Essen. .

Erst vor kurzem präsentiere die Forbesliste sie als die allerreichsten Deutschen - immer noch. Die Aldi-Brüder Albrecht aus Essen schafften es von kleinsten Anfängen zu einem märchenhaften Vermögen. Immer noch braucht aber detektivischen Spürsinn, wer diese Story erzählen will.

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Neulich wurde uns, wie alle Jahre, die „Forbes-Liste“ mit den Milliardären der Welt präsentiert. Wie immer zählten Karl Albrecht (17.3 Mrd. Euro Vermögen) und sein Bruder Theo (12,3 Mrd.) zu den allerreichsten Deutschen, auch wenn Theo diesmal von Platz zwei auf Platz drei zurückgefallen ist. Wie es zu den Schätzungen kommt, ist allerdings rätselhaft – zumal bei den verschwiegenen Aldi-Brüdern, die „Forbes“ auf Anfrage kaum die Uhrzeit verraten würden. Eigentlich weiß man nichts über die beiden, offiziell nicht mal, wo sie wohnen. Dabei haben sie ganz bodenständig angefangen - in Schonnebeck.

Das Kapitel „Historie“ auf der Website von Aldi-Süd geht so: „1913: Gründung des Familienunternehmens Aldi in Essen. 1960: Gründung der beiden rechtlich eigenständigen Unternehmensgruppen Aldi Süd und Aldi Nord.“ Das ist alles. Bei Aldi-Nord dürfte selbst diese Durchsage schon als geschwätzig gelten. Da steht auf der Website zur Geschichte – nichts.

1913 waren die Brüder Albrecht noch nicht geboren. Schonnebeck war ein spärlich bebautes Dorf in der Bürgermeisterei Stoppenberg. Vater Karl Albrecht soll Bergmann gewesen sein. Die Arbeit, lesen wir in inoffiziellen Aldi-Geschichten, habe ihn krank gemacht, so dass er sich bei einer Brotfabrik verdingte. Der Lohn dort sei so karg gewesen, dass Anna, seine Frau, 1913 einen Laden als zweite Einkommensquelle gründete. Und dieses Geschäft, heißt es oft, existiere in der Schonnebecker Huestraße 89 als Aldi noch heute.

Karl begann mit einer Lehre im Essener Feinkostgeschäft Weiler

Aber war es wirklich Albrechts erstes Geschäft? Eher nicht. 1913, da hieß die Huestraße noch Mittelstraße, hatte im neuen Haus Nr. 89 erst kurz zuvor der Kaufmann F.W. Judt sein Geschäft eröffnet. Karl Albrecht, der Bäcker, wohnte nebenan, und es sieht ganz so aus, als habe er Judts Laden übernommen. Aber schwerlich schon 1913: Eine Anzeige im Adressbuch 1911 preist Judts neue Kolonialwarenhandlung immerhin als „Kaufhaus“, und auch wenn das werblich übertrieben war, dürfte das Geschäft eine Nummer zu groß gewesen sein für den Aushilfsbäcker Albrecht. Der wird 1913 irgendwo anders einen kleineren Laden eröffnet und das „Kaufhaus“ erst in den Zwanzigern übernommen haben. Im Adressbuch 1928 der Bürgermeisterei Stoppenberg - die Bücher davor sind im Stadtarchiv verschollen - heißt es dann endlich: „Albrecht, Karl, Kaufmann, Otto-Hue-Str.89“.

Bei Albrechts daheim wurde 1920 Karl Hans geboren; 1922 folgte Theodor Paul. Karl machte nach der Schule eine Lehre beim bekannten Essener Feinkostgeschäft Weiler; sein Bruder lernte im elterlichen Geschäft. Den Krieg machte der eine in Afrika mit, der andere in Russland. Bald nach ihrer Heimkehr, so liest man, übernahmen die Brüder den Laden - von ihrer Mutter. Ob Karl senior damals schon gestorben war, bleibt im Dunkeln. Wegen der Namensgleichheit mit seinem Ältesten sind da auch die Adressbücher keine Hilfe.

Tasten bis zum Konzept

Der erste Aldi-Laden von Karl Albrecht in Essen, um 1950-1960. Foto: Archiv
Der erste Aldi-Laden von Karl Albrecht in Essen, um 1950-1960. Foto: Archiv

Anna Albrecht war noch 1953 als „Geschäftsinhaberin“ verzeichnet – als längst ihre Söhne den Ton angeben. Das war schon 1948 so, berichtet die heute 80jährige Martha G. Sie wurde in jenem Jahr von Karl als Verkäuferin eingestellt. Das Geschäft an der Huestraße sei da noch ein normaler Lebensmittelladen gewesen, sagt sie. Bald arbeitete sie in einer Filiale an der Ecke Saatbruchstraße / Nachbarnweg, das war sogar „ein richtiger Tante-Emma-Laden“. Wie andere Filialen - 1950 gab es 13 – sei er aber bald geschlossen worden. Offenbar tasteten sich die Brüder erst an das richtige Konzept heran.

1953 hatten sie es wohl gefunden, beinahe zufällig, wie Karl Albrecht Kollegen des Lebensmittelverbandes verriet: Weil sie Geld zum Aufbau der Filialen brauchten, konnten sie ein breites Sortiment noch nicht bieten. Und dann merkten sie, dass es auch so ging. Um die Kunden trotz der schmalen Auswahl zu binden, „verkauften wir unsere Ware entschieden billiger“. Bedienung gab es zwar noch, aber nur noch als „Massenabfertigung“, wie Albrecht selbst einräumte. Und: „Unsere ganze Werbung liegt im billigen Preis“. Das Aldi-Prinzip war also 1953 schon fast perfekt. Nur das Aldi-Schweigen hatte Karl noch nicht erfunden.

Im Adressbuch von 1954 heißt es schon „Lebensmittelfilialbetrieb“ unter „Albrecht, Karl“. Aber die Familie blieb noch ganz bodenständig in ihrem Viertel. Karl und seine Mutter wohnten über dem Laden in der Huestraße. Die neue Zentrale samt Lager war um die Ecke in der Gerhardstraße 3, und nahebei lag auch Theos Wohnung, in der Saatbruchstraße 2. In Schonnebeck gehörten die Albrechts noch richtig dazu, sagt Martha G.

„Das war ein guter Chef“

An Karl Albrecht erinnert sie sich gern: „Das war ein guter Chef“, freundlich und fürsorglich. Sparsam seien die Abrechts allerdings gewesen; so habe sie für das Öfchen ihres Tante-Emma-Ladens im Winter keine Kohlen gekriegt. „Ziehen Sie sich dick an“, habe Theo empfohlen, den die einstige Verkäuferin allgemein als schwieriger empfunden hat. Ihm sei es damals auch schon peinlich gewesen, wenn ein ehemaliger Schulkamerad ihn duzte. Das Ende der Schonnebecker Bodenständigkeit zeichnete sich ab.

Karl Albrecht. Foto: Archiv
Karl Albrecht. Foto: Archiv

Mitte der fünfziger Jahre war es soweit: Theo zog von der Saatbruchstraße in die Bredeneyer Westerwaldstraße, wo sich die Villen der Wirtschaftswunder-Kapitäne reihten. Karl baute am Hackenberghang, oberhalb der Ruhr in Schuir. 1960, da gab es schon 300 Albrecht-Filialen, etablierten die Brüder eine neue Zentrale in der Innenstadt, Baedekerstraße 3. Damit waren die Albrechts aus der Schonnebecker Gesellschaft verschwunden, ohne in einer anderen anzukommen: privat abgeschieden, als Unternehmer in Essen kaum präsent. Oder erinnert sich wer an die Albrecht-Zentrale in der Baedekerstraße?

So nahm es auch kaum jemand zur Kenntnis, dass die Brüder 1961 ihr Reich aufteilten in Süd (Karl) und Nord (Theo). Die Firmen arbeiteten ja weiter eng zusammen. Als 1962 in Dortmund der erste Aldi-Laden entstanden war - Aldi wie Albrecht Discount -, setzten beide Brüder ihren Erfolg unter dieser Marke fort und konnten so noch leichter hinter ihrem Unternehmen verschwinden. Bald waren es nur noch Ältere, die „nachen Albrecht“ gingen. Die anderen kauften bei Aldi, und das waren Läden ohne jeden Pep, da interessierte man sich auch kaum für deren unauffällige Besitzer.

Gewiss, es wirbelte 1971 viel Staub auf, als ein verkrachter Anwalt und ein krimineller Komplize Theo Albrecht brutal entführten und die damals unglaubliche Summe von sieben Millionen Mark Lösegeld erpressten. Aber der Staub legte sich auch wieder, während die Albrechts sich erst recht unsichtbar machten. Als ihre Imperien über die Welt wuchsen, ihr Reichtum legendär, die jährliche „Forbes“-Liste Routine und das Einkaufen bei Aldi „Kult“ wurden, war es für Neugier zu spät: Karl und Theo Albrecht hatten ihre Spuren verwischt.

Karl hatte 1961 den Sitz seines Süd-Reiches sofort nach Mülheim verlegt. Die Zentrale in der Essener Baedekerstraße ging, wie die Schonnebecker Zweigstelle Gerhardstraße und jeder Aldi-Laden in Essen, an Theo. Der verlegte seine Zentrale später nach Essen-Kray. Mit ihren Privatwohnsitzen standen die Albrechts noch lange brav im Adressbuch – am längsten, bis 1993, ausgerechnet Theo. Vielleicht wohnten sie in Essen nur noch pro forma und wollten Schnüffler so ablenken.

Haus-Verwirrungen

Theo Albrecht. Foto: Archiv
Theo Albrecht. Foto: Archiv

Journalisten, die immer mal wieder um die Albrecht-Villen herumstrichen, sind bei Nachbarn auf eisiges Schweigen gestoßen - Aldi-Schweigen. Theo Albrecht soll im übrigen auf Föhr wohnen, wird gemunkelt. Längst nicht mehr, antworten andere. Karl wird mal mit Donaueschingen in Verbindung gebracht, mal mit Köln, mal mit der Schweiz. Die letzten bekannten Fotos der Brüder sind Paparazzo-Schnappschüsse, 1987 für „Forbes“ entstanden. Die Albrechts, sollen „Forbes“-Leute geseufzt haben, leben „zurückgezogener als der Yeti“.

Karl übergab die Leitung des Geschäfts schon 1994 an familienfremde Manager und zog sich zurück. Der misstrauische Theo brauchte länger, bis er Aldi-Nord seinen Söhnen anvertraute; er soll noch bis vor wenigen Jahren regelmäßig in die Firmenzentrale chauffiert worden sein. Das jeweilige Vermögen steckt in Familienstiftungen - sicher aus finanztechnischen Gründen. Soweit die Brüder Gutes tun mit ihrem Geld, geschieht auch das diskret. Im übrigen soll Karl Orchideen züchten, beide Brüder sollen gern und gut Golf spielen – allerdings dürfte beim Handicap das Alter zunehmend Tribut fordern. Es wurde gemunkelt, dass die Brüder wegen strategischer Differenzen ihrer Aldi-Reiche kaum mehr miteinander sprächen. Aber das ist, wie alles in Sachen Albrecht, weitgehend Spekulation.

Ihre Diskretion sei den Patriarchen und ihren Familien gegönnt. Doch wer mit ein wenig Sinn fürs Historische durch Schonnebeck streift, kann schon melancholisch werden: Wird es auch zum hundertjährigen Aldi-Jubiläum in drei Jahren nur Kaffeesatzleserei geben? Wie viel Zeit bleibt noch, um dieses Stück Stadtgeschichte mit Informationen aus erster Hand zu schreiben? Wenigstens von 1913 bis – sagen wir: 1970? Wenn Karl und Theo Albrecht dafür das Aldi-Schweigen brächen und jetzt ihre Sicht der Schonnebecker Erfolgsstory zu Protokoll gäben - „Aldi informiert“ - es wäre noch ein Beitrag zur Kulturhauptstadt. Ein nachhaltiger. Und zwar zum Discount-Preis. Das müsste den Brüdern doch gefallen.