Neuss. .
Beim Landeskriminalamt NRW hat eine neue Zentralstelle ein Konzept zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern erarbeitet. Es soll als eine Art Frühwarnsystem wirken.
Seine Masche ist immer dieselbe. Gezielt sucht er sich alleinerziehende Frauen aus, Mütter von zwölf- bis fünfzehnjährigen Jungen. An die macht er sich heran, mimt den fürsorglichen Ersatzpapa, einzig, um das Kind irgendwann zu missbrauchen. Mehrfach schon ist der Mann deshalb verurteilt, inhaftiert worden. Als er nun aus der Haft entlassen wird, findet er erneut Zuflucht bei der Mutter eines pubertierenden Jungen. „Inzwischen hatten wir das Muster genau analysiert und beobachteten ihn. Wir griffen ein“, sagt Stefan Thomaßen vom Landeskriminalamt. Einzig die Frau mochte nicht glauben, was sie hörte.
Der Fall ist ein realer und typisch für die Arbeit der neu gegründeten Zentralstelle im Landeskriminalamt. Kurs heißt sie, Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern, und sie sammelt sämtliche Informationen, die es über einen Täter gibt. Seine Strafakte, die Gerichtsurteile, psychologische Gutachten, Hinweise auf möglicherweise gefährdete Personen. Analysiert werden all die Daten in einer Fallkonferenz, in der Juristen, Polizisten und Vertreter lokaler Behörden zusammensitzen, um ein individuelles Schutzkonzept zu entwickeln.
Risiken erkennen und gegensteuern
Zwei Jahre lang arbeitete das LKA an diesem Konzept, seit Anfang des Jahres wird es eingesetzt. „Wir sehen es als eine Art Frühwarnsystem, als Chance, Risiken zu erkennen und gegenzusteuern“, erklärt LKA-Chef Wolfgang Gatzke. Aus der Haft entlassene Sexualstraftäter seien ein emotionales Thema, besetzt mit Ängsten. Wohnt womöglich bei mir in der Nachbarschaft ein aus der Haft Entlassener? Und wenn ja, was unternimmt die Polizei?
Der Fall Karl D., der nach seiner Entlassung aus der Haft bei seinem Bruder im Kreis Heinsberg unterkam, zeigt wie extrem sich solch ein Fall entwickeln kann. Weil er öffentlich bekannt wurde, vor über einem Jahr war das, wird Karl D. inzwischen rund um die Uhr von vier Polizisten bewacht. Dabei ist er tatsächlich nur einer von vielen - der jedoch bei seinen Taten besonders brutal agierte.
Vier Monate vor der Entlassung eines Sexualtäters wird das LKA informiert. Auch danach fließt jede für den Fall relevante Information in das System ein. Wenn etwa ein nach der Haft unter Führungsaufsicht stehender Täter trotz der Auflage, keinen Alkohol zu trinken, betrunken auffällt, könnte das Anlass sein, „wirksame Korsettstangen einzuziehen, um die Gefahr einer neuen Straftat abzuwehren“, sagt LKA-Chef Gatzke.
Kontaktverbot verhängt
Im Fall des Mannes etwa, der sich an alleinerziehende Mutter heranmachte, wurde ein Kontaktverbot verhängt. Er musste bei der Frau wieder ausziehen und jeden Kontakt zu deren Sohn meiden. Zusätzlich wurde das Jugendamt eingeschaltet, um die Mutter zu beraten, die sich offenbar so in den Mann verliebt hatte, dass sie sich nicht vorstellen konnte, er könne eine Gefahr für ihr Kind sein.
„Es ist natürlich eine Gratwanderung. Einerseits muss die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet werden, andererseits hat ein entlassener Gefangener Anspruch auf Freiheit und Achtung seiner Persönlichkeitsrechte“, so Gatzke. Doch gerade vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom Mai, das die nachträgliche Sicherungsverwahrung über die zulässige Höchstdauer hinaus als Verstoß gegen die Menschenrechte bezeichnet, sei Kurs von Bedeutung, so Gatzke.
In NRW gibt es 25 Sicherungsverwahrte, auf die das Urteil zutrifft, die möglicherweise bald entlassen werden müssen. Und beim LKA weiß man, 50 Prozent der Rückfall-Straftaten geschehen in den ersten sechs Monaten nach der Haft.