Essen. Vom Bergmannssohn in Altenessen zur weltbekannten Trainerlegende. Das Leben hat es mit Otto Rehhagel gut gemeint. Ein Porträt.
In Rüttenscheid kann man ihm manchmal über den Weg laufen, meistens weil er gerade ein Café besucht oder von dort kommt. Otto Rehhagel weiß dann natürlich, dass sich die Köpfe vieler Passanten zu ihm drehen, aber der Meistertrainer, einer der wirklichen Legenden des deutschen Fußballs, macht davon nicht viel Aufhebens, auch wenn er das Rampenlicht immer noch mag. Am 9. August feiert der Mann, der Essen immer als seinen Heimathafen betrachtete, seinen 85. Geburtstag, und das augenscheinlich bei guter Gesundheit.
Rehhagels Karriere begann vor 75 Jahren beim Zechenverein TuS Helene 28
Rehhagels Leben scheint einem Roman entsprungen – ein Roman, bei dem es der Autor wirklich sehr gut meint mit dem Hauptdarsteller. Pokalsieg, Deutsche Meisterschaften, EM-Gewinn mit dem krassen Außenseiter Griechenland… Otto Rehhagel hat viele Titel gesammelt in seiner unvergleichlichen Karriere, die vor rund 75 Jahren bei TuS Helene 28, dem Betriebssportverein der gleichnamigen Zeche, begann.
Denn dort, in Altenessen, wurde Otto Rehhagel 1938 in einfachen Verhältnissen geboren, in einer Zeit, als der Bergbau im Essener Norden alles dominierte. Den Zweiten Weltkrieg hat er als Kind bewusst erlebt und erlitten, Rehhagel erzählte später, wie er als Fünfjähriger im Keller seines Elternhauses an der Rahmstraße Schutz suchen musste, als auf Essen Nacht für Nacht die Bomben fielen.
Der Vater war Bergmann auf Zeche Helene und stab früh
Sein Vater war Bergmann auf Zeche Helene und starb 1950 im Alter von nur 39 Jahren. Die Mutter muss ihn und seine drei Geschwister alleine groß ziehen, finanzielle Basis ist die schmale Witwenrente. Für Otto Rehhagel war der Tod des Vaters nach eigenem Bekunden auch deshalb ein Einschnitt, weil ihm klar wurde, wie er sein eigenes Leben keineswegs zu führen gedenkt. „Mein Vater war immer am gleichen Ort, nach 25 Jahren bekam er eine goldene Uhr, dann ist er früh gestorben. Ich will mehr sehen als Schornsteine“, sagt er später einmal in seiner typischen Art.
Anfangs scheint das ein recht weiter Weg zu sein. Als erstes ging Otto anders als viele Altersgenossen nach der Schule nicht zur Zeche, was für junge Männer in den 1950er Jahren sehr lukrativ war, vielmehr lernte er das Handwerk des Malers und Lackierers. Ein Foto, aufgenommen 1960, zeigt ihn im weißen Anstreicher-Anzug mit Pinsel und Farbeimer auf einem Fahrrad, im Hintergrund die typischen Vorstadthäuser des Essener Nordens.
Der legendäre Georg Melches holte ihn an die Hafenstraße
Um diese Zeit kickt er noch bei TuS Helene, war aber bereits aufgefallen als talentierter Vorstopper. Der Vorortverein spielt zu dieser Zeit immerhin in der vierten Liga, 1000 Zuschauer waren bei Heimspielen keine Seltenheit. Der Name Otto Rehhagel war im fußballbegeisterten Essener Norden somit bereits ein Begriff, als der legendäre RWE-Präsident Georg Melches ihn 1960 an die Hafenstraße zu Rot-Weiss Essen lotste – für immerhin 150 D-Mark im Monat und einen VW Käfer, den damals beileibe nicht jeder 22-Jährige besaß.
In der Mannschaft musste sich der Neue allerdings hinten anstellen. „Es gab damals in der Kabine nur eine Massagebank“, erinnert sich Rehhagel an sein erstes Jahr. Darauf lag der zwölf Jahre ältere Franz „Penny“ Islacker. „Was willst Du denn hier?“, fragt ihn der Star der Mannschaft. „Ich will mich massieren lassen“, antwortet der junge Rehhagel, worauf Islacker trocken entgegnet: „Komm in drei Jahren wieder.“
Rehhagel, mit ironisch-grimmigem Humor gesegnet, erzählt solche Geschichten immer wieder gerne und mit Behagen. Der ehrgeizige Nachwuchsspieler beißt sich jedenfalls auch ohne Massage durch. Was danach kommt, ist oft erzählt: erfolgreicher Spieler bei RWE und beim 1. FC Kaiserslautern, Meister und Pokalsieger als Trainer mit Werder Bremen, direkter Durchmarsch mit Aufsteiger Kaiserslautern zur Meisterschaft, schließlich die Europameisterschaft, die ein kritischer Geist wie Trainerkollege Felix Magath jüngst als „größte Leistung, die ein Trainer je vollbracht hat“ taxierte. Mehr kann ein Altenessener Junge, der freilich längst im Essener Süden lebt, vom Leben nicht erwarten.
Die Frau an seiner Seite war für Otto Rehhagel sehr wichtig
„Ich habe mir alles selbst erarbeitet“, sagte der Erfolgstrainer im Ruhestand anlässlich der Vorstellung des Films „King Otto“ 2021 im Stadion an der Hafenstraße. Ein nicht zu unterschätzender Anteil daran gebührt seiner Frau Beate. Sie hat stets bei allem mitentschieden, erzählte Rehhagel mehrfach, sogar bei Spielerkäufen.
Die junge Frau aus gutbürgerlichem Hause in Steele stammend, lernte er beim Schlittschuhlaufen im Grugapark kennen. Im Jahr 1963, kurz bevor Rehhagel zu Hertha BSC wechselte, wurde geheiratet, und bis heute hält die Liebe. Dass Otto Rehhagel irgendwann nicht nur über Fußball Bescheid wusste, sondern auch Interesse und Wissen über Kunst und Kultur vorweisen konnte, soll maßgeblich der Frau an seiner Seite zu verdanken sein.
In Essen ist Otto Rehhagel noch sehr präsent – nicht nur, wenn es um Fußball geht
Im griechischen Restaurant „Hügolos“ über dem Baldeneysee, wo Rehhagel gerne einkehrte, haben sie ihm in Marmor gemeißelt ein Denkmal gesetzt. Auch bei Rot-Weiss Essen genießt Ehrenmitglied Rehhagel Denkmalstatus, beim ETB Schwarz-Weiß am Uhlenkrug wurde der rote Teppich ausgerollt, als er jüngst zu Pfingsten das Otto-Rehhagel-Turnier für U17-Mannschaften ausloste. Bei der Socca-WM in der Innenstadt schaute er natürlich ebenfalls vorbei. Bolzplatzpate ist er, und sicher noch einiges mehr, und als es das Marktsingen mit Prominenten in Rüttenscheid noch gab, ließ sich Otto Rehhagel auch da nicht lange bitten, schmetterte einige Liedchen und sorgte, klar, prompt für eine Rekordbeteiligung.
Einmal Essener, immer Essener. Der 85. Geburtstag wird nun aber auf Sylt gefeiert, ist zu lesen. Da ist es ja auch ganz schön, und es hat noch weniger Schornsteine.