Essen-Altenessen. Die begrünten Fassaden in Altenessen sollten dem Klimawandel entgegenwirken. Nun sind zum zweiten Mal viele der Pflanzen vertrocknet.

Wer die stark befahrende Gladbecker Straße in Altenessen herunterfährt, sieht seit Sommer 2020, dass einige Hausfassaden begrünt sind: Rund sechs Meter hohe, senkrechte Beete zieren die Fassade der Hausnummern 250 bis 256. Nun sind zum zweiten Mal einige der Pflanzen vertrocknet.

20 verschiedene Kletterpflanzen, Gehölze, Gräser und Stauden hat die Wohnungsbaugesellschaft Allbau mit der Emschergenossenschaft in einem vom Land NRW finanzierten Pilotprojekt vor rund drei Jahren gepflanzt. Ziel war eine Verschönerung der Fassade, eine Verbesserung der Luftqualität, größere Artenvielfalt und das Filtern von Stickoxiden und Schadstoffen in der Luft. „Die Begrünungen stellen eine sehr sinnvolle Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel dar“, sagte damals Allbau-Geschäftsführer Dirk Miklikowski.

Begrünte Fassaden in Altenessen: Zwischenfazit nach drei Jahren

Drei Jahre später fällt die Zwischenbilanz ernüchternd aus: Die Fassadenbegrünung habe sich aus wirtschaftlicher Sicht nicht gelohnt, teilt Allbau-Projektmanager Samuel Serifi mit. Allein die Anschaffung und Montage der Pflanzenkästen an der Hauswand hätte 560.000 Euro gekostet. Dazu kämen laufende Kosten für die Instandhaltung und Pflege: Die Pflege der Beete koste ungefähr 13.000 Euro im Jahr. Die notwendigen Gehwegsperrungen kosten 6000 Euro jährlich und die Wartung und Überwachung schlage mit weiteren 6000 Euro pro Jahr zu Buche.

Hätte die Wohnungsbaugesellschaft für die Begrünung der Häuserfassaden keine Förderung vom Land NRW bekommen, wäre das Projekt nicht realisierbar gewesen, sagt Serifi. 80 Prozent der Kosten übernahm das Land damals. Die Kosten zur Pflege der Beete müsse Allbau nun selbst tragen.

Weitere Kosten sowie einen enormen Arbeitsaufwand verursacht die Bewässerung der Pflanzen mit Regenwasser. „Das System ist insgesamt sehr sensibel“, sagt Serifi. Das Regenwasser wird vom Dach des Hauses in eine unterirdische Zisterne geleitet, die sich im Hinterhof des Häuserblocks befindet. Von dort aus wird es mit einer Pumpe in einen kleineren Wassertank auf dem Dachboden der Häuser gepumpt. Dort fließt es über Schläuche in die Pflanzenkästen.

Begrünte Fassaden in Altenessen: Sträucher im Sommer 2022 vertrocknet

Im vergangenen Sommer, an einem besonders heißen Wochenende, sei es zu einem Fauxpas gekommen: Ein Mieter habe den Stecker der Pumpe gezogen, die das Regenwasser aus der Zisterne zu den Pflanzenkästen befördert. Mehrere Tage konnten die Pflanzen nicht bewässert werden, die meisten Pflanzen vertrockneten. Die Wohnungsbaugesellschaft musste viele der zuvor gepflanzten Sträucher austauschen.

Zwar habe Allbau seitdem Sorge getragen, damit sich die Probleme nicht wiederholen: Die Pumpe im Keller des Hauses sei etwa abgeriegelt worden, sodass Mieter sie nicht mehr erreichen. Außerdem nutze der Konzern seit knapp einem Dreivierteljahr eine App, über die das Team den Bewässerungsstatus der Anlage zu jeder Zeit überwachen kann.

Pflanzen seit Donnerstag (28. September) wieder vertrocknet

Trotzdem scheint das System noch immer fehleranfällig zu sein: Denn aktuell sind schon wieder Sträucher in zwei der Pflanzkästen vertrocknet. Laut Dieter Remy, Leitung der Unternehmenskommunikation bei Allbau, sind die Pflanzen seit Ende September zum Teil braun verfärbt. Die Ursache sei noch unklar. „Die Wasserversorgung war laut der App gewährleistet“, sagt Remy. Am 9. Oktober gebe es einen regulären Termin mit einer Pflegefirma, die die Pflanzen zurückschneiden und zum Teil nachpflanzen solle. Diesen Termin wolle man nutzen, um nach der Ursache für das Vertrocknen zu schauen.

Bedeutet: Noch mehr Arbeit für Allbau. Wenn der Aufwand für Installation und Instandhaltung der Pflanzenkästen so hoch ist, gibt es dann zumindest andere nachweislich positive Effekte der Begrünung der Fassaden? Kann etwa eine Verbesserung der Luftqualität an der Gladbecker Straße nachgewiesen werden?

Auch dazu eher Skepsis: „Wir können jetzt nicht valide sagen, dass sich irgendwas verbessert hat“, sagt Serifi. Außerdem sei der Abschnitt der begrünten Häuser nicht groß genug, um wirklich markante Unterschiede in der Lufttemperatur feststellen zu können. Ein Doktorand führe jedoch aktuell eine wissenschaftliche Studie zu dem Thema durch. Möglicherweise könne er dem Wohnungsbauunternehmen schon bald neue Daten liefern.

Fassadenbegrünung reicht nicht, um dem Klimawandel entgegen zu wirken

Reicht eine Fassadenbegrünung denn überhaupt aus, um die Luftqualität nachweislich zu verbessern? Laut Prof. Dr. Gerrit Höfker, Dozent für Bauphysik an der Hochschule Bochum, kann die Lufttemperatur und die Oberflächentemperatur einer Fassade durch Begrünung durchaus gekühlt werden, der Unterschied betrage allerdings unter einen Grad Celsius. Es könne also höchstens einer von vielen Bausteinen sein, um das Wohnen klimafreundlicher zu gestalten. Adere seien der energieeffiziente Hausbau und das Ausweisen von Grünflächen und Parks.

Wirklich rentabel sei das Projekt also nicht. „Finanziell gesehen ist es gar nicht darstellbar“, sagt Serifi. Einen positiven Effekt habe es aber dennoch: Es stoße bei Bewohnern des Viertels und bei Passanten auf Begeisterung. Die Fassadenbegrünung sei ein Hingucker, das Grün sehe schön aus und bewirke somit eine optische Aufwertung der Häuser. Serifi betont: „Die Begrünung der Fassade hat eine absolut positive Wirkung auf den Menschen. Nur kostet es einfach viel Geld und für den Eigentümer ist es unwirtschaftlich.“

Die Häuserfassaden in der Gladbecker Straßen sollen wieder komplett grün werden – und es auch bis auf Weiteres bleiben. Weitere Projekte dieser Art plant Allbau allerdings nicht. Stattdessen will das Unternehmen verstärkt auf bodengebundene Begrünung setzen, also Sträucher und Pflanzen, die aus dem Boden wachsen – Montage und Pflege seien hier nämlich deutlich kostengünstiger als bei den Pflanzenkästen ohne Verbindung zum Boden.

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Land NRW fördert Begrünung

Allbau hat die Begrünung der Häuser an der Gladbecker Straße nicht aus eigenem Topf bezahlt. 80 Prozent der Kosten wurden vom Land Nordrhein-Westfalen übernommen.

Die Förderung ist erfolgt durch das Förderprogramm „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ (KRiS) des Landes NRW und die Mittel der Emschergenossenschaft.

20 Prozent der Kosten hat Allbau selbst übernommen. Aufgrund der Förderung des Landes fallen die Immobilien nach der Modernisierung unter die Mietpreis- und Belegungsbindung für geförderten Wohnungsbau.

Die Grundmiete im Westerdorf Quartier in Altenessen liegt aktuell bei 6,40 Euro pro Quadratmeter.