Essen. In der neuen Ambulanz des UKE werden Verletzungen so dokumentiert, dass auch Monate nach der Tat noch Anzeige erstattet werden kann.

Scham und Unsicherheit, der Schock oder auch der Impuls, das Ganze schnell vergessen zu wollen: Es gibt Gründe, weshalb manche Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind, vor einer Anzeige bei der Polizei zurückschrecken. Ändern sie ihre Meinung irgendwann, gestaltet sich die Beweisführung mangels gesicherter Spuren schwierig.

Doch was viele nicht wissen: Es gibt die Möglichkeit, Spuren vertraulich sichern zu lassen, ohne dass Behörden wie Polizei und Staatsanwaltschaft involviert sind. Im März 2024 hat die rechtsmedizinische Ambulanz am Standort der Ruhrlandklinik in Heidhausen eröffnet. Sie ist Teil der sogenannten „interdisziplinären Gewaltopferversorgung“ am Universitätsklinikum Essen (UKE).

Verletzungen nach einer Gewalttat werden in der neuen Essener Ambulanz kostenfrei dokumentiert

Betroffene von körperlicher Gewalt können sich bei uns zeitnah zum Vorfall vorstellen, um ihre Verletzungen dokumentieren zu lassen“, erklärt die Leiterin der neuen Ambulanz, Dr. Anna Holzer. Neben der kostenfreien Dokumentation von Verletzungen können in der rechtsmedizinischen Ambulanz auch Spuren gesichert und aufbewahrt werden. „Die Ermittlungsbehörden werden bei einer solchen vertraulichen Spurensicherung nicht verständigt“, sagt Holzer. „Falls innerhalb von fünf Jahren eine Anzeige gestellt wird, können die Beweismittel nach Entbindung der Ärztinnen und Ärzte von ihrer Schweigepflicht an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden.“

Personen, die sich in der rechtsmedizinischen Ambulanz untersuchen lassen wollen, müssen einwilligungsfähig sein. Ist diese Voraussetzung gegeben, können sich auch Betroffene unter 18 Jahren ohne einen Personensorgeberechtigten zur Untersuchung vorstellen. Bei behandlungsbedürftigen Verletzungen, etwa blutenden Wunden, die genäht werden müssen, ist eine Vorstellung in der rechtsmedizinischen Ambulanz erst nach der medizinischen Versorgung in einer Klinik möglich.

Bei einem Termin in der rechtsmedizinischen Ambulanz wird zunächst ein Anamnese-Gespräch geführt, bevor sich eine körperliche Untersuchung anschließt. Verletzungen werden fotografiert und schriftlich dokumentiert. Falls der Verdacht besteht, dass der betroffenen Person beispielweise KO-Mittel verabreicht wurden, können Blut- und Urinproben und ggf. Haarproben genommen werden. Die verschiedenen Substanzen, die als KO-Mittel bezeichnet werden, sind allerdings häufig nicht besonders lange nachweisbar, zum Teil nur wenige Stunden.

Sozialpädagogin der Essener Ambulanz kümmert sich um weitere Unterstützung von Gewaltopfern

Mit der Ambulanz könnte die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung bekannter werden.
Mit der Ambulanz könnte die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung bekannter werden. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Den behandelnden Ärztinnen und Ärzten des Universitätsklinikums Essen sowie dem Team um Anna Holzer steht zudem eine Sozialpädagogin zur Seite, die sich um die weitere Anbindung und Unterstützung für Gewaltopfer kümmert und Kontakte zu Beratungsstellen oder Hilfsangeboten herstellen kann. Die Stelle sei neu eingerichtet worden und werde durch die Stiftung der Universitätsmedizin Essen gefördert, so Holzer.

Aktuell ist die Rechtsmedizin am UKE mit acht Ärzten und Ärztinnen besetzt und arbeitet mit anderen Fachbereichen wie zum Beispiel der Kinderklinik oder der Gynäkologie zusammen. Das Team hat seit Eröffnung der Ambulanz bis Anfang Mai mehr als 30 Untersuchungen und Beratungsgespräche, überwiegend nach häuslicher Gewalt, durchgeführt.

Rechtsmedizin bewahrt Asservate auf dem Gelände der Ruhrlandklinik bis zu zehn Jahre auf

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Auch wenn die Uniklinik mit ihrer Ambulanz die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung stärker in den Fokus rückt und damit bekannter macht – neu ist sie nicht. „Jeder Mediziner sollte eine Dokumentation von Verletzungen durchführen können“ erklärt Anna Holzer. Doch mangels Routine würden bei einigen Ärzten und Ärztinnen im Praxisalltag Unsicherheiten bestehen. „Auch hier sind wir ansprechbar und erklären den Kollegen, worauf sie achten müssen.“

Kontakt zur Ambulanz

Die rechtsmedizinische Ambulanz des Universitätsklinikums Essen ist eine kostenfreie Untersuchungsstelle für Betroffene von körperlicher Gewalt und ist Teil der interdisziplinären Gewaltopferversorgung am Universitätsklinikum Essen.

Termine in der rechtsmedizinischen Ambulanz, Tüschener Weg 40, werden nach telefonischer Vereinbarung unter 0201 7233786 vergeben. Die Ambulanz ist von montags bis donnerstags, 9 bis 16 Uhr, und freitags von 9 bis 13 Uhr erreichbar.

Die vertrauliche Spurensicherung umfasst die Sicherung von Spuren am Körper, deren Dokumentation, ggf. Laboruntersuchungen und die Aufbewahrung der Befunde. Die Kosten für die Spurensicherung tragen in NRW bislang häufig die Kliniken und Institute. Zukünftig sollen die gesetzlichen Krankenkassen ohne Kenntnis von personenbezogenen Daten diese Kosten übernehmen.

Betroffene von sexualisierter Gewalt können sich bei bestimmten gynäkologischen Kliniken oder niedergelassenen Gynäkologen vorstellen, um sich untersuchen und entsprechende Spuren sichern zu lassen. Gelagert werden können die gesicherten Spuren, etwa gynäkologische Abstriche oder auch Kleidungsstücke, ebenfalls auf dem Gelände der Ruhrlandklinik, im Institut für Rechtsmedizin. Das ist anonymisiert möglich: Die sogenannten Asservate erhalten eine Chiffre und werden für zehn Jahre aufbewahrt – oder bis sich der oder die Betroffene zu einer Anzeige entschließt. In diesem Fall melden sich die Behörden und geben am rechtsmedizinischen Institut die notwendigen Untersuchungen der eingelagerten Abstriche oder anderer Beweismittel in Auftrag.

Prof. Dr. Micaela Poetsch ist die Leiterin des Fachbereichs Forensische Genetik am UKE. Etwa 20- bis 25-mal pro Jahr erhalte das Institut gesicherte Spuren zur anonymisierten Asservierung, sagt sie. Und das nicht nur aus Essen, sondern auch aus anderen Städten in Nordrhein-Westfalen.

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