Essen. Im Essener Norden schließt die Metzgerei Ziegler nach 86 Jahren, obwohl der Laden stets gut lief. Die Kunden sind aufgeschmissen.
- Am 1. Juni 2024 schließt die Fleischerei Ziegler in Essen-Stoppenberg für immer
- Die jetzigen Betreiber in dritter Generation finden keine Nachfolger
- Die Fleischwurst und der Fleischsalat haben bei vielen Leuten Kult-Status
- Viele Kunden empfinden echte Verlustgefühle und Trauer
Im Essener Stadtteil Stoppenberg schließt nach 86 Jahren die Fleischerei Ziegler, „und uns stürzt man damit ins Unglück“, sagt Kundin Petra Gibietis. Sie sagt das ganz spontan, aus dem Bauch heraus. Und damit spricht sie vielen Leuten im Essener Norden aus dem Herzen. Sie meint das nicht vorwurfsvoll. Aber voller Trauer.
Donnerstag Vormittag, bei Ziegler gibt es heute Reispfanne mit Gurkensalat als Mittagsgericht, aber jetzt, um zehn Uhr morgens, kommen Kunden, die Fleisch und Wurst für ihre Kühlschränke kaufen, „und das seit 30 Jahren“, sagt Petra Gibietis. Sie wohnt im benachbarten Schonnebeck, „und Zieglers hab‘ ich schon immer vertraut. Aufs Vertrauen kommt‘s an.“ Und auf den Geschmack natürlich: die Rinderrouladen, „die sind so zart, da schwärmen sogar meine Enkel davon“, die Steaks, die Wurst sowieso.
Gern gelesen in Essen
- Neue Therapie: Wenn das innere Kind die Psyche krank macht
- Tränen getrocknet: Essener Buchhandlung Proust gerettet
- EM-Stimmung: Achim (68) macht Essener Straße zum Fahnenmeer
- Gruga-Sommerkirmes in Essen: Diese Fahrgeschäfte sind dabei
- Projekt Rüttenscheid von „Essen diese“: Headliner steht fest
Ulrich und Monika Ziegler, die das Geschäft an der Gelsenkirchener Straße in dritter Generation betreiben, hören auf, obwohl die Geschäfte ihren Angaben zufolge sehr gut liefen. Es finde sich kein Nachfolger, Jahre lang habe man gesucht. „Deshalb muss ich demnächst nach Gelsenkirchen, um vernünftiges Fleisch zu kaufen“, sagt Petra Gibietis. „Auch in Kettwig ist mir ein Metzger empfohlen worden. Aber in Kettwig, überlegen Sie mal. Von Schonnebeck aus . . .“
„Bei mir ist es das Gleiche“, sagt der Kunde, der selbst einen Handwerksbetrieb führt
Die Kundschaft versteht, dass die Zieglers sich zur Ruhe setzen wollen nach Jahrzehnten harter Arbeit. Aber die Kundschaft versteht kaum, dass sich niemand findet, der einen gut gehenden Laden weiterführen will. Jetzt steht Dirk Jastrzembski an der Kasse, er kauft Fleischsalat und Fleischwurst für die persönliche Selbstversorgung in seiner Werkstatt. Wenige hundert Meter weiter nördlich betreibt der Kfz-Meister eine große Garage. „Bei mir ist es das Gleiche“, sagt Jastrzembski, „Sie finden einfach keine Leute mehr.“ Die Auftragsbücher seines Kfz-Betriebes sind gut gefüllt, „aber ich muss selbst ran samstags und sonntags, weil mir dauerhaft Personal fehlt.“
Kein Dutzend Metzger gibt es mehr in Essen. Im Norden ist es besonders dünn. An mangelnder Kundschaft liegt es nicht, sagen die Zieglers. „Viele machen jetzt Hamsterkäufe bei uns, frieren kiloweise Fleisch zu Hause ein.“ Auch die Regale hinter der Kasse sind teilweise schon leer, die Glas-Konserven mit Currywurst und Rindergeschnetzeltem und Königsberger Klopsen gefragter denn je. Hinter der Theke ist die Wand, an der die Zettel mit den Bestellungen hängen, schon jetzt so voll mit Papier, dass man kaum noch Fliesen sieht.
Von Katernberg bald nicht mehr nach Stoppenberg, sondern nach Schönebeck
Kunde Peter Klappers steht mit gefüllten Papiertüten an der Kasse, er kommt seit Jahren nicht zuletzt „wegen der Bierknacker“, auch diese Wurst von Ziegler erhielt schon Auszeichnungen vom Fleischer-Fachverband, „und demnächst muss ich an die Aktienstraße nach Schönebeck für einen vernünftigen Metzger.“ Auch diesen Weg will er, der Katernberger, auf sich nehmen. Wobei das ein himmelweiter Unterschied ist: von Katernberg nach Stoppenberg oder nach Schönebeck. „Aber mir ist eben Qualität wichtig.“
Kundin Corina Hofmann, die von Stoppenberg aus nach Kupferdreh muss zur Arbeit und vorher noch Extra-Portionen Schinkenmett mitnimmt für ihre Kolleginnen, sagt: „Selbst in Kupferdreh sind sie traurig, dass Zieglers schließen.“ Sie, Corina Hofmann, kaufe bei Zieglers, so lange sie denken kann, „und meine Eltern haben das auch schon gemacht.“
Die Zieglers wohnen selbst um die Ecke in Stoppenberg
Wenn Zieglers weg sind von der Gelsenkirchener Straße, dann ist nur noch Döbbe da, der Bäcker nebenan. „Für den Stadtteil ist das ein Schlag, aber was sollen wir machen“, sagt Ulrich Ziegler. Mit seiner Frau wohnt er direkt um die Ecke, also auch in Stoppenberg, „und glauben Sie mir, ich werde das nur schwer ertragen können, hier entlangzugehen und zu sehen, wie die Fenster abgeklebt sind, weil niemand die Räume übernehmen will.“
Am 1. Juni ist der letzte Verkaufstag. Vorher gibt es nochmal Rabatte auf die letzten Produkte. Man kann davon ausgehen, dass keine einzige Scheibe Wurst mehr übrig sein wird.
[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]