen musste. „Neben Clausewitz als Philosoph wurde Krupp als Rüstungsindustrieller einer der Väter des modernen Krieges“, meint später der Historiker Walter Görlitz. Das glauben sehr viele.
Zu groß, um Pleite zu gehen
Aber Krupp hat sein wichtiges Ziel, die Staatsnähe, erst einmal erreicht. Auch in der großen Wirtschaftskrise von 1873 - ausgelöst nach dem Zusammenbruch des Gründerzeit-Booms - fordert und erhält er die Hilfe der preußischen Staatsbank. „To big to fail“ - zu groß, zu wichtig, um Pleite zu gehen: Dieser Satz aus der Zeit der jüngeren Bankenkrise trifft damals auch auf Krupp zu. Kaiser Wilhelm I. steht die immense Bedeutung des Unternehmens für die Bewaffnung und das Prestige des Reiches klar vor Augen.
Die Beinahe-Pleite von 1873 zeigt gleichzeitig, wie sehr Krupp in seinen inneren Strukturen zu einem Anachronismus geworden ist. Denn noch immer herrscht Alfred Krupp wie zu Zeiten, als er mit wenigen Arbeitern an den Tiegelöfen stand. Kein Detail ist ihm zu klein, keine Anweisung zu absurd. Die „Prokura“ ist kein Vorstand im heutigen Sinne, sie ähnelt oft mehr einem Gremium von Befehlsempfängern des Eigentümers.
Sensibler Nachfolger
Die Welt der Banken, ohne die kein „normales“ Großunternehmen mehr seinen Kapitalaufwand decken kann, ist Alfred ebenso suspekt wie der Einzug exakter Wissenschaft in den Produktionsprozess. Und die Arbeiter kann und will er aufgrund seines pessimistischen Menschenbildes nicht viel anders sehen denn als unmündige Kinder, deren Los er zwar ehrlichen Herzens und unter Einsatz erheblicher Mittel verbessert, die er jedoch als handelnde Subjekte ablehnt. Entlassungen waren für ihn das allerletzte Mittel, lieber spannte er die Finanzen auf das Äußerste an. Dies immerhin macht ihn zu einem Unternehmer-Typus, den sich viele heute wieder wünschen.
Der Mann, der all dies teils bewahren, teils reformieren wird, wird im Unternehmen und vor allem im Umgang mit dem Vater zunächst sehr klein gehalten: Friedrich Alfred Krupp, geboren 1854, ist das einzige Kind aus einer zuletzt unglücklichen Ehe. Er ist ein sensibler Junge, der viel kränkelt und später eine Leidenschaft für alles Naturwissenschaftliche entwickelt. Das passt eigentlich genau in die Zeit. Alfred allerdings findet, derlei sei etwas für Angestellte und erlaubt das Studium nur ein einziges Semester lang.
Auch mit der Wahl der Gattin enttäuscht „Fritz“, wie er kurz genannt wird. Margarethe von Ende, die spätere Stifterin der Margarethenhöhe, entstammt altem, verarmten Adel, was den bürgerstolzen Vater verdrießt, der die Nobilitierung stets mit den Worten „Ich heiße Krupp, das genügt“ abgelehnt hat. Immerhin aber: Fritz setzt sich nach langer Wartezeit durch. Und er wird nach dem Tod Alfreds 1887 auch der Firma Modernitätsschübe verpassen, deren Wichtigkeit erst in den letzten Jahren auch von der Forschung anerkannt wurden.
Wie Krupp Essen zur Großstadt macht
Als Alfred Krupp mit der Arbeit beginnt, ist Essen eine unbedeutende Kleinstadt. Als er stirbt, sind es nur noch weniger Jahre bis zur Großstadt-Werdung. Dass dieser Aufstieg ohne ihn anders verlaufen wäre, ist nicht zu beweisen, aber eine naheliegende Annahme. Der Sohn wird, begünstigt durch eine lang anhaltende enorme Hochkonjunktur, in den nur 15 Jahren seiner Regentschaft die Mitarbeiterzahl der Firma verdoppeln, wichtige zentrale Einrichtungen wie die Eisenbahn-Direktion nach Essen holen, neue Siedlungen bauen und sich vielfach mäzenatisch betätigen. Damit wird er auch der Stadt einen weiteren großen Schub geben.
Fritz Krupp, der eher introvertierte, grüblerisch, schwer an der Verantwortung tragende Mensch, begeht allerdings einen Fehler, der seinem Vater niemals unterlaufen wäre. Teils aus eigenem Antrieb, teils weil er sich drängen lässt, steigt er als Reichstagsabgeordneter in die Politik ein und setzt sich damit dem schwer zu widerlegendem Verdacht aus , Politisches und Wirtschaftliches zu vermischen.
Das ist vor allem deshalb fatal, weil die Geschütze und vor allem die Panzerplatten-Produktion zum Bau der Kriegsflotte für die Aufrüstungspolitik des Kaiserreichs immer wichtiger werden. Wo der alte Kaiser und Alfred fast wie von gleich zu gleich wirkten, sind die Akzente jetzt andere. Der junge, ehrgeizige, nassforsche Wilhelm II. fühlt sich zum Hineinregieren ins Unternehmen ermächtigt - und Fritz hat dem wenig entgegenzusetzen.
Die exklusive Verbindung des Staates mit einem auf Monopolstellung hinarbeitenden Privatunternehmer, der noch dazu politisiert, muss Misstrauen erregen. Das gilt erst recht in einem Staat, dem es nicht gelingt seine inneren Konflikte zu lösen. Eine zusehends kritischere, ideologisch aufgeheizte öffentliche Meinung und die Sozialdemokraten im Parlament sehen im „Fall Krupp“ einen Hebel, um das vermeintliche Wesen des Kapitalismus zu entlarven
Der Fehler, sich politisch so zu exponieren, wird einen Mechanismus in Gang setzen, an dem Friedrich Alfred Krupp als Mensch zerbricht.