Essen.
Vor 50 Jahren stieß man bei Bauarbeiten für ein Parkhaus in der Innenstadt auf den größten Münzfund in der Essener Geschichte. Die jüngste Münze stammte dabei von 1733. Das Grundstück gehörte der früheren Essener Torhüterfamilie Billebrinck.
Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Davon weiß der Frohnhauser Numismatiker Heinz Josef Kramer ein Lied zu singen. Jetzt las er davon, dass das Parkhaus an der Rottstraße abgerissen werden soll. Es wurde im Herbst 1960 erbaut und war lange Zeit ein ungeliebtes städtebauliches Kind. Was aber nur wenige Essener wissen: Bei seiner Errichtung wurde vor 50 Jahren der größte je in Essen gehobene Münzschatz gefunden. Und das ist eine spannende Stadt- und Familiengeschichte.
Kramer blickt zurück: „Der bei Baggerarbeiten an der Ecke Kastanienallee/Rottstraße gefundene Münzschatz bestand aus 492 Exemplaren. Er wurde in einem Gemüsegarten in rund eineinhalb Meter Tiefe freigelegt.“ Der Fund blieb von der Öffentlichkeit zunächst unbemerkt. „Drei Jahrzehnte lag er im Tresor des Ruhrlandmuseums. Niemand wusste um seine Bedeutung.“ Seinerzeit, so Kramer, gab es drei wesentliche Erkenntnisse: „Der Schatz bestand fast ausschließlich aus Kleingeld. Der Herkunftsbereich des Geldes erstreckte sich auf fast alle deutschen und einige außerdeutsche Währungsgebiete. Der Fund war in einem Haus verborgen, das nach Mitte des 19. Jahrhunderts abgerissen worden war.“ Doch wem gehörte das Geld ursprünglich?
Münzfund stammt vom Grundstück der alten Essener Torhüterfamilie Billebrinck
Kramer machte sich an die Recherchen und erhielt den entscheidenden Hinweis, dass das Amt eines Torwächters am Viehofer- und am Steeler Tor noch 1803 von der Essener Familie Billebrinck ausgeübt wurde, die auf dem Grundstück des heutigen Parkhauses Wohnhaus und Garten hatte. Einer alten Stadtchronik entnahm er: „Es konnte kein gemütlicheres und bequemeres Leben geben als das der Essener Torwächter. Ihre Entlohnung erfolgte nach einer festen Gebührenordnung. Eine nicht unerhebliche zusätzliche Einnahme dürften die Trinkgelder gewesen sein. Wer abends nach Schließung der Tore noch Einlass begehrte, musste sich dies mit einem Trinkgeld erkaufen. Aber auch die durchreisenden Fremden kamen nicht ungeschoren davon. In Essen kreuzten sich zwei wichtige Fernverkehrswege. Da es keine Umgehungsstraßen gab, mussten alle die Stadttore passieren. Dem Torwächter wird dabei auch manche exotische Münze zugesteckt worden sein.“ Kramer schlussfolgert augenzwinkernd: „Es geht also um Trink- und wohl auch um Bestechungsgelder.“
Wie der Numismatiker ermittelte, gehörte die Familie Billebrinck zu den alteingessenen in Essen. 1739 wird sie erstmals urkundlich nachgewiesen: „Da die Spartätigkeit im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts abbrach, ist anzunehmen, dass der letzte Torwächter der Familie, Friedrich Billebrinck, schon nichts mehr von dem Sparschatz in seinem Haus wusste. Friedrichs Vater muss das Geheimnis um den von ihm, seinem Vater und wahrscheinlich bereits von seinem Großvater angesammelten Schatz mit ins Grab genommen haben. Das Versteck muss so gut gewählt worden sein, dass es weder in den nachfolgenden Jahrzehnten innerhalb des Hauses noch beim Abbruch entdeckt werden konnte.“
Von den Essener Torwächtern ist in den städtischen Quellen nur selten die Rede. Sie unterstanden nicht unmittelbar der Amtsgewalt des Bürgermeisters. Vier Vorsteher in der Bauerschaft, die „Burmester“, besorgten die Anstellung der Torwächter. Zu deren Pflichten gehörte außer dem Öffnen und Schließen der Tore auch die Aufsicht über die im Torturm einsitzenden Gefangenen.
Vielleicht sollte der Schatz von der Parkhaus-Baustelle einem Essener Geldinstitut mal eine Ausstellung wert sein. Es wäre ein reizvoller Rückblick auf die Zeiten vor Omas Sparstrumpf.