Bochum.

27 Sicherungsverwahrte aus den Justizvollzugsanstalten Werl und Aachen haben Anträge auf ihre Entlassung gestellt. Die Anhörungen beginnen in diesen Wochen.

Die Bochumer Staatsanwaltschaft hatte noch Beschwerde eingelegt. Vergebens. Am Ende bestätigt das Oberlandesgericht Hamm die Entscheidung, die zuvor Essener Richter getroffen haben: Der Mann muss freigelassen werden! Der 58-Jährige, der nach zehn Jahren Haft wegen Vergewaltigung und schwerer räuberischer Erpressung weitere zehn Jahre in nachträglich verordneter Sicherungsverwahrung verbracht hatte, lebt nun in Freiheit.

Frei, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im Mai in einem ähnlichen Fall eine längere nachträgliche Verwahrung als Verstoß gegen die Menschenrechte verurteilt hatte. Dem 58-jährigen, der in Gelsenkirchen in einer sozialtherapeutischen Einrichtung untergebracht war, wurde zuvor von Gutachtern eine „vorsichtig günstige“ Rückfallprognose bescheinigt. „Für das Oberlandesgericht war nachvollziehbar, was die Essener Richter festgestellt hatten“, erklärt Ulrike Kaup, Sprecherin des Oberlandesgerichts.

Müller-Piepenkötter: Kein Automatismus bei Entlassungen

Der erste Fall, die erste Freilassung eines Schwerverbrechers aus der nachträglich verordneten Sicherungsverwahrung, weitere werden folgen. 27 Sicherungsverwahrte, auf die das Urteil zutrifft, sitzen in den Justizvollzugsanstalten von Werl und Aachen und haben längst Anträge auf ihre Entlassung gestellt. Noch in diesen Wochen werden sich die Strafvollzugskammern der zuständigen Landgerichte Arnsberg und Aachen zu Anhörungen in die Justizvollzugsanstalten begeben.

Mal werden sie nach Aktenlage entscheiden können, mal nach Anhörung des Betroffenen, in manchem Fall werden sie vielleicht ein psychologisches Gutachten in Auftrag geben. Justizministerin Müller-Piepenkötter (CDU) hatte direkt nach dem Urteil klargemacht, dass es keinen Automatismus bei den Entlassungen geben werde und jeder Fall individuell geprüft werde.

Rechtlich scheint tatsächlich noch einiges unklar zu sein. Welche Bindungswirkung hat die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung die zulässige Höchstdauer zur Tatzeit nicht überschreiten darf? Müsste nicht erst einmal das Bundesverfassungsgericht ein Urteil fällen? In anderen Bundesländern empfahlen die Justizminister den Staatsanwälten, grundsätzlich Rechtsmittel einzulegen, wenn eine Strafvollstreckungskammer zugunsten eines Sicherungsverwahrten entscheidet. Man will Zeit gewinnen bis sich das Bundesverfassungsgericht damit befasst hat.

Sicherheitsbedenken in der Bevölkerung

„Ich rechne nicht so ganz schnell mit weiteren Freilassungen“, sagt denn auch Michael Skirl, der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl. Zwölf der dort sicherungsverwahrten Männer haben einen Antrag gestellt. Skirl glaubt, dass man wegen der Sicherheitsbedenken in der Bevölkerung nichts übereilen werde. Gleichwohl habe ihn das Justizministerium aufgefordert, die Entlassungen vorzubereiten, heißt, sich Gedanken zu machen, wo die Männer unterkommen könnten, ob es Arbeit für sie gebe.

Justizministerin Müller-Piepenkötter drängt gerade vor diesem Hintergrund auf eine Reform der Sicherungsverwahrung. Kurz vor der Justizminister-Konferenz Ende Juni in Hamburg, schrieb sie ihre Kollegen an und bat, wegen der aktuellen Lage „schnellstmöglich“ ein Problem in Angriff zu nehmen. Müller-Piepenkötter zielt auf eine Gesetzesänderung, die den Einsatz von Fußfesseln ermöglicht. Die Zeit dränge, schreibt die Ministerin, schließlich erwarte man „vermehrt die Entlassung von Sicherungsverwahrten“.

Wie teuer die Rund-um-die-Uhr-Bewachung solcher Männer ist, weiß sie nur allzu genau. Im Kreis Heinsberg observieren vier Beamte seit mehr als einem Jahr Tag und Nacht den aus der Haft entlassenen Sexualtäter Karl D..