Essen. Kabarettist und Künstler: Dieter Nuhr ist in beiden Genres Zuhause. In der Essener Galerie Obrist präsentiert er erstmals seine digitale Malerei.

Die Welt, wie Dieter Nuhr sie zeigt, hat Schlieren. Das Meer – erscheint wie ausgewaschen. Der Horizont – ist ziemlich verblasst. Und nur wer ganz genau hinsieht, erkennt da irgendwo im Hintergrund noch nordnorwegische Gebirgszüge oder die Umrisse der Ruhrtalbrücke in Kettwig „Vom Verschwinden der Bilder“ heißt die Ausstellung, mit der sich einer der bekanntesten Kabarettisten Deutschlands in der Essener Galerie Obrist derzeit als Künstler vorstellt. Nuhr tut das schon seit einigen Jahren immer wieder verlässlich. Und so wie sich die Welt rasend schnell verändert, verändert sich auch die Kunst des 63-Jährigen. Aus den Fotografien, die Nuhr in den vergangenen Jahren von seinen unzähligen Reisen mitgebracht hat, ist nun digitale Malerei geworden. Zur Ausstellungseröffnung in der Rüttenscheider Galerie reichte die Besucherschlange bis auf den Gehsteig.

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Nuhr, der in den 1980ern in Essen bei Prof. László Lakner Kunst auf Lehramt studiert hat und immer noch im benachbarten Ratingen lebt, ist schließlich wie immer persönlich vor Ort, um über das zu reden, was ihn antreibt. Seine Bilder sind nicht nur in mehr als 90 Ländern entstanden. Sie werden mittlerweile auch in aller Welt gezeigt, von China bis zum Senegal, von Rom bis Venedig, bald auch in Kuba. Die Corona-Pandemie war da eine tiefe Zäsur und für Nuhr gleichzeitig Anlass, durch sein umfangreiches Archiv zu stöbern. Dabei sei ihm aufgefallen, „dass vieles in der Erinnerung anders erscheint als auf den Bildern“. Landschaftsbilder, die vor Jahren noch in imposanter Großaufnahme zu sehen waren, wirkten da auf einmal seltsam profan. Und so habe er angefangen, dem Erlöschen der Erinnerung durch malerische Verarbeitung entgegenzuwirken, sagt Nuhr.

Dieter Nuhr nennt es „Malerei mit den Mitteln des 21. Jahrhundert“

Statt Stift und Farbpalette kommt dabei der digitale Pinsel zum Einsatz, den der Satiriker selber programmiert hat. Nuhr nennt es „Malerei mit den Mitteln des 21. Jahrhundert“, teilweise auch unter Einbeziehung künstlicher Intelligenz. „Ich finde, dass es die Malerei erweitert. Und mir ist es ein völliges Rätsel, warum das nicht mehr Leute machen.“ Der malerische Prozess mit dem selbst programmierten Datenpinsel sei ja weiterhin traditionell. „Und die Landschaftsaufnahmen sind von mir. Das ist ja der Sinn der Sache, die eigenen Erfahrungen zu spiegeln.“

Die Bilder vom Salar de Atacama in Chile oder vom Mondsee in Österreich geben dabei zwar noch genaue geografische Auskunft. Doch wer vor den digital übermalten Fotografien steht, spürt, wie leicht die unzählig geschossenen Erinnerungsbilder von Bergen und Gipfeln, von Wasserfällen und Seen über die Jahre doch miteinander verschwimmen können. Und so schichtet und übermalt Dieter Nuhr am Tablet, filtert Farbe aus den Bildern und setzt mit dem digitalen Pinsel gleichzeitig wieder neue Akzente. So farblich gedämpft die meisten Arbeiten dabei im Vergleich zu früheren Fotografien auch daherkommen – als Schwarzseher will weder der Satiriker noch der Fotograf Dieter Nuhr durchgehen. „Ich weigere mich, die Welt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihres baldigen Untergangs zu betrachten.“

„Meine Bilder sind halt nur völlig humorlos“, sagt Dieter Nuhr

Seine Sicht auf die Welt sei hinter der Kamera und vor dem Mikrofon ja nicht unähnlich, sagt Nuhr. „Meine Bilder sind halt nur völlig humorlos. Und vielleicht strahlen sie auch eine etwas naivere Begeisterung aus als meine Texte.“ Grundsätzlich aber seien Reisen nun mal wichtig, um zu erkennen, „dass die ganzen einfachen Lösungen, über die wir diskutieren, lächerlich und naiv sind“. Wer einmal die von Abgasen und Schadstoffen verpestete Luft in einer Megacity wie Kairo eingeatmet habe, müsse erkennen, wie blauäugig es sei zu glauben, „dass es irgendwas bewegt, wenn wir hier Halloumi grillen statt Schweinefleisch“, findet zumindest Nuhr.

Humor ist das, was uns Menschen von der Maschine unterscheidet
Dieter Nuhr über den Einsatz von KI

Für einen Moment ist der fotografierende Weltbetrachter da auch wieder der bissige Welterklärer, dessen Programm seit Jahrzehnten die großen Hallen füllt. Natürlich habe er die KI auch gefragt, ob sie ihm beim Texteschreiben helfen können, erzählt Nuhr am Rande der Ausstellung. Das Ergebnis sei aber ernüchternd gewesen. „Humor ist das, was uns Menschen von der Maschine unterscheidet. KI kann das überhaupt nicht.“ Schon deshalb wird er weiter auf die Bühnen gehen und neue Bilder sammeln. Die nächste Reise im Mai führt Nuhr unter anderem nach Nordindien und Kaschmir.

Die Ausstellung „Dieter Nuhr. Vom Verschwinden der Bilder“ läuft bis zum 16. März in der Galerie Obrist, Kahrstraße 59. Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-18 Uhr, Sa 10-16 Uhr.

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