Essen. . Discounter Aldi plant in Schonnebeck ein neues Ladenlokal. Das wäre kaum der Rede wert, läge der Standort nicht ganz in der Nähe der allerersten Filiale an der Huestraße. Der Keimzelle des Imperiums könnte das Aus drohen.
Discounter Aldi will sich in Schonnebeck vergrößern und plant ein neues Ladenlokal an der Ecke Huestraße/Portendieckstraße zu bauen. Nichts besonderes, könnte man meinen. Ist es aber doch: Der Neubau würde wohl das Aus für jenen Laden bedeuten, in dem Karl Albrecht, der Vater der später so erfolgreichern Albrecht-Brüder, spätestens seit den 1920er Jahren seine Waren verkaufte. Es gilt als Keimzelle des heutigen Imperiums und noch immer ist hier eine Aldi-Filiale: das Geschäft Huestraße 89.
So richtig Ehrfurcht will sich vor der Klinkerfassade an der Huestraße nicht einstellen. Schmale Front, dreigeteilte Fenstereinheit, alles ein bisschen popelig. Innen sieht das Geschäft aus, wie man einen Aldi-Markt aus den 1970er Jahren kennt: ein enger fensterloser Schlauch, alles wirkt ein bisschen gedrängt und düster. Kein Wunder, dass das Unternehmen mittlerweile viel großzügiger baut und der Standort Huestraße eine Art Überbleibsel einer längst vergangenen Firmenperiode ist.
Nicht nur irgendeine Filiale
„Das ist aber der ,Aldi I’ und nicht irgendeine Filiale“, unterstreicht Siegfried Brandenburg (CDU), Ratsherr für Schonnebeck und Vorsitzender der örtlichen Kaufmannschaft, die sich hier ganz unprosaisch „Werbeblock“ nennt. Und der „Block“ ist gegen einen Umzug des Discounters rund 200 Meter weiter. Nicht weil er so gerne mit einem historischen Schaudern einkaufen geht, sondern weil er schlicht einen Absturz des Stadtteilkerns mit seinen Einzelhändlern fürchtet.
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Ins gleiche Horn blasen auch die rund 340 Mitglieder der benachbarten Siedlergemeinschaft der ECA-Siedlung. Das Gros der Vorortpolitiker in der Bezirksvertretung VI hat ähnliche Bedenken geäußert und das städtische Planungsamt möchte gerne mit der Aufstellung eines neuen Bebauungsplans die Verlagerung zur Ecke Portendieckstraße verhindern: alles zum Schutz der lokalen Kaufmannschaft.
Dass ihr einmal die Schonnebecker Familie Albrecht angehörte, die in den Frühzeiten mit einem Heringsfass durch den Stadtteil gezogen ist, kann man sich heute kaum noch vorstellen. „Das war aber so“, unterstreicht Brandenburg. Von dem Kaufmann F.W. Judt hatte Vater Albrecht das „Kaufhaus“, ein Kolonialwarengeschäft, an der damaligen Mittelstraße 89 übernommen. Ob dies tatsächlich das allererste Ladenlokal der Albrechts war, lässt sich heute allerdings nicht mehr ganz zweifelsfrei ermitteln.
Letztendlich aber ist wohl auch nicht ganz so wichtig, ob Karl Albrecht hier zur Firmengründung 1913 seine ersten Waren stapelte, oder ob es bereits der erste Umzug in ein größeres Geschäft in den 1920er Jahren darstellte. Die Albrechtsöhne Karl jr. und Theo sind erst Jahrzehnte später auf die Idee gekommen, ihre Kunden die billigen Waren selbst aus den Kartons in die Einkaufskörbe stapeln zu lassen. An der Huestraße 89 liegt sicher eine Keimzelle des heutigen Weltunternehmens.
Und das unterstreicht der Werbeblocker Brandenburg: „Wenn andere Unternehmen zu weltweiter Bedeutung kommen, dann haben die Gründungsstandorte etwas davon. In Schonnebeck aber haben wir nichts.“ Er wünscht sich an der Stelle des heutigen Marktes ein Museum oder eine ähnliche Einrichtung, die der historischen Bedeutung gerecht wird.
Darauf wird Siegfried Brandenburg aber wohl noch einige Zeit warten müssen. Aldi ist nicht gerade für sein Geschichtsbewusstsein bekannt. Und dass man in 200 Metern Entfernung in naher Zukunft einen neuen Markt bauen kann, damit sollte man bei so viel Gegenwehr nicht unbedingt rechnen. Über kurz oder lang wird man vor Ort aber schon einkalkulieren müssen, dass der Konzern das alte Haus durch eine moderne Immobilie an anderer Stelle ersetzen wird. Vielleicht wird die Huestraße 89 dann tatsächlich das, wonach sie heute schon fast ein bisschen aussieht: ein Museum.