Essen. Sie haben Leidenschaft und kaum Budget, drehen in Wald, Silo oder Sarg: Beim Snowdance-Film-Festival stellen Kurzfilmer sich und ihre Werke vor.

Wo verraten Filmschaffende, wie schwer es ist, eine Drehgenehmigung für eine Bibliothek in Berlin zu bekommen; wie es sich anfühlt, in einem eiskalten Fluss in Schweden oder einem Getreidesilo in Holzminden zu drehen – oder wie beklemmend es für eine Schauspielerin ist, zwei Tage in einem Sarg zu liegen? Willkommen bei der Kurzfilmreihe „Shortz“, die beim „Snowdance Film Festival“ an fünf Abenden ein wachsendes Publikum ins „Astra“ gelockt hat.

Im „Sabu“ wurde es an den Kurzfilmabenden kuschelig

Schon bei der Essener Festival-Premiere im vergangenen Jahr hatte sich die Reihe als Überraschungserfolg erwiesen: An da noch vier Abenden wurde es kuschelig im „Sabu“, dem kleinen Saal der Lichtburg mit seinen 150 Plätzen. Filmstudierende, die ihre Ersparnisse, ungezählte Stunden Arbeit und große Hingabe in sieben Kinominuten investiert hatten, trafen auf ein hingerissenes Publikum. Nachwuchstalente und angehende Routiniers zeigten kurz verdichtete Filmkunst, die Lust machte auf mehr.

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Und mehr sollte es in diesem Jahr geben: Die Reihe wurde erweitert, zu den „Dramatic“, „Epic“, „Lunatic“ und „Black Shortz“ gesellte sich ein Abend mit „Queer Shortz“. Gleichzeitig zog man vom Sabu ins nahe „Astra“, das mit 346 mehr als doppelt so viele Plätze hat. Ein Umzug mit Risiko, hätten doch Reihen leer bleiben, Charme verloren gehen können. Umso mehr freute sich Festivalleiter Tom Bohn zum Start am Freitag (27.1.), dass der Kinosaal „fast voll“ sei oder zumindest „fast fast voll“.

Bis auf einen kleinen Einbruch am zweiten Abend sollte das so bleiben; bei den neu aufgenommenen „Queer Shortz“ bildeten sich sogar Schlangen an der Astra-Kasse. An diesem Abend ist der zarte, starke Film „The End“ zu sehen, in dem Carmen ihre demenzkranke Freundin Rosa wäscht, anzieht, ansieht... Da erzählen zwei alte Schauspielerinnen von ihrer Liebe, von Verzweiflung und einem Verlust, der noch vor dem Tod steht.

Auf das vielfach ausgezeichnete, wortlose Kammerspiel des spanischen Regisseurs Fernando Reinaldos folgt „Anomalia“, ein Film in Pastell mit viel Text für Hauptdarstellerin Paula Kober. Sie spielt mit natürlicher Lässigkeit die objektophile Claire, die jeden greifbaren Gegenstand in den Mund nimmt, umspeichelt und ihr besonderes Begehren Objekten von Auspuffrohr bis Zahnarztspiegel schenkt.

Vier Jahre Arbeit für 20 Minuten Film

Zu Gast im Astra: Regisseur Kai Bosse (mit Mikro) stellte gemeinsam mit Crew-Mitgliedern seinen Film „Too Much?!“ in der Shortz-Reihe des Snowdance-Film-Festivals 2024 vor.
Zu Gast im Astra: Regisseur Kai Bosse (mit Mikro) stellte gemeinsam mit Crew-Mitgliedern seinen Film „Too Much?!“ in der Shortz-Reihe des Snowdance-Film-Festivals 2024 vor. © WAZ

Regisseurin Antonia Grunicke wird dem Publikum später verraten, dass dieser Film mit einem Bild in ihrem Kopf begann: „Eine Frau, die an Gegenständen nuckelt.“ Da war sie im zweiten Semester ihres Filmstudiums. Es sollten vier Jahre vergehen, bis der 20-minütige Film fertig war: inklusive Crowdfunding, 20 Drehtagen und dem zweimaligen Streichen der Wohnung eines Kommilitonen, die ganz in Mintgrün Schauplatz des schrägen Films sein sollte.

Ausfälle beim Shortz-Finale

Bei den „Lunatic Shortz“ (schrägen Kurzfilmen), mit denen die Kurzfilmreihe am Dienstag (30.1.) endete, gab es ein paar Ausfälle: Wegen Problemen bei der Anreise hätten einige der Filmemacher absagen müssen und die Moderatorin sei erkrankt, erklärte Festival-Leiter Tom Bohn, der kurzerhand selbst die Moderation übernahm.

Immerhin zu zwei Produktionen („Black China“ und „Zina“) waren Filmcrew-Mitglieder im Kinosaal, die auch Auskunft gaben über die oft prekären Arbeitsbedingungen beim Independent-Kurzfilm. Ein Kameramann formulierte es mit Blick auf „Zina“ so: „Nebenbei mache ich Brot-und-Butter-Jobs – das hier ist Liebe.“

Väter, die Filmmusik machen, Freundinnen, die Fahrdienste übernehmen, Bekannte, die Equipment verleihen, Unbekannte, die Geld geben: Viele Independent-Kurzfilme entstehen mit Low-Budget oder No-Budget, auf Gage müssen die Mitwirkenden oft verzichten. Da sollte wenigstens die Verpflegung gut sein, verraten die Macher von „Too Much“: „Das meiste Geld haben wir für ein regionales, veganes Catering ausgegeben.“ Ein junger Regisseur im Publikum nickt: „Das Essen muss stimmen, um die Crew bei Laune zu halten.“

Zumal der Kurzfilm nur selten auf Leinwand oder Sendeplatz hoffen darf, sondern wie Regisseur Carsten Woike es formuliert: „Eher eine Visitenkarte ist, die man bei Festivals abgibt.“ An den fünf „Shortz“-Abenden wurden viele Visitenkarten verteilt, von Filmemachern, die anschließend im Flixbus nach Hause fahren oder jüngst noch im Callcenter gearbeitet haben, um die Miete zu zahlen.

Die Angst vorm Treppensturz und Dreharbeiten bei 45 Grad

Freute sich über den Preis für den Besten Kurzfilm 2023: Schauspieler Derek Elroy nahm die Auszeichnung stellvertretend für Phil Dunn und seinen Kurzfilm „The Stupid Boy“ entgegen. Helmut Schiffer, Vorstand der Sparkasse Essen (r.), übergab die Auszeichnung.
Freute sich über den Preis für den Besten Kurzfilm 2023: Schauspieler Derek Elroy nahm die Auszeichnung stellvertretend für Phil Dunn und seinen Kurzfilm „The Stupid Boy“ entgegen. Helmut Schiffer, Vorstand der Sparkasse Essen (r.), übergab die Auszeichnung. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Bei internationalen Produktionen hätte man sich manchmal Untertitel gewünscht, bei anderen Filmen mehr Wucht und weniger durchbuchstabierte Botschaft, weniger Schülertheater. Allein, wer einen Film nicht mag, schließt beim späteren Dialog vielleicht die Macher ins Herz, wenn sie von der Angst vor dem Treppensturz erzählen oder wie sie zu viert (!) in der Wildnis drehten.

Jeder und jede im Publikum kann allabendlich einen Lieblingsfilm ankreuzen. Wer am Ende den Publikumspreis erhält, darf – wie der Vorjahressieger – auf einen Karriereschub hoffen. Die anderen genießen die Gunstbezeugungen des Publikums, die Fachfragen von Kollegen oder wie die marokkanische Regisseurin Hiba Baddou die Zigarette vor dem Kino. Mit „Paraboles“ war sie schon auf Festivals von New York bis Dakar, am nächsten Tag geht es nach Paris. An diesem Abend aber erzählt sie in Essen von den vier Drehtagen in der Wüste, von Kamera-Batterien, die bei 45 Grad Hitze geschmolzen sind – und vom Happy End für ihren Film.

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