Essen. Rüttenscheid funktioniert, trotzdem will die Stadt Essen dem Quartier das vermeintliche Chaos austreiben. Warum das falsch ist – ein Kommentar.

Rüttenscheid und die Rüttenscheider Straße – das wurde in den letzten zwei, drei Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte, wie es sie in Essen kein zweites Mal gibt. Wirtschaftlicher Erfolg und Aufenthaltsqualität gehen hier eine glückliche Verbindung ein, was selbstverständlich dazu führt, dass es auch mal voll und quirlig wird auf Straßen und Gehwegen.

Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb? – erfreut sich der Stadtteil auch als Wohnort großer Beliebtheit. Wenn hier alles so katastrophal ist, wie es die Missionare der Verkehrswende behaupten, dann fragt man sich, warum die Menschen nicht in Scharen Rüttenscheid fernbleiben oder verlassen.

Wenn alles so schlimm ist – warum sind dann so viele gerne in Rüttenscheid?

In Wahrheit passiert nach wie vor das Gegenteil. Und das obwohl man als Anwohner tatsächlich mitunter starke Nerven braucht, wenn morgens der Anlieferverkehr die Straße verstopft, wenn in lauen Sommernächten sich Tausende in den Außengastros einfinden oder wenn mancher lautstark seinen Ferrari ausführt. Aber was soll’s, das ist eben Großstadt, und wer es lieber ruhig oder dörflich mag, hat in Essen ja reichlich Auswahl.

Rüttenscheid funktioniert – und zwar so wie es ist. Das heißt nicht, dass sich nie etwas ändern darf, es verbieten sich aber radikale Schritte, die negative Folgen für das Wirtschaftsleben haben könnten. Genau das soll aber nun passieren. Mit Sperren, Abbiegezwängen, einer Einbahnstraße will man dem Stadtteil das vermeintliche Chaos austreiben und ignoriert, dass jeder dieser Schritte neue und womöglich größere Probleme eröffnet, zum Beispiel eine Mehrbelastung in den Wohnstraßen.

Auch Radfahrer können auf der Rü nun mal nicht durchbrettern

Ja, es stimmt: Auch Radfahrer können auf der Rü nicht durchbrettern wie auf einer Radautobahn. Lästige Staus sind in einem urbanen Umfeld, in dem Anwohner und Berufspendler Mobilitätsbedürfnisse auch jenseits des Fahrrads haben, nicht immer zu vermeiden. Jedem hätte das klar sein müssen als die Fahrradstraße eingerichtet wurde. Mehr oder weniger bewusst hat man unrealistische Erwartungen geweckt, um die Schraube später weiterdrehen zu können.

Als Folge verfährt die Stadt jetzt nach dem Motto: „Wenn es schon falsch war, setzen wir halt noch einen drauf!“ Der richtige Weg wäre, Konflikte mit kluger Detailarbeit zu minimieren, worauf man in den letzten Jahren merkwürdigerweise verzichtete, obwohl es Vorschläge gab, etwa zum Anlieferverkehr. Und wo Konflikte nicht zu vermeiden sind, empfiehlt sich als goldene Regel die gute, alte Rücksichtnahme. Luft nach oben haben dabei übrigens nicht nur Autofahrer.

Viele einst lebhafte Geschäftsstraßen wurden durch falsche Politik beschädigt

Quer durch die Republik gibt es zu viele Beispiele für eine Verkehrspolitik, die den Einzelhandel abwürgte und einst lebhaften Straßen öde Friedhofsruhe verpasste. CDU und Grüne riskieren nun, dass auch die Rü diesen Weg geht, was der Anfang vom Ende einer Erfolgsgeschichte sein könnte. Dabei tröstet nicht, dass die CDU weniger überzeugt wirkt als vielmehr getrieben vom Koalitionspartner und vor allem der Deutschen Umwelthilfe, die in Essen nie gewählt wurde, aber die Verkehrspolitik entscheidend mitbestimmt. Ein Umstand, der noch aufgearbeitet gehört.