Essen. Vor 20 Jahren wurde die Philharmonie im Saalbau eröffnet. Eine Festwoche weckt Erinnerungen an den Weg zum musikalischen Aushängeschild.
Was haben Musikgrößen wie Cecilia Bartoli, Stargeiger Daniel Hope und Entertainer Götz Alsmann gemeinsam? Sie sind Fans der Essener Philharmonie! Auf den Mauern des alten maroden Saalbaus errichtet, hat sich das Haus in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer der besten und beliebtesten Konzertadressen Europas entwickelt. 20 Jahre währt nun die Erfolgsgeschichte der Essener Philharmonie, deren Geschichte doch weit älter ist. Weil es viel zu erzählen gibt, richtet das Konzerthaus eine ganze Festwoche rund um das Jubiläum aus.
An fünf Abenden, vom 10. bis 14. Juni, treffen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kunst, Medien und Architektur sowie die vielen Förderer zu Podiumsgesprächen und lassen die bewegte Geschichte der Philharmonie Essen Revue passieren. Zum glanzvollen Abschluss spielen Anne-Sophie Mutter und das Dallas Symphony Orchestra am Samstag, 15. Juni, ein Festkonzert, das live für alle auch in den Stadtgarten übertragen wird. Dort laufen vom 10. bis 14. Juni auch die beliebten „Park-Sounds“, Programme für elektronische Musik.
Ein Konzertprogramm für die Stadt und ihre unterschiedlichen Besuchergruppen anzubieten, das ist schließlich das erklärte Ziel der Philharmonie-Intendantin Marie Babette Nierenz, die das Amt vor einem Jahr offiziell übernommen hat. Mit der Philharmonie Essen verbindet sie mehr als nur der jetzige Chefinnen-Posten. Denn Nierenz ist als Mitarbeiterin im künstlerischen Betriebsbüro schon 2004 dabei, als die Erfolgsgeschichte ihren Anfang nimmt. Am 5. Juni jenes Jahres wird der Saal mit einem gefeierten Konzert der Essener Philharmoniker eröffnet. Doch bis zu diesem Tag ist viel passiert. Nierenz hat deshalb viele Zeitzeugen von damals noch einmal getroffen. Die Geschichten und Erlebnisse, die sie gehört hat, waren so farbig und umfassend, dass für die Intendantin schnell klar war: „Wir wollen diese Menschen noch einmal zu Wort kommen lassen.“
Und so ist die Festwoche auch eine Zeitreise, bei der der Philharmonie-Architekt Peter Busmann und der Akustiker Karlheinz Müller ebenso zu Wort kommen wie der damalige Projektsteuerer Klaus Wolff, der ehemalige Intendant Johannes Bultmann oder Entertainer Götz Alsmann. Eingeladen sind natürlich auch die Mitinitiatoren jenes historisch zu bewertenden Bürgerbegehrens, das den Umbau des Saalbaus zur Philharmonie Essen erst möglich gemacht hat.
Bürgerbegehren macht Umbau des Saalbaus möglich
Allein die Vorgeschichte dieses politischen Coups ist so umfassend, dass sie etliche Aktenordner füllt. Christian Hülsmann, Stadtdirektor a.D., hat die Prozesse um den Widerstand gegen den Teilabriss des Saalbaus damals als Geschäftsführer der CDU-Ratsfraktion begleitet und 2020 unter dem Titel „Zeitenwende“ sogar ein Buch verfasst, in dem er das Entstehen und den Ablauf des Bürgerbegehrens beschreibt. Hülsmann wird deshalb genauso auf dem Podium sitzen wie der damalige Kulturdezernent Oliver Scheytt, dessen SPD mit der Philharmonie damals in schweres Fahrwasser gerät.
Die Klagen über marode Bausubstanz und eine völlig antiquierte Bühnentechnik des Saalbaus sorgen in den 1990ern zwar schon lange für erhitzte Gemüter. Doch als eine SPD-Mehrheit Ende 1998 für den Bau einer neuen Philharmonie am Berliner Platz stimmt und Teile des historischen Saalbaus für den Bau zweier Hochhaustürme weichen sollen, ist der Aufruhr groß. Knapp 89.000 Essenerinnen und Essener sprechen sich gegen die Pläne aus und sorgen mit ihrer Unterschrift für das bis heute erfolgreichste Bürgerbegehren der Stadt und ein politisches Nachbeben.
Bei der Kommunalwahl im Herbst 1999 übertrumpft die CDU die SPD erstmals mit 47,2 Prozent. Danach werden die Weichen für den Umbau des alten Saalbaus zur neuen Philharmonie Essen gestellt. Zwei Jahre, von März 2002 bis Juni 2004, dauert der Umbau, bei dem der Kuppelsaal komplett erneuert und um ein Geschoss erweitert wird. Den Löwenanteil der Kosten in Höhe von 75 Millionen Euro trägt neben dem Land NRW vor allem die Krupp-Stiftung. Die Stadt finanziert ihren Anteil über ein Investorenmodell. Die Essener Wirtschaft und weitere Stiftungen unterstützen das Haus auch in den Folgejahren mit namhaften Summen.
Zur glanzvollen Eröffnung der neuen Philharmonie am 5. Juni 2004 erinnern die Essener Philharmoniker mit Richard Strauss‘‚ Alpensinfonie auch an die Anfänge des historischen Saalbaus, den der Komponist einst persönlich beehrte. Am Pult steht damals der amtierende und mittlerweile verstorbene Generalmusikdirektor Stefan Soltesz, lange Zeit enthusiastischer Befürworter eines Philharmonie-Neubaus und am Ende doch begeistert vom neuen Klang in dem traditionsreichen Haus, das mit seiner direkten Nachbarschaft zum Aalto-Theater für eine ziemlich einmalige Koexistenz sorgt – und zwei Arbeitsstätten der Essener Philharmoniker in unmittelbarer Nachbarschaft ermöglicht.
Das Jubiläums-Programm
Im Rahmen der Festwoche organisiert die Philharmonie Essen vom 10. bis 14. Juni fünf Podiumsgespräche im RWE Pavillon der Philharmonie. Der Eintritt ist frei, Daniel Finkernagel moderiert jeweils ab 18.30 Uhr.
Am 10. Juni werden die politischen Facetten beleuchtet, unter anderem mit dem Stadtdirektor a.D. Christian Hülsmann, dem damaligen Kulturdezernenten Oliver Scheytt, Krupp-Stiftungs-Vorstand Volker Troche und Johannes Geymüller als Mitinitiator des damaligen Bürgerbegehrens. Am 11. Juni sprechen Vertreter von Kunststiftung NRW, National-Bank und Sparkasse über das Thema Förderungen.
Bau und Architektur stehen am 12. Juni im Fokus, wenn sich Philharmonie-Architekt Peter Busmann, Akustiker Karlheinz Müller, Projektentwickler Klaus Wolff und Stadtdirektor a. D. Hans-Jürgen Best auf dem Podium treffen. Rund ums Thema Medien kreist die Gesprächsrunde am 13. Juni, unter anderem dabei: der ehemalige WAZ-Lokalchef Wulf Mämpel und Tobias Korenke, Unternehmenssprecher der FUNKE Mediengruppe. Über die Kunst sprechen am 14. Juni unter anderem Angelo Bard vom Orchestervorstand der Essener Philharmoniker, Multiinstrumentalist Götz Alsmann und Intendantin Marie Babette Nierenz.
Für den musikalischen Rahmen sorgen an jedem Abend Musiker der Essener Philharmoniker.
Außen wie innen gelingt dabei eine stimmige Verjüngung: Birkenhölzer an den Wänden, terrakottafarbene Wände und Bestuhlung sorgen für eine warme, einladende Atmosphäre. Das Hauptportal mit seinem Garderobentrakt atmet weiter die erhaltene Fünfziger-Jahre-Architektur. So strahlt der Saalbau nun „neu und ehrwürdig zugleich“, wie die FAZ zur Eröffnung lobt:. „Und wer je in der großgaststättenhaften Unwirtlichkeit des alten Saals eine Veranstaltung abgesessen hat, wird sich die von so viel Licht geblendeten Augen reiben.“
Entlassung von Intendant Michael Kaufmann sorgt für Schlagzeilen
Nicht nur das Interieur sorgt für Aufsehen. Gründungs-Intendant Michael Kaufmann startet ein wahres Eröffnungsfeuerwerk mit Pultstars von Sir Simon Rattle bis Kurt Masur. Der Glanz bekommt Risse, als Kaufmann 2008 wegen einer massiven Überziehung des künstlerischen Etats vom damaligen Kulturdezernenten Oliver Scheytt gegen den Willen mancher Sponsoren geschasst wird. Der Philharmonie-Streit sorgt für Schlagzeilen und Nachwehen. Auf der Landkarte der internationalen Klassikgrößen hat das Essener Konzerthaus seither gleichwohl einen festen Platz.
Entertainment und Weltmusik, Jazz und eine Vielzahl von Kinder- und Jugendangeboten bereichern heute das Angebot, das mittlerweile rund 160 Eigenveranstaltungen im Jahr umfasst – mehr als ein Drittel davon mit Vermittlungscharakter, wie Marie Babette Nierenz betont. Die Intendantin wird nicht müde, als Türöffnerin im Dienste der Klassik auch Zielgruppen anzusprechen, die in der Vergangenheit nicht jeder Philharmonie-Chef auf dem Schirm hatte. Der Schlüssel zum Erfolg liege eben nicht allein in der Programmgestaltung, sondern sei vor allem auch eine Frage der Vermittlung. „Ich rede mit jedem, weil ich jedem etwas bieten möchte“, sagt Nierenz.
Was für die Ansprache der Besucher gilt, trifft auch bei den Künstlern zu. „Wir müssen die großen Orchester erst einmal gewinnen, sie kommen nicht von allein. Aber wenn sie einmal da waren, kommen sie auch gerne wieder“, hat Nierenz den Wert gelebter Gastfreundschaft erkannt. Kein prominenter Klangkörper, der Essen in den vergangenen Jahren nicht einen Besuch abgestattet hat, von den Berliner Philharmonikern bis zu New York Philharmonic. „My violin sounds better in your hall“ („Meine Geige klingt besser in diesem Konzertsaal“) , frohlockten hinterher nicht nur Musiker des Chicago Symphony Orchestra über den warmen, tragenden und trotzdem transparenten Klang. Das Urteil vieler Philharmonie-Künstler, so Nierenz, sei einhellig: „Einer der besten Säle Europas.“
Nicht nur Künstler seien so zu gewinnen. Auch unter den Sponsoren, mit denen man maßgeschneiderte Partnerschafts-Konzepte entwickelt, hat die Philharmonie einen guten Stand. „Viele empfehlen uns schon untereinander“, freut sich Nierenz.
Renommee-trächtige Auftritte von Topstars wie Tenor Jonas Kaufmann oder Tastenkönner Igor Levit machen sich gut als Aushängeschild. Aber auch im Bereich der Popularmusik ist die Philharmonie Essen für viele Veranstalter eine wichtige Adresse. Vicky Leandros ist erst vor wenigen Wochen aufgetreten. Kultbands wie „Alphaville“ beehren die Philharmonie mit sinfonischer Begleitung, Jazz-Ikone Gregory Porter oder der charismatische „Roxy Music“-Frontmann Bryan Ferry haben in Essen schon vorbeigeschaut. „Wir sind Anwälte der Klassik“, sagt Nierenz, aber auch für „Entertainment mit Tiefgang“ sei in dem festlichen Saal mit seinen 1906 Plätzen Raum, der sich dank beweglicher Hubpodien in wenigen Minuten auch in einen riesigen Festsaal ohne ansteigendes Gestühl verwandeln kann.
Neben Tagungen und großen Kongressen entfaltet der Saal seine besondere Anziehung auch bei den Philharmonischen Bällen, die vor vier Jahren wieder ins Leben gerufen wurden und mittlerweile schon Kultstatus im Ruhrgebiet erlangt haben. Und nicht nur glanzvolle Bälle werden gefeiert, auch städtische Vereine und heimische Chöre finden ihren Platz. Für die, das betont die Philharmonie-Chefin, „gelten andere Konditionen als für kommerzielle Veranstalter“.
„Wir sind noch nicht am Ende der Bemühungen angelangt“
Der Erfolg gibt ihr Recht. Noch ist die Spielzeit nicht zu Ende, die Zahl von 80.000 Besuchern in dieser Saison aber in Sichtweite. Die Zahlen stimmen, nicht zuletzt dank der vielen eingeworbenen Drittmittel. Als schlankste Sparte ohne eigenes Ensemble und mit zentralem Vertrieb und Verwaltung ist man unter finanziellen Gesichtspunkten ohnehin der Vorzeigekandidat der Theater und Philharmonie Essen, der am Ende nicht mal ein Prozent des städtischen Defizitausgleichs beanspruche, sagt Nierenz und hat noch viel vor. „Wir sind noch nicht am Ende der Bemühungen angelangt, aber dankbar, dass wir so viele Menschen erreichen.“
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