Essen. . Anlässlich der Ausstellung „Critical Mess — zwischen Graffiti und zeitgenössischer Kunst“ im Forum Kunst und Architektur in Essen diskutierten Graffitikünstler und ihre Gegner im Café Zentral darüber, ob Graffiti Kunst ist oder nicht.
Recht auf Kunstfreiheit ist gut, Recht auf Eigentum ist böse: Dies war der Tenor, der bei einer Diskussion zum Thema „pro und contra Graffiti“ im Café Central des Schauspiels Essen sichtbar wurde.
Auch Spraydosen-Skeptiker zeigten sich gegen Ende des zweieinhalbstündigen Abends geläutert, Graffiti-Künstler durften sich wie Helden fühlen.
Die Diskussionsrunde, die anlässlich der Ausstellung „Critical Mess — zwischen Graffiti und zeitgenössischer Kunst“ im Forum Kunst und Architektur darüber streiten sollte, ob Graffiti nun Kunst sind oder weg können, ist hochkarätig besetzt: Neben dem Graffitikünstler Gigo Propaganda, dem Architekten und zweiten Vorsitzenden des Forums Peter Brdenk, dem Ausstellungskuratoren Robert Kaltenhäuser und zwei Essenern, die in ihrer Funktion als „Bürger“vom Theater ausgewählt wurden, hat auch Dietrich Goldmann auf dem Podium Platz genommen. Der Vorsitzende der Jury „Kunst im öffentlichen Raum“ und ehemalige Allbau-Vorstand hat zumindest anfangs noch eine kritische Einstellung zu Wandbesprühungen: „Ich befürworte, dass Graffiti-Tags seit 2005 als Sachbeschädigung hart geahndet werden können.“ Am Ende freilich knickt er auch in diesem Punkt ein und bekennt, dass er als Allbau-Vorstand nie von diesem Recht Gebrauch machte — unter großem Applaus des Publikums, bei dem man kritische Stimmen zum Thema Graffiti vergeblich sucht.
„Selbst in freien Zeiten soll Kunst den Arsch hinhalten und provokant sein“
Doch nicht jede Lobhudelei wird gerne angenommen: So wehrt sich Gigo Propaganda gegen die vom Soziologen Stefan Hochstadt angestrebte Beförderung von Sprayern zu generellen Revoluzzern, die einen Aufstand der Besitzlosen im öffentlichen Raum wagten: „Selbst in freien Zeiten soll Kunst den Arsch hinhalten und provokant sein“, ärgert er sich. „Dabei gibt es auch Kunst, die einfach nur schön sein will.“
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Dies nun kann Robert Kaltenhäuser so nicht stehenlassen. Schließlich ist die Illegalität des Graffitis für ihn offenbar die Grundvoraussetzung für Qualität. Und so stellt er den Sprayer, dem Strafverfolgung droht, auf eine Stufe mit einem Dissidenten im Ostblock.
Ein Vergleich, den Goldmann immerhin als „unwirklich“ abkanzelt: Man wolle auch gar nicht den Graffiti-Künstler, der sich an Brücken und Ruinen zu schaffen macht, strafrechtlich verfolgen: „Es geht um den Privatmann, dessen Haus beschmiert wird, nachdem sein Haus renoviert wurde.“ Mit der Entgegnung des Soziologen Hochstadt, „die Aufgeräumtheit der Fassaden ist die Behauptung einer cleanen Welt“ lässt er die Diskussion vollends in eine intellektuell-verbrämte Ecke abdriften, die nur schwerlich mit der Realität in Einklang zu bringen ist.
„Wenn Graffiti nicht mehr illegal sind, sie sie nicht mehr inspirierend"
Genau so realitätsfremd ist für viele aus der Szene der von Goldmann unterstützte Vorschlag, mehr legale Flächen für Sprayer zu schaffen. So unterstreicht eine junge Frau im Publikum, die sich als Graffiti-Fan outet: „Wenn Graffiti nicht mehr illegal sind, sie sie nicht mehr inspirierend. Ich hoffe, dass, wenn Graffiti an Wänden erlaubt wird, die Leute anfangen, Autos zu besprühen.“ Ein Gedanke, der Goldmann nach eigenem Bekunden nachdenklich stimmt. Warum auch immer.