Essen. .
Ein 51-jähriger Sexualstraftäter ist nach Essen gezogen. Der Mann musste nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden.
Wieder ist ein entlassener Sexualstraftäter nach Essen gezogen. Und wieder steht im Hintergrund das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das nachträgliche Sicherungsverwahrung für unrechtmäßig erklärte. Der 51-Jährige hat eine Wohnung am Südrand der Innenstadt und ist wegen des EU-Urteils ein freier Mann. Was für die Polizei keineswegs bedeutet, dass er automatisch als ungefährlich zu gelten hat. Beamte in Zivil verfolgen den Mann auf Schritt und Tritt.
Auch interessant
Eine Alltagsszene geht so: Der verurteilte Straftäter ruft bei den Polizisten an, die auf dem Flur vor seiner Tür stehen. Er will raus auf die Straße. Die Zivilbeamten raten ab, weil die Presse da ist. Er geht trotzdem, nimmt den Aufzug. Es ist sein gutes Recht, schließlich ist er ein freier Mann. Er läuft Richtung Innenstadt, die Polizisten einige Meter hinter ihm. Die Beamten bleiben an seinen Fersen, bis ihr Schützling wieder hinter seiner Wohnungstür verschwunden ist.
Großer polizeilicher
Personalaufwand
Seit einer Woche geht das so, rund um die Uhr. Dem Vernehmen nach soll der 51-Jährige mehrfach Frauen vergewaltigt haben - die Polizei will dazu nichts sagen. Der Straftäter kam direkt aus der Justizvollzuganstalt Werl, hat dort seine Strafe abgesessen, suchte sich die Wohnung in dem 123-Parteien-Haus aus. Wenn er im Haus ist, stehen zwei Beamte vor seiner Tür. Zwei andere sitzen draußen im Auto, das im Halteverbot auf dem Bürgersteig parkt. Die meiste Zeit verbringen sie mit Warten. Es weiß ja keiner, wann die Zielperson den nächsten Rundgang macht. Könnte ja auch nachts um drei Uhr sein. Nachbarn wollen gezählt haben, dass die Aktion 30 Beamte bindet. Eine aufwändige Sache ist es ganz gewiss. Offiziell will die Polizei zur Personalstärke nichts sagen. Die Kosten ließen sich schwer beziffern, da die Polizisten sowieso im Einsatz seien. Aber sie fehlen dann vielleicht anderswo.
„Wir werden diese Maßnahmen so lange durchführen, bis wir die Situation neu bewerten können“, sagt Polizeisprecher Lars Lindemann. Die Essener Polizei wolle herausfinden, wie gefährlich der Observierte wirklich ist. Vielleicht sei es nach einer solchen Klärung – wie in anderen Fällen – möglich, mit ihm Vereinbarungen zu treffen. Zum Beispiel, dass er sich regelmäßig meldet, die Polizei ihm Besuche abstattet. Vielleicht muss er aber auch dauerhaft beobachtet werden, weil man ihn weiter für zu gefährlich hält. Die Richter, deren nachträgliche Anordnung einer Sicherungsverwahrung kassiert wurde, gingen von dieser Gefährlichkeit jedenfalls aus.
Bei den Nachbarn im Haus wächst die Unruhe. So langsam spricht sich herum, wer hier mit ihnen unter einem Dach wohnt. Die Polizisten fallen auf. „Amazing“ – „Unglaublich“, findet ein britischer Mieter das, was hier gerade passiert. Eine andere Nachbarin sagt, dass sie Angst hat. „Aber die Polizei ist ja da.“ Genau das findet Heiko Tiensch besonders schlimm: „Der muss ja irgendwo wohnen. Es kann aber nicht sein, dass alle anderen Mieter darunter leiden müssen.“
Der Straftäter auf freiem Fuß setzt seinen Weg durch die Stadt fort. Er stapft durch den Regen, zieht sich die Kapuze immer weiter ins Gesicht. Die Fußgängerampel zeigt rot, der Mann wartet. Ein paar Meter hinter ihm bleiben auch die Polizisten stehen. Der Observierte will nicht über seine Tat und sein Schicksal reden. Er wendet sich ab. Ein Stück weiter stolpert er fast über eine tote Taube. Die Polizisten immer hinterher. Eine absurd anmutende Karawane mitten in Essen.