Essen.
Die Essener SPD hat eine neue Willkommens-Geste für Migranten vorgeschlagen: So soll die Einbürgerungsurkunde nicht im Amt, sondern vor Ort in den Stadtteilen überreicht werden. In Essen hat knapp jeder vierte Bürger eine Zuwanderungsgeschichte.
In einem unwirtlichen Gewerbegebiet an der Schederhofstraße (Westviertel) werden Ausländer zu Deutschen. Es geschieht in einem funktionalen Zweckbau der städtischen Ausländerbehörde, Raum 215. Zwei graue Tische, darauf drei Stempel. Drei Stühle. Zwei Gestecke aus Plastikblumen sollen staatstragende Feierlichkeit verbreiten. In der Ecke des Raums stehen drei Flaggen. Die Essener, die von NRW, die deutsche.
Hier, in diesem Raum, übergibt Angelika Fischer immer donnerstags und freitags Einbürgerungsurkunden an Ausländer, die die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Angelika Fischer ist Gruppenleiterin des „Sachgebiets Einbürgerung“ des Einwohneramtes der Stadt Essen. Rund 900 Ausländer erhalten im Jahr eine solche Urkunde, können damit den deutschen Pass beantragen. Für viele ist dies das ersehnte Ende einer langen bürokratischen Prozedur.
Acht Jahre muss man hier wohnen, um einen deutschen Pass zu erhalten. Man muss einen Beruf haben, keine Vorstrafen. „Wir versuchen“, sagt Angelika Fischer, „den Moment der Übergabe dann so festlich wie möglich zu gestalten. Doch wenn man 25 Urkunden hintereinander verteilt, ist da nicht immer Platz für Persönliches.“ Die Reaktionen? Unterschiedlich, wie Menschen eben so sind: Viele Neubürger blieben regungslos, andere fingen vor Rührung an zu weinen. „Da werden selbst Männer weich.“
„Denn dort, im Stadtteil findet die Integration ja statt“
Die SPD schlägt jetzt vor, dass die Einbürgerungsurkunden künftig nicht mehr an der Schederhofstraße, sondern von den Bürgermeistern der neun Stadtbezirke übergeben werden sollen – vor Ort. „Denn dort, im Stadtteil“, sagt Karla Brennecke-Roos, die integrationspolitische Sprecherin der SPD-Ratsfraktion, „findet die Integration ja statt. Wenn wir einen neuen Mitbürger begrüßen dürfen, sollte das einen entsprechenden Rahmen bekommen.“ Als Schauplätze schweben ihr historische Gebäude mit Ambiente vor – das Rathaus in Kray etwa oder Schloss Borbeck.
In Essen hat knapp jeder vierte Bürger eine Zuwanderungsgeschichte. In der Stadt leben 138 307 Menschen mit so genanntem „Migrationshintergrund“ (Stand Ende 2010) – Ausländer ohne deutschen Pass, Migranten mit deutschem Pass, Doppelstaatler oder Bürger, deren Eltern im Ausland geboren wurden. In vielen Stadtteilen hat schon jeder zweite Jugendliche ausländische Wurzeln.
„Die Bezirksbürgermeister haben schon jetzt viel zu tun mit den Senioren-Ehrungen“
Zum Beispiel im Bezirk I, der weite Teile der City umfasst. Bezirksbürgermeister Peter Valerius „könnte sich grundsätzlich vorstellen“, künftig auch Einbürgerungsurkunden zu übergeben. Doch Valerius warnt: „Die Bezirksbürgermeister haben schon jetzt viel zu tun mit den Senioren-Ehrungen.“
Im Auftrag des Oberbürgermeisters besuchen die Bezirksbürgermeister jeden Bürger über 90, der seinen Geburtstag feiert, überreichen Blumen und richten Glückwünsche aus. Valerius: „Allein ich mache das rund 300 Mal im Jahr.“ Insgesamt seien mehr als 4500 Bürger in der Stadt älter als 90, Tendenz steigend. Die Stadt stellt derzeit ihre Integrationsarbeit neu auf. Die SPD will mit dem Vorschlag die Diskussion weiter beleben. Im Mai, so ist geplant, soll über die künftige Integrationsarbeit abgestimmt werden.