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Immer wieder stehen Stellenwert und Honorierung der hausärztlichen Tätigkeit im Blickpunkt. Während die Politik anstrebt, die Honorarzuwächse zu drosseln, fordern die Hausärzte selbst höhere Anerkennung ihrer Arbeit sowie eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit, die immer neue Aufgaben umfasst. Unsere Zeitung begleitete einen Tag die Mediziner einer Hausarztpraxis in Überruhr durch ihren turbulenten Alltag.
Montagmorgen, 7.30 Uhr. Die Schlange vor der noch verschlossenen Tür der Gemeinschaftspraxis Ruhrhalbinsel, Lehmanns Brink 5, ist nur kurz. „Es sind Ferien“, erklärt Praxismanagerin Barbara Schulz. „Normalerweise drängen sich hier um diese Zeit schon so viele Patienten, dass wir selbst kaum zur Tür reinkommen.“ Dennoch stehen allein für den Vormittag rund 40 Patienten für jeden der drei praktizierenden Ärzte auf dem Terminplan: Adalbert Röcken, Andrea Neeff und Dr. Bettina Rudolph haben Dienst; Dr. Christiane Bielefeld und Carsten Klugewitz sind im Urlaub.
8 Uhr. Ein Telefon klingelt, das zweite stimmt ein. Diskretion bitte. Abstand halten. So mahnen stumm die Schilder an der Wand und vor der Anmeldung warten geduldig die Patienten. Die einen wollen zur Blutabnahme, andere zum EKG, eine Frau möchte ein Rezept und ein älterer Herr ohne Termin zum Arzt.
Der Praxisalltag brummt und Jenny Lehmhecker und Katharina Gaspers bitten immer wieder um die Versichertenkarte. „Obwohl sie inzwischen zum Alltag gehört, lassen viele Patienten sie erstmal stecken und warten ab, ob sie wirklich gebraucht wird“, so Barbara Schulz. „Und auch die zehn Euro beim ersten Besuch im Quartal sitzen bei vielen nicht locker, das ständige Nachfragen geht mitunter aber doch an die Nerven.“
9.15 Uhr. Sechs Patienten warten vor der Anmeldung. Die jungen Frauen hinter dem Tresen tippen unaufhörlich auf den Tastaturen ihrer Computer, überprüfen die Daten der Patienten, aktualisieren den Terminplan, drucken Rezepte aus, und schicken die Patienten auf die richtigen Wege in der sich über zwei Etagen ausdehnenden Praxis. Weitere Arzthelferinnen huschen hin und her und Dr. Bettina Rudoph, die heute Morgen die Akutsprechstunde betreut, eilt zwischen zwei Patientengesprächen zum Tresen, um Rezepte und Überweisungen zu unterschreiben und Anweisungen zu geben.
Verschärftes Vorgehen
10.20 Uhr. Eine Frau meldet sich an der Anmeldung zur Blutabnahme. „Ich habe jetzt einen Termin“, sagt sie. Doch dann stellt sich heraus, sie ist eine Stunde zu früh da. Dennoch darf sie bleiben. Eine andere Frau hat ihre Versichertenkarte vergessen. „Das ist ein Problem, erklärt Barbara Schulz. „Wir kommen ohne Karte nur sehr schwer ins Computersystem. Wir behandeln dann nur, wenn es ein Notfall ist, sonst muss der Patient erst die Karte holen.
Wir haben unser Vorgehen verschärft, weil wir zuletzt am Ende des Quartals über 100 Versicherten wegen ihrer nicht eingelesenen Karten hinterhertelefonieren mussten.“ Und obwohl die Praxisgebühr inzwischen zum Alltag gehöre, gäbe es nach wie vor Bemerkungen, wie „Na, dann machen Sie sich mal einen schönen Tag.“
11 Uhr. Im Wartebereich von Adalbert Röcken wartet Hermann Maier* auf seinen Hausarzt. „Ich bin schon seit über 20 Jahren hier in Behandlung“, erzählt der 61-Jährige und schmunzelt. „Der Doktor ist unser Familienarzt: Meine Frau kommt hierher, und auch mein Bruder, Schwägerin sowie Nichten und Neffen. Und meine Eltern gingen einst zum Gründer dieser Praxis Dr. Roese.“ Etwa zweimal pro Quartal besucht der Mann seinen Hausarzt. „Ich muss halt allein schon alle drei Monate zur Vorsorge wegen einer Herzerkrankung“, so Maier.
11.20 Uhr. Bei Andrea Neeff haben inzwischen Patienten mit schwerer Depression, einer Rippenprellung, entgleistem Diabetes, Gürtelrose, Herzbeschwerden und schwerem Schmerzsyndrom Rat und Hilfe gesucht. Bei einer 73-Jährigen hat Andrea Neeff den Verdacht, dass sie einen Tumor haben könnte. Sie organisiert einen Termin im Krankenhaus, spricht mit dem dortigen Arzt, erledigt die Formalitäten, kümmert sich immer wieder um die Patientin. Im Nu ist über eine halbe Stunde verstrichen, während im Wartebereich eine Patientin – unwissend über die Dramatik der Lage – ungeduldig auf die Uhr blickt.
500 Patienten an einem normalen Montagmorgen
11.45 Uhr. Kurz vor Ende der Vormittagssprechstunde verlässt Maria Schlüter* den Behandlungsraum von Andrea Neeff. „Ich bin Patientin der ersten Stunde“, strahlt die 65-Jährige. „Ich komme schon seit 1974 in diese Praxis.“ Den Wandel von der kleinen Praxis des Gründers zur großen Praxisgemeinschaft mit fünf Ärzten hatte die Überruhrerin in der Anfangszeit als „erschreckend“ empfunden. „Doch das hat sich schnell gelegt. Alles ist gut organisiert und ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben.“ Vor allem schätzt Schlüter die Spezialisierung der verschiedenen Hausärzte in den insgesamt vier Praxisgemeinschaften. „Das erspart viele Wege zum Facharzt.“
12.05 Uhr. Rund 270 Patienten wurden von dem Praxisteam am Vormittag betreut, rund 50 Blutabnahmen und 30 EKGs gemacht. „Außerhalb der Ferien finden sich an einem normalen Montagmorgen aber durchaus 500 Patienten in der Praxis ein“, meint Barbara Schulze. Während die Sprechstunde von Adalbert Röcken auch in der Mittagszeit weiter läuft - sieben Patienten sitzen um diese Zeit in seinem Wartebereich - beginnen nun für Andrea Neeff die Hausbesuche. Vier Patienten stehen auf ihrer Liste: Ein fast blinder, älterer Herr mit Platzwunde, eine 87-jährige Parkinson-Patientin und zwei Multiple-Sklerose-Patienten mit Infekten. „Diese Hausbesuche mache ich, weil sie notwendig sind. Da kann ich nicht fragen, ob sie sich rechnen“, erklärt Andrea Neeff. „Für jeden Patienten gibt es die Pauschale von 33 Euro, mehr nicht. Ob ich Hausbesuche mache, oder nicht.“
13 Uhr. Die Hausbesuche sind beendet. Andrea Neeff widmet sich nun der Bürokratie: Fünf Anträge zur Kur, zur Beurteilung des Schwerbehindertengrades sowie ein „Antrag auf einen Antrag zur Rehabilitation“ liegen auf ihrem Schreibtisch. Hinzu kommt die Dokumentation der Patientenbesuche vom Vormittag.
15 Uhr. Die Nachmittagssprechstunde beginnt. 15 Patienten warten bereits vor der Tür. Andrea Neeff übernimmt nun die Akutsprechstunde. Blutabnahmen, EKG, Rezepte, Gespräche... Rund 80 Patienten brauchen bis zum Abend Rat und Hilfe der Mediziner in der Hausarztpraxis.
17.45 Uhr. Kurz vor Ende der Sprechstunde drängen sich noch mal einige Patienten vor der Anmeldung, wollen noch zum Arzt. „Vor 19.30 Uhr ist sicher kein Feierabend“, vermutet Andrea Neeff. Um 20 Uhr ist dann noch Teambesprechung. Und am nächsten Morgen geht es weiter: Dann stehen ab 7.30 Uhr wieder die ersten Patienten vor der Tür.