Essen. Es ist ein Mythos, der zwar immer wieder verblasste, aber heute so hell strahlt wie in besten Tagen – in seinem vierten architektonischen Gewand.

Es gab diese Zeit vor gut 30 Jahren, da war jedem Besucher des Essener Saalbaus klar, dass die die guten Tage des Gebäudes gezählt waren: Die Architektur wirkte marmorschwer und dunkel, die Säle, Gänge, Treppenhäuser atmeten den angestaubten Geist der frühen 50er-Jahre, der Putz bröckelte. Die Konzerte waren trotz eines hochklassigen Programms nur sehr mäßig besucht und es hatte sich mit Second-Hand-Modemärkten und Videobörsen schon ein Charakter etabliert, der mehr einer betagten Mehrzweckhalle ähnelte. „Um Essens ,gute Stube‘ ist es schlecht bestellt“ schrieb diese Zeitung schon im Mai 1990. Die Bühnen- und Tagungstechnik sei veraltet, hieß es, und auch mit der Belüftung hapere es. Ein zig millionenschwerer Sanierungsfall also.

Noch schlicht: Der alte Stadtgartensaal um 1890 herum.
Noch schlicht: Der alte Stadtgartensaal um 1890 herum. © Fotoarchiv Ruhrmuseum | Fotoarchiv Ruhrmuseum

Es waren finstere Stunden für den Saalbau – und die lokalpolitische Diskussion, was denn nun genau zu geschehen hätte, zog sich in zahlreichen Vorstößen und Schnapsideen, mit Ratsbeschlüssen und Widerstand dagegen durch die gesamten 1990er-Jahre. Insofern muss man es schon fast als Wunder ansehen, dass Anfang 2001 doch noch die immensen Umbauarbeiten in Auftrag gegeben werden konnten – nicht zuletzt durch eine gewaltige private Förderung durch Sponsoren aus Wirtschaft und Bürgerschaft. Von 2002 bis 2004 wurden insgesamt 71,5 Millionen Euro in den Umbau gesteckt. Und was für ein Umbau das war, ein grandioser Erfolg, der die davorliegenden Jahre vergessen ließ. Bei der Eröffnung war selbst eine so unverdächtige Quelle wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung voll des Lobes: „Hell und heiter, freundlich und festlich ist die Anmutung, und wer je in der düsteren, großgaststättenhaften Unwirtlichkeit des alten Saals eine Veranstaltung abgesessen hat, wird sich die von so viel Licht geblendeten Augen reiben“, hieß es. Die neue Philharmonie Essen war geboren – und hat seither ihren guten Ruf als erstklassige Konzertspielstätte gefestigt.

Mit dem Selbstbewusstsein kam der Bedarf für einen Saal

Aber vielleicht sollte man zunächst zurück an den Anfang schauen, denn dass es einen städtischen Renommierbau an dieser Stelle gibt, hängt mit dem industriellen Aufstieg des damaligen Städtchens Essen im frühen 19. Jahrhundert durch Bergbau und Stahl zusammen. „Zwischen 1840 und 1860 wurden in und um Essen insgesamt 15 Zechen abgeteuft und 16 ,Koksanstalten‘ errichtet, so daß die Stadt zum Zentrum des Ruhrbergbaus wurde“, schreibt der Historiker Klaus Wisotzky in einem Aufsatz über die Geschichte des Saalbaus. Hinzu kam der Gleisanschluss, 1847 in Altenessen, 1862 mit der Eröffnung des Hauptbahnhofs. Zwischen 1800 und 1896 schoss die Bevölkerung von 4000 auf 100.000 empor – und spätestens um 1850 herum, als man bei etwa 30.000 Einwohnern lag, war auch ein Bewusstsein für das Erblühen der Stadt vorhanden.

Ein Glanzlicht: Maria Callas-Konzert im Saalbau, März 1962
Ein Glanzlicht: Maria Callas-Konzert im Saalbau, März 1962 © Fotoarchiv Ruhrmuseum | otoarchiv Ruhrmuseum

Man errichtete 1864 den damaligen Stadtgartensaal als Fachwerkbau mit Festsaal und Restaurationsgebäude für Konzerte und Veranstaltungen. Das Wachstum der Stadt vollzog sich aber rasanter, als man es sich hatte vorstellen können. Wisotzky, der ehemalige Leiter des Essener Stadtarchivs erzählt im Gespräch: „1896 war dieser Stadtgartensaal schon wieder viel zu klein.“ Und man muss ergänzen: Er war nach 40 Jahren schon marode, durch einen Brand von 1895 dann auch erheblich beschädigt. Hinzu kam der Bewusstseinswandel in der Stadt: „Man sagte: Jetzt sind wir Großstadt, da brauchen wir ein repräsentatives Gebäude. Aber wie das so in vielen Fällen ist: Die Stadt ist arm.“ Also mussten die wohlhabenden Bürger der Stadt beispringen, unter ihnen vor allem Friedrich Alfred Krupp. Nach einem Entwurf der Architekten Skjøld Neckelmann (Stuttgart) und Carl Nordmann (Essen) entstand von 1902 bis 1904 der erste richtige, im Jugendstil errichtete Saalbau, zu dessen Einweihung niemand Geringeres als Richard Strauss dirigierte. „Das waren gewaltige, schöne, unvergeßliche Tage, die Essen noch nicht erlebt hat“, hieß es in einer Schrift des städtischen Orchesters noch 45 Jahre später – man sei damit „in die Reihe der ersten Musikstädte“ eingerückt.

Künstlerisch große Jahrzehnte

Es brachen künstlerisch große Jahrzehnte an, in denen Max Reger seinen ersten großen Erfolg im Westen feierte, die 6. Sinfonie von Gustav Mahler uraufgeführt wurde, in denen Wilhelm Furtwängler dirigierte.

Wilhelm Furtwängler mit dem Berliner Philharmonischen Orchester im Saalbau, Essen, 22. April 1933.
Wilhelm Furtwängler mit dem Berliner Philharmonischen Orchester im Saalbau, Essen, 22. April 1933. © Fotoarchiv Ruhrmuseum | Willy van Heekern

Zugleich war der Saalbau damals auch Schauplatz politischer Versammlungen und Auseinandersetzungen, unrühmlicherweise sprach schon 1926 Adolf Hitler vor Vertretern der Wirtschaft des Ruhrgebiets. Wenig überraschend hing auch das Ende dieser großen Saalbau-Ära mit den Nazis und dem von ihnen begonnenen Zweiten Weltkrieg zusammen, in der Nacht zum 26. Juli 1943 trafen Bomben das Gebäude und zerstörten es weitgehend.

Was Anfang der 50er-Jahre wiederaufgebaut wurde, war der wesentlich schlichtere Saalbau, wie man ihn bis zum Ende der 90er-Jahre kannte. Zu den Star-Gästen gehörten Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan und Sergiu Celibidache. Zu den Gästen zählten auch Yehudi Menhuin, Dietrich Fischer-Dieskau und nicht zuletzt Maria Callas.

Essener Songtage mit einem Eklat

Im Saalbau ging es aber nicht nur um klassische Musik, sondern etwa während der ersten Internationalen Songtage 1968 auch um den Kampf gegen das Establishment, als der „Weiße Saal“ von Jugendlichen gestürmt wurde, die den damaligen Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt und den auftretenden Franz Josef Degenhardt provozierten.

Zu lang ist die Gästeliste, zu vielfältig sind die Gründe fürs Wegbleiben der Gäste zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren, um alles hier aufzulisten.

Die heutige Philharmonie.
Die heutige Philharmonie. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Der Neustart im Jahr 2004 hat bewirkt, dass man sich auch über die künstlerische Qualität hinaus darum bemüht, weit vorn mitzuspielen. Karin Müller, die heutige Geschäftsführerin der Theater und Philharmonie Essen: „Für die Zukunft ist die Philharmonie bestens aufgestellt: Die Stadt Essen hält das Gebäude samt technischer Ausstattung stets auf dem neuesten Stand, was wiederum ein entscheidender Baustein ist für einen dauerhaften Konzert- und Tagungsbetrieb auf höchstem Niveau.“