Essen. Die Essenerin Meryem Sendur (26) stieß oft auf Vorurteile wegen ihres Kopftuches. Jetzt unterstützt sie Jugendliche mit Migrationshintergrund.
Meryem Sendurs Lebensweg erscheint auf den ersten Blick reibungslos. Die 26-Jährige aus Freisenbruch ist in der Türkei geboren und mit zwei Jahren, gemeinsam mit ihrer Familie, nach Deutschland gekommen. Ihr schulischer und beruflicher Werdegang klingt vorbildlich: Nach dem Abitur im Jahr 2015 folgte im Jahr 2022 der erfolgreiche Abschluss eines Pharmaziestudiums inklusive dreier Staatsexamen. Aktuell arbeitet sie als Apothekerin in Essen.
Doch trotz allem berichtet die junge Frau, für sie habe es – vor allem aufgrund ihrer Religion und des damit verbundenen Tragens eines Kopftuches – viele Hindernisse gegeben. „Es fing schon auf dem Gymnasium an, nachdem ich mich mit 13 Jahren dazu entschlossen hatte, ein Kopftuch zu tragen. Ein Lehrer hat mich immer wieder zu aktuellen politischen Themen befragt, welche in keinem Zusammenhang mit dem Fach, das er unterrichtete, standen“, erzählt Sendur. „Ich fühlte mich regelmäßig von ihm vorgeführt. Auch Beleidigungen in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Sprüchen wie: ,Wo leben wir hier nur?‘ gehören seitdem zu meinem Alltag.“
Verein will Essener Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte helfen
So wie Meryem Sendur geht es vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Vorurteile, Diskriminierung und Ablehnung stellen für sie oft Hindernisse dar, wenn es darum geht, beruflich Fuß zu fassen. Um Schülerinnen und Schüler in dieser Situation aufzufangen und zu unterstützen, hat es sich der Verein „InteGREATer e.V.“ zur Aufgabe gemacht, aufzuklären und zu helfen.
Dabei setzen sie auf das ehrenamtliche Engagement junger Menschen mit Migrationsbiografie. Sie fungieren als sogenannte „Integreater“, die Schülerinnen und Schüler durch ihre persönlichen Erfahrungen inspirieren möchten. Die Vereinsmitglieder besuchen Schulen, um aus ihrem Leben zu erzählen. Dabei zeigen sie auf, wie sie mit Problemen umgegangen sind und es geschafft haben, erfolgreich zu sein.
Kopftuch: Essenerin hatte Probleme bei der Suche nach einem Nebenjob
Nachdem der Verein sich in anderen Großstädten, wie Hamburg, Köln, München und Berlin etablieren konnte, gibt es „InteGREATer e.V.“ seit Oktober 2023 nun auch in Essen. Rund 20 „Integreaterinnen“ und „Integreater“ bilden aktuell das Team in Essen, welches in möglichst vielen Schulen aufklären, zuhören und unterstützen möchte. Meryem Sendur ist eine von ihnen.
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Als Sendur nach dem Abitur einen Nebenjob suchte, habe sie feststellen müssen, dass ihr Kopftuch für viele Arbeitgeber ein scheinbar unüberwindbares Problem darstelle: „Ich habe mich in Bäckereien beworben, wurde aber in keiner genommen. Von Vorwürfen, wie unhygienisch es sei, mit Kopftuch Lebensmittel zu verkaufen, bis hin zu der vorgeschobenen Sorge, dass mir im Hinblick auf den Ofen in der Bäckerei unter dem Kopftuch viel zu warm werden würde, war alles dabei.“
Erfolglos bei der Nebenjobsuche – Essenerin gab schließlich Nachhilfe
Auch in Essener Supermärkten sei Sendur erfolglos bei der Jobsuche geblieben. Obwohl große Schilder an der Tür darauf hingewiesen hätten, dass dringend Mitarbeiter gesucht würden, habe man ihr im Gespräch erklärt, dass ihre Bewerbung nicht angenommen werden könne, da bereits ausreichend Bewerber vorhanden seien. „Ich fand es unglaublich enttäuschend und frustrierend, dass man mir keine Chance geben wollte. Ich ließ mich aber nicht verunsichern und runterziehen. Um mir etwas Geld dazuzuverdienen, habe ich dann Nachhilfe gegeben“, sagt die Apothekerin.
Auch bei der Praktikumssuche während ihres Studiums habe sich die Essenerin für ihr Kopftuch rechtfertigen müssen und blickt auf viele Bewerbungsgespräche mit Fassungslosigkeit zurück: „Bei fast jedem Gespräch für einen Praktikumsplatz wurde spätestens im zweiten Satz das Kopftuch angesprochen, einmal hat man sogar versucht, mich dazu zu überreden, es für die Arbeit abzulegen.“
Essenerin will Schülern vermitteln: „Ich habe es geschafft, dann schaffst du es auch!“
Von genau diesen Erfahrungen erzählt Meryem Sendur den Schülerinnen und Schülern, die sie in den Schulen ab Klasse acht als „Integreaterin“ besucht. Sie möchte vermitteln: „Ich habe es geschafft, dann schaffst du es auch!“ Neben den Besuchen an Schulen arbeiten die ehrenamtlichen „Integreater“ auch in den sozialen Medien daran, möglichst viele junge Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen.
„Wir informieren auf unserem Instagram-Kanal über verschiedene Berufsfelder und beschreiben anhand unserer Erfahrungen, wie wir es geschafft haben, unsere Ziele zu erreichen“, sagt Sendur. „Oft fehlt es jungen Menschen mit Migrationshintergrund an Motivation, sich trotz Diskriminierungen und Ablehnungen nicht aufhalten zu lassen und motiviert zu bleiben, ihren beruflichen Weg zu gehen.“
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