Essen. Essens Polizeipräsident Frank Richter legt neue Zahlen zum Verkehr auf der Rüttenscheider Straße vor. So geht es mit der Fahrradstraße weiter.
Seit nunmehr zwei Jahren ist die Rüttenscheider Straße eine Fahrradstraße. Wer dort mit dem Fahrrad unterwegs ist, genießt laut Straßenverkehrsordnung Vorrang. In der Praxis aber schwimmen Radfahrer bestenfalls mit im Verkehr, und der gerät allzu oft ins Stocken – auch und gerade wegen des Anlieferungsverkehrs. Weder Befürworter noch Kritiker der Fahrradstraße sind zufrieden mit der Situation. Gestritten wird seit einiger Zeit um die Frage, ob der Autoverkehr weiter eingeschränkt werden soll oder nicht.
Auch CDU und Grüne ringen um eine Lösung. Für die Kooperationspartner im Rat der Stadt ist der Konflikt längst zu einer ernsten Belastungsprobe geworden, der Umgang mit der „Rü“ wird zum Gradmesser ihrer jeweiligen Verkehrspolitik.
Der Streit zieht sich inzwischen dahin wie sprichwörtlich ein Kaugummi. Eine Entscheidung, wie es weitergehen soll auf der Rü, will die Politik erst im März nächsten Jahres treffen – dann auf Grundlage eines Gutachtens, das ein externes Planungsbüro erstellen soll. Neue Nahrung erhält die Diskussion derweil durch aktuelle Verkehrszahlen der Polizei.
Essens Polizeipräsident Frank Richter hatte die Verkehrserhebung 2021 angekündigt
Polizeipräsident Frank Richter hatte es im November vergangenen Jahres angekündigt: Er werde die Verkehrssituation auf der Rüttenscheider Straße erneut beobachten lassen, um zu einer „fachlichen Empfehlung in Bezug auf die Fahrradstraße“ zu kommen.
Eine solche hatte die Verkehrsdirektion der Polizei, namentlich deren Leiter Ulrich Sievers, der Stadt bereits weniger Monate zuvor ins Stammbuch geschrieben, als er der Stadtverwaltung dringend nahelegte, auf der Rü regulativ einzugreifen, damit diese „den Erfordernissen einer Fahrradstraße gerecht wird“. Sievers stützte seine Einschätzung auf Zählungen und Beobachtungen seiner Beamten. Radfahrer würden auf der Rü häufig „riskant und rücksichtslos überholt“.
Eine Stellungnahme der Verkehrsdirektion sorgte intern bei der Essener Polizei für Ärger
Im Rathaus zeigte sich Oberbürgermeister Thomas Kufen wenig begeistert von den Ratschlägen aus dem Polizeipräsidium. Sein Missfallen darüber, dass sich die Polizei zu einer politisch heiklen Frage äußerte, soll Kufen dem Polizeipräsidenten persönlich mitgeteilt haben. Auch polizeiintern sorgte die Stellungnahme des Verkehrsdirektors dem Vernehmen nach für Ärger. Polizeipräsident Frank Richter wird der Satz nachgesagt, die Polizei werde sich „nicht instrumentalisieren lassen“.
Wie angekündigt ließ Richter auf der Rü abermals zählen. Ergebnis: zwischen dem 2. Februar und dem 15. Februar 2022 wurden per Seitenradar 88.820 Fahrzeugbewegungen registriert. Der Anteil des Fahrradverkehrs lag durchschnittlich bei vier Prozent. Wobei dieser je nach Tageszeit und Wochentag großen Schwankungen unterliege.
Insgesamt entsprächen die gemessenen Werte in weiten Teilen, Messungen aus dem Vorjahr, lässt Richter wissen. Anders als sein Verkehrsdezernent spart sich der Polizeipräsident aber jede auch nur denkbare Handlungsempfehlung an die Adresse. Der Behördenchef weist aber daraufhin, dass die Rüttenscheider Straße, was die Häufigkeit von Unfällen angeht, aus Sicht der Polizei nicht auffällig ist. Von Januar bis April kam es zu insgesamt sechs Unfällen, einmal war ein Fahrradfahrer beteiligt.
In seiner Stellungnahme geht der Polizeipräsident auch auf Verkehrsbehinderungen durch den Lieferverkehr und durch Paketdienste ein. Das Be- und Entladen finde überwiegend auf der Straße statt. In anderen Ruhrgebietsstädten hätten sich dafür „spezielle Parkbuchten“ bewährt, schreibt Richter und nennt Dortmund als Beispiel.
Tatsächlich hatte Verkehrsdezernentin Simone Raskob angekündigt zu prüfen, ob es solche speziellen Anlieferungsbuchten auf der Rü geben könne. Dem steht entgegen, dass die Anlieferung in der Regel da erfolgt, wo sich auch der Laden befindet – und nicht womöglich hundert Meter weiter, was für Lieferanten große Schwierigkeiten zur Folge hätte. Mit ihren Hubwagen müssten sie sich dann über die Bürgersteige quälen, was wiederum Passanten wenig erfreuen dürfte. Ganz abgesehen davon ist der Platz für solche potenziellen Buchten auch wegen der vielen Gastronomie-Außenflächen längst massiv reduziert worden.
Die Stadt Essen lässt ein Verkehrsgutachten zum Umgang mit der Fahrradstraße erstellen
Die neuen Zahlen sollen nun Eingang finden in ein Verkehrsgutachten, das die „Planersocietät Dortmund“ im Auftrag der Stadt erstellen wird. CDU und Grüne haben es so gewollt. Das kostet Zeit. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, sagt dazu Fabian Schrumpf, Vorsitzender der CDU-Fraktion. „Vielleicht hilft der Blick von außen“, meint Stephan Neumann, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen.
Anhand von Modellrechnungen sollen die Gutachter auch aufzeigen, welche Folgen es hätte, würde der Autoverkehr auf der Rü weiter eingeschränkt zum Beispiel durch Einbahnstraßenregelungen. Auch Ergebnisse von Gesprächen, die Oberbürgermeister Kufen mit Interessengruppen führt, sollen in dem Gutachten Berücksichtigung finden.
Dem Vernehmen nach hat der OB bereits mit Vertretern der Interessengemeinschaft Rüttenscheid und des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) gesprochen. Ob er glaube, dass sich ein gemeinsamer Nenner finden lasse? Im Gespräch mit der Redaktion verneinte Kufen diese Frage. Aber: „Irgendwann“, so der OB, „muss entschieden werden“. Im März soll es so weit sein.