Essen.. Gegen Sicherheitsschleusen und stundenlanges Warten: Das Ausländeramt plant eine Service-Offensive. Die geht der Politik allerdings nicht weit genug, man will eine völlig neue Willkommenskultur. Ein „Welcome Center“ soll aufgebaut werden.
Eine geplante Service-Offensive des Ausländeramts an der Schederhofstraße geht der Politik nicht weit genug: Essen brauche eine völlig neue Willkommenskultur für Migranten – ohne Sicherheitsschleusen und stundenlanges Warten. Eine ganz andere Form von Integrationsarbeit inklusive Wohlfühlatmosphäre soll künftig in einem zu schaffenden Informations- und Servicecenter mit dem Arbeitstitel „Essen International“ geleistet werden.
Dies ist ein Ergebnis einer Beratungskommission, die sich auf Initiative der Grünen ein Jahr lang mit der Frage beschäftigte, wie sich Essen internationaler aufstellen kann – über den Fakt hinaus, dass in der Stadt 170 Nationalitäten auszumachen sind.
Voraussichtlich sechs Ratsfraktionen werden in der Mittwoch-Sitzung des Stadtparlaments nicht nur die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe beraten, sondern auch ein Konzept für eine zentrale Anlaufstelle nach dem Vorbild des Hamburger „Welcome Centers“ fordern. Dort wird seit Jahren aktiv um neue Bürger, um hochqualifizierte Kräfte und Talente unter den integrationswilligen Migranten geworben, in dem man ihnen Service aus einer Hand bietet. Ausländische Investoren bekommen Gründungs- und Finanzierungsberatungen, können gleichzeitig aber auch Anträge für eine Aufenthaltserlaubnis und eine Gewerbeanmeldung stellen. Können sie’s nicht, kann ihnen geholfen werden.
Ausländerbehörde "wie ein Hochsicherheitstrakt"
Essen will das auch, weil die Stadt nicht das Nachsehen haben darf im Wettbewerb um die besten Köpfe. Gleichzeitig sind Mittel und Wege zu finden, um benachteiligten Bevölkerungsgruppen den Anschluss zu erhalten. „Wir müssen das inländische Erwerbspersonenpotenzial weitestgehend ausschöpfen“ und „wir brauchen qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland“, betonte die stellvertretende Chefin der Essener Industrie- und Handelskammer, die sich ebenfalls für ein „Welcome Center“ ausspricht, jüngst auf einer Tagung zum Thema. Für Veronika Lühl wirkt die Ausländerbehörde „eher wie ein Hochsicherheitstrakt“ mit „verängstigten Kindern, deren Eltern von Sicherheitspersonal körperlich untersucht werden, verunsicherten Asylbewerbern, aufgebrachten Migranten und nicht selten angespannten Mitarbeitern“.
Ende 2009 lebten in Essen 133.000 zugewanderte Menschen. Das waren 23 Prozent der Gesamtbevölkerung. In zehn Jahren werden zwei Drittel aller Neugeborenen in den Nord-Bezirken in einem Haushalt leben, in dem mindestens ein Elternteil ausländische Wurzeln hat.
Burak Copur zum Sinn und Zweck der Anlaufstelle
Voraussichtlich mit den Stimmen von SPD,CDU, Grünen, FDP, Linke und EBB wird die Stadt in der Ratssitzung am Mittwoch beauftragt, bis zum Mai ein Konzept für das Informations- und Servicecenter „Essen International“ zu entwickeln. NRZ-Redakteur Jörg Maibaum sprach aus diesem Anlass mit Grünen-Ratsherr Burak Copur, migrationspolitscher Sprecher, über Sinn und Zweck einer solchen Anlaufstelle.
Wir haben doch eine Ausländerbehörde, warum braucht Essen ein Welcome-Center?
Burak Copur: Essen und die Ruhrgebietsstädte sind aufgrund der demographischen Entwicklung zunehmend auf hochqualifizierte Talente und Migranten angewiesen, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sein wollen. Deutschlands Metropolen haben bereits die Integration als einen weichen Standortfaktor entdeckt und aktiv begonnen, um die besten Köpfe der Welt zu werben. So hat zum Beispiel Hamburg ein Welcome-Center für hochqualifizierte Zuwanderer eingerichtet, das diesen Willkommenskultur und Servicefreundlichkeit bietet. Wir konkurrieren mit diesen Städten um die Talente. Die Ausländerbehörde in Essen ist denkbar ungeeignet für eine solche Zielgruppe und ist auch von einer solchen Kultur meilenweit entfernt.
Wie sieht die tagtägliche Situation im Essener Ausländeramt denn aus?
Copur: Hier müssen zunächst alle Neuankömmlinge und hier geborenen Migranten durch eine Sicherheitsschleuse wie in einem Flughafen gehen, die sich in einem Hochsicherheitstrakt außerhalb der Innenstadt befindet. Auch die stellvertretende Chefin der Essener Industrie- und Handelskammer, Veronika Lühl, sieht die Situation in der Behörde kritisch. Auf einer Tagung der Bertelsmann-Stiftung zu Ausländerämtern hat der renommierte Migrationsforscher Professor Bade bei uns festgestellt: „Entweder Sicherheitsschleusen für alle Essener oder für keinen.“ Die Leitung der Behörde will ihre Mitarbeiter angeblich vor den ganzen kriminellen schwerbewaffneten Ausländern schützen und argumentiert in einer E-Mail an mich, dass „das Tragen und Benutzen von unter anderem Stichwaffen in diesen Kulturkreisen nicht unüblich ist“. Was für eine Erniedrigung und Diskriminierung von Migranten in einer angeblich weltoffenen internationalen Stadt.
Die Forderung nach einem modernen Integrationsamt in Essen ist mehrere Jahre alt. Sie findet sich bereits als Idee der Grünen in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU aus dem Jahr 2004 wieder. Warum dauert die Umsetzung so lange?
Copur: Es stimmt. Ich hatte damals erstmalig die Idee eines Integrationsamts in die Diskussion eingebracht. Das Prinzip: Eine Aufgabe, ein Amt. Doch es gibt zwei Leitbilder in Deutschlands Ausländerämtern: Das eine ist das von „Laschet&Wulff“, das andere ist das von „Koch&Seehofer“. Die Spitze unserer Behörde hängt noch dem letzteren Leitbild an, einer veralteten Denkweise von einem Deutschland, das kein Einwanderungsland sein will. Diese Mentalität ist über Jahrzehnte gewachsen, die bis heute nur schwer zu überwinden ist.
Die Ausländerbehörde hat eine Umorganisationen angekündigt. Der Politik scheint das nicht zu genügen. Warum nicht?
Copur: Die Tagung der Bertelsmann-Stiftung in Essen hat gezeigt, dass unsere Ausländerbehörde mit ihrem Sonderweg im Umgang mit Migranten unter den anderen Ausländerämtern völlig isoliert ist. Dass sie nun Reformen ankündigt, ist längst überfällig. Das Aufwachen freut mich trotzdem, auch wenn letztlich die Politik den Wecker gestellt hat und der Druck zum Aufstehen immer größer wurde. Die Umorganisation darf aber kein Ersatz für das Welcome-Center sein, denn unabdingbar ist die interkulturelle Kompetenz, Willkommenskultur und Servicequalität.
Wie geht’s nun weiter, wann und wo kann ein Welcome-Center entstehen?
Copur: Über das Modell von Hamburg hinaus wollen wir ein Welcome-Center für alle Migranten, auch für die, die schon hier sind. Für die Gründung eines solchen Centers soll ein Konzept in der Ratssitzung im Mai 2011 erstellt werden, das genau diese Fragen der personellen Umsetzung, Finanzierung und Örtlichkeit prüfen soll. Klar muss aber sein: Das Center sollte eine offene Tür im Herzen der Stadt Essen und freundliche serviceorientierte Mitarbeiter haben. Und dieses kompetente Personal haben wir in der Verwaltung.
Was darf das Ganze kosten?
Copur: Das kann man derzeit schwer sagen. Je nachdem, ob man den großen Wurf will oder eher eine Mini-Variante. Internationalität, Metropolenflair und kulturelle Vielfalt gibt es nicht zum Nulltarif. Die Stadtspitze um den OB muss das Thema zur Chefsache machen und die Politik notfalls auch bereit sein, im Haushalt zuungunsten anderer Maßnahmen umzuschichten. Das ist schließlich eine Zukunftsinvestition in den Standort Essen.
Wie steht Essen zur Zeit im Vergleich mit anderen Städten da, was das gezielte Um- und Anwerben internationaler Fachkräfte angeht?
Copur: Ganz am Anfang. Das Welcome-Center wäre vor dem Hintergrund der Kulturhauptstadt-Vision schon mal ein richtiger Schritt weg von einer Stadt mit (noch) Provinzcharakter hin zu einer Großstadt mit Internationalität.