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Immer häufiger schreitet die Polizei gegen Gewalt in Beziehungen ein. 659 Strafanzeigen wegen häuslicher Gewalt hat sie im vergangenen Jahr geschrieben und in 392 Fällen, 33 mehr als im Vorjahr, dem Gewalttäter für zehn Tage aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen. Grundlage dafür bietet seit zehn Jahren das Gewaltschutzgesetz. Das Rückkehrverbot hat schon vielen Opfern geholfen, sagen Polizei-Praktiker und Opferschützer. Aber: Ein Allheilmittel ist es nicht.

Es passiert jeden Tag (meistens: jede Nacht). Hilfe, heißt es am Polizei-Notruf 110, mein Mann schlägt mich! Oder: Kommen Sie schnell, der Meier vermöbelt seine Freundin! „Oft sind es gar nicht die Opfer, sondern die Nachbarn, die Alarm schlagen“, weiß Hauptkommissar Andreas Malberger aus seiner Erfahrung im Streifendienst.

Am Tatort angekommen, bieten sich den Beamten meist hoch dramatische Szenarien. In mehr als 90 Prozent der Fälle ist es der Mann, der der Frau Gewalt angetan hat, aber die umgekehrte Version hat Malberger auch schon erlebt. „Die Bandbreite ist groß. Wir haben schon ganz massive Misshandlungen gesehen. Es kommt sehr häufig vor, dass mit Gegenständen geschlagen wird.“ Am schlimmsten sind die Einsätze in Wohnungen, in denen im Hintergrund verstörte Kinder kauern.

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Von DerWesten

Was dann kommt, hat die Polizei trainiert. Ruhig im Ton, aber bestimmt in der Sache, wird der Täter aus der Wohnung geworfen. „Wir geben ihm Gelegenheit, ein paar Sachen zusammen zu packen“, sagt Malberger. „Und dann sagen wir ihm: Sie gehen jetzt aus der Wohnung, weil Sie der Aggressor sind.“ Zehn Tage darf der Verwiesene nicht in die Wohnung zurück kehren, muss bei Freunden, Verwandten oder im Hotel unterkommen. Wenn er beteuert, nicht zu wissen, wo er bleiben soll, verweisen ihn die Beamten an die städtischen Notschlafstellen. Ein Verstoß gegen dieses Verbot kostet beim ersten Mal 250, im Wiederholungsfall 500 Euro.

„Wir haben oft den Fall, dass der Schläger schon verschwunden ist, wenn wir kommen“, sagt Malberger. Das schützt den Mann aber nicht vor dem Verbot: Dann findet er es schriftlich an seine Tür gepinnt oder im Briefkasten.

Das Opfer hat jetzt Zeit zum unbedrohten Luftholen. „In der akuten Situation ist die Frau kaum in der Lage, rational zu reagieren“, hat Malberger beobachtet. Ihr Zeit für die Entscheidung zu geben, wie es weiter gehen soll, ist der eigentliche Sinn des Gewaltschutzgesetzes. Die Polizei versucht den Frauen dabei zu helfen. „Wir versuchen möglichst schnell mit den Opfern ins Gespräch zu kommen“, sagt Hauptkommissar Stefan Knyn, der im Kommissariat 61 die Strafanzeigen bearbeitet. Er hört zuweilen erschütternde Geschichten, die häufig den Kehrreim haben: „Der schlägt mich schon seit Jahren.“ Wie schon die Beamten am Tatort bietet Knyn den Frauen Hilfe von der Frauenberatung oder dem polizeilichen Opferschutz an. „Wir verstehen uns als Bindeglied zum Opferschutz.“ Das funktioniert: Bei fast jedem zweiten Rückkehrverbot nahmen die Gewaltopfer 2010 die Vermittlung zur Frauenberatung dankbar an.

Das Rückkehrverbot für den Schläger ist nur die erste Stufe eines Schutz-Systems. Darauf weist Lutz Müller vom Kommissariat Vorbeugung die Frauen regelmäßig hin. Sie können bei Gericht ein „Kontaktaufnahme- und Näherungsverbot“ erwirken. Allein das Stellen dieses Antrages bewirkt, dass sich das Rückkehrverbot um weitere zehn Tage verlängert.

Die Polizei kontrolliert übrigens in Essen zwei Mal, ob der Angreifer dieses Verbot auch einhält. Lässt der Schläger so gar nicht locker, kann ein Richter ihn sogar ins Gefängnis stecken, sagt Müller: Deeskalationshaft heißt diese Maßnahme, die allerdings in der Regel nur bei lebensbedrohlichen Fällen angewandt wird. Für die verfolgten Frauen bietet die Polizei in Hochrisiko-Fällen auch Personenschutz.

Die Schutzmaßnahmen des Gesetzes greifen also. Und dennoch können sie nicht allen Frauen helfen. „Oft übt die Familie massiven Druck aus auf die Frauen, die Trennung rückgängig zu machen“, hat Malberger beobachtet. Stefan Knyn fügt hinzu: „Ich sage es nicht gern, aber ganz problematisch sind Fälle in muslimischen Familien. In denen sind die Frauen besonders starkem Druck ausgesetzt, die Familienehre nicht zu beschmutzen.“

Kriminologen machen gern die populäre Rechnung auf: Die Kombination aus Alkohol und Armut produziert häusliche Gewalt. Diese These wollen weder Polizeipraktiker noch Opferschützer so unterschreiben. „Natürlich spielt Alkohol eine sehr große Rolle als Auslöser für Eskalationen von Gewalt“, sagt Andreas Malberger. Aber in dieser Frage ist er sich einig mit dem Kripomann Stefan Knyn und dem Opferschützer Lutz Müller: „Schläge gegen die Ehefrau passieren beileibe nicht nur im Essener Norden. Häusliche Gewalt kommt in den besten Familien vor.“