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Das Haus am Kettwiger Tor ist an einen Hamburger Immobilienentwickler verkauft. Damit stehen neben Mieterwechsel auch Umbauten wie der Wegfall der Passage bevor. Saniert werden muss schon allein aufgrund der schlechten Energiebilanz.
Der surrealistische Maler Salvador Dalí hätte seine Freude am Haus am Kettwiger Tor gehabt. Ganz im Gegensatz zu den Mietern darin. Seit mehr als zwei Jahren ist die Fassade hinter einem Baugerüst verschwunden – ohne, dass je Bauarbeiter zu sehen waren. Eine surreale Szenerie, bei der es schien, als wolle jemand den begrenzten Erfahrungsbereich der menschlichen Logik durch das Absurde erweitern.
Noch im November 2010 hieß es bei der Immobiliengesellschaft der Allianz-Versicherung in München auf Anfrage der NRZ, das Gerüst diene als Sicherung für „bevorstehende umfangreiche Sanierungsmaßnahmen“. Doch wieder geschah nichts. Die Zeit floss ungenutzt dahin, Dalíschen Uhren gleich, die zäh wie Camembert zerrinnen; Mieter nahmen sich Anwälte, weil das ungenutzte Gerüst den Kundenblick auf die Schaufenster der Läden verstellt, erste Kündigungen folgten. Nun steht nach NRZ-Informationen fest: Das Gerüst wird im September abgebaut – und Ende des Jahres wieder aufgebaut.
Passage wird geschlossen
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Grund für die Bewegung am ewigen Gerüst ist ein Besitzerwechsel. Das 1957 fertig gestellte Gebäude hat der Hamburger Immobilienentwickler „Achim Griese Treuhandgesellschaft mbH“ gekauft. Die Verträge mit den bisherigen Besitzern, der Allianz und der Altstadt Baugesellschaft der Allbau, sind unterschrieben, die Schlüssel werden am 1. September übergeben. Über den Kaufpreis wurde hingegen Stillschweigen vereinbart. Es ist aber zu hören, dass alles anders bleiben wird, an der Kettwiger Straße 2 bis 10.
Der neue Besitzer hat Pläne: So soll die Passage, die durch das Gebäude führt und die Kettwiger Straße mit der Akazienallee verbindet, geschlossen werden. Den Wegfall des Durchgangs bedauert vor allem Beate Scherzer, Inhaberin der Buchhandlung Proust im Allianzhaus gegenüber. „Der ein oder andere Kunde ist dank der Passage auf uns aufmerksam geworden, damit wäre dann Schluss“, befürchtet Scherzer. Sie tröstet sich damit, dass 90 Prozent der Bücher oder CDs an Stammkunden über die Ladentheke gehen. Die würden auch einen Umweg in Kauf nehmen – und, so hofft Scherzer, nach dem zweijährigen Blick auf das Gerüst, auch eine größere Baustelle vor dem Proust-Schaufester hinnehmen.
In der Passage, in der sich in den 1960er-Jahren noch der Eingang zum Filmcasino befand und heute die Vitrinen von „Stoff Müller“ für Dekostoffe und Kurzwaren werben, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Bäckerei Kamps vergrößern – dann allerdings mit einem Vor- und Hintereingang, letzterer an der Akazienallee. Der Stoffladen indes zieht weg, der Räumungsverkauf hat bereits begonnen. Auch die Tchibo-Filiale, die Mode-Boutiquen Hallhuber und Stefanel sowie der Friseur „H+“ haben ihre Mietverträge gekündigt – teils entnervt vom Streit um das kundenverschreckende Baugerüst, teils aus anderen Gründen. Die Kündigungen waren aber schon im Briefkasten, da war noch nicht bekannt, dass ein neuer Käufer gefunden ist.
Essen aus der Luft
Auf jeden Fall im Gebäude bleiben sollen das Toscani-Eiscafé, die erst kürzlich modernisierte Filiale von Tee Gschwendner und der Tabakladen Wolsdorff, der an dieser Ecke seine Filiale schon hatte, als es das Haus am Kettwiger Tor noch gar nicht gab, nämlich seit genau 101 Jahren. Und während Wolsdorff an seinem jetzigen Platz als gesetzt gehandelt wird, steht bei allen anderen Mietern noch nicht endgültig fest, ob sie in ihren jetzigen Räumlichkeiten bleiben können.
Ende der Zweckfreiheit
Ob der eine Laden links, der andere rechts – der Modernisierungsbedarf in dem Gebäude scheint enorm zu sein. „Ich habe noch nie ein Haus mit so schlechten Werten im Energieausweis gesehen“, sagt Martin Ahrens, Geschäftsführer des Immobilienentwicklers aus der Hansestadt. Ziel der aufwendigen Umbau- und Erneuerungsarbeiten soll es sein, auch die oberen Stockwerke im Haus am Kettwiger Tor attraktiver zu machen – vor allem für Anwälte und Ärzte. Ob die Gesellschaft die Immobilie nach dem Aufhübschen wieder zum Verkauf anbieten wird? „Wir möchten möglichst bleiben“, sagt Martin Ahrens vielsagend.
Was nicht bleibt, ist das Gerüst. Es soll erst wieder aufgebaut werden, wenn tatsächlich Bauarbeiter anrücken. Und wenn es, dann zum zweiten Mal, wieder abgebaut wird, hat nicht nur die Wurst zwei Enden, sondern auch diese unendliche Geschichte vom ewigen Baugerüst.