Essen. Stadionatmosphäre in Essens Lichtburg. Deutsche und griechische Fußballfans bejubeln die Premiere der Doku über Trainerlegende Otto Rehhagel.
Fangesänge, „Otto, Otto“-Rufe und Standing Ovations. In der Essener Lichtburg wurde am Mittwochabend ein ganz besonderer Kinofilm gefeiert. Die Deutschlandpremiere des Dokumentarfilms „King Otto“ über die Trainerlegende Otto Rehhagel begeisterte rund 1000 Kinogäste. Auch viele griechische Fußballfans waren nach Essen gekommen, um dem Traineridol aus Deutschland noch einmal die Ehre zu erweisen.
2004 hatte der aus Altenessen stammende Coach so etwas wie ein Fußballwunder vollbracht und mit der bis dahin stets sieglosen griechischen Elf völlig überraschend die Fußball-Europameisterschaft in Portugal gewonnen. Der gelungene Film von Christopher André Marks erzählt die Außenseiter-Geschichte noch einmal in bewegenden Bildern und unterhaltsamen Interviews und sorgte beim Premierenpublikum auch rückblickend immer wieder für Begeisterungsstürme und Szenenapplaus.
Bei den Fans sorgt die Erinnerung an den EM-Sieg der Hellas-Elf bis heute für Gänsehaut
„Hellas, ole“-Gesänge wurden dabei schon vor der Lichtburg angestimmt, wo Fans wie Ioannis Amprazis noch einmal die Erinnerungen an den unerwarteten Triumph 2004 Revue passieren ließen und sogar die griechische Nationalflagge schwenkten, die die Bochumer Fußball-Anhänger schon damals beim Turnier in Portugal dabei hatten. Die Erinnerung an die Fußballsensation bedeute „Gänsehaut, bis heute“, sagt Amprazis. Und der Star des Abends, Otto Rehhagel, konnte sich ein bisschen in die Zeit zurückversetzen, als er selbst als 15-Jähriger vor der Essener Lichtburg stand und Stars wie Burt Lancaster zujubelte.
Die große Bühne aber gehörte diesmal ganz ihm, dem deutschen Trainer mit dem „Herzen eines Griechen“, wie es der damalige griechische Verbandspräsident Vassilis Gagatsis im Film formuliert. Und ein wenig auch Rehhagels Assistenten und ehemaligen Ko-Trainer Ioannis Topalidis, der natürlich auch zur Premiere nach Essen gekommen war. Das Fußballwunder von einst, es ist schließlich auch das Fundament einer bis heute andauernden deutsch-griechischen Freundschaft.
Regisseur Christopher André Marks erzählt nach, wie diese Freundschaft langsam wuchs und schließlich in einen Triumph mündete, indem er die Protagonisten von einst ausführlich zu Wort kommen lässt: Rehhagels ehemalige Spieler Karagounis, Dellas, Seitaridis und Nikopolidis. Den damaligen Präsidenten des griechischen Fußballverbandes, Vassilis Gagatsis, der mit Mimik und Gestik das Geschehne noch einmal so überzeugend Revue passieren lässt, wie es ein professioneller Schauspieler nicht besser könnte. Ja, hätte der Filmemacher einen Darsteller für die Rolle gesucht, er hätte sie mit Gagatsis besetzt.
Otto Rehhagel sollte der griechischen Elf vermeintlich deutsche Tugenden beibringen
Ihnen allen ist das Erstaunen über das Geleistete auch 17 Jahre danach noch anzusehen. Als müssten sie sich selber kneifen. Ja, es ist wirklich passiert.
Gagatsis hatte Otto Rehhagel nicht nur wegen seiner Titel verpflichtet, die er als Vereinstrainer in Deutschland gewonnen hatte. Rehhagel sollte den Spielern vermeintlich deutsche Tugenden beibringen, allen voran Disziplin. Denn die griechische Nationalelf war ein zusammengewürfelter Haufen, dem niemand etwas zutraute. Nicht einmal die Spieler selbst.
Dass sie sich überhaupt für die Europameisterschaft qualifizieren konnten, war eine faustdicke Überraschung, der Einzug ins Viertelfinale eine Sensation. Als Rehhagel ihnen erklärte, sie könnten auch den nächsten Gegner, Titelverteidiger Frankreich, schlagen, saßen einige schon auf gepackten Koffern. Ihren Trainer erklärten sie für verrückt: „Alles klar, der Deutsche hat den Verstand verloren.“
Otto Rehhagel packte seine Spieler bei der Ehre und weckte ihren Stolz
Rehhagel packte seine Spieler bei ihrer Ehre und weckte ihren Stolz. „Der Henry kennt dich überhaupt nicht. Morgen wird er wissen, wer du bist“, gab er seinem Verteidiger Georgios Seitaridis mit auf den Weg. Auf dass er seinen Gegenspieler auf dem Feld über 90 Minuten auf den Füßen stehen möge. Vermutlich fühlt sich Thierry Henry, damals einer der Stars der französischen Elf, noch heute in seinen Alpträumen von dem Griechen verfolgt.
Dass Rehhagel in seinen Ansprachen immer wieder die griechische Mythologie bemühte, erscheint im Rückblick Teil seines Erfolgsrezeptes. Verteidiger Traianos Dellas, eine Hühne von einem Mann, nannte er Koloss von Rhodos. Als sich seine Spieler über das EM-Quartier beschwerten, hielt Rehhagel ihnen entgegen: „Die Spartaner mussten auf Brettern schlafen.“
Rehhagels Assistent übergoss die Anweisungen des Trainers mit einem Zuckerguss
Rehhagel traf offensichtlich die richtigen Worte, die sein Assistent und Dolmetscher Ioannis Topalidis „mit einem Zuckerguss überzog“. Immer dann, wenn der deutsche Trainer seine Spieler kritisierte und dabei zu harsche Töne anschlug. Die griechische Seele sei empfindlich. So hat Topalidis einen nicht zu unterschätzenden Anteil an diesem Fußballmärchen.
Welche Emotionen der EM-Triumph bei den Griechen in aller Welt freisetzte, führt der Film seinen Zuschauern noch einmal eindrucksvoll vor Augen. Der Empfang in Athen, der Mannschaftsbus, der sich im Schritttempo seinen Weg durch die begeisternde Masse bahnen muss... Es sind Bilder für die Ewigkeit, die sie in Griechenland nie vergessen werden.
Zum Abschied findet Otto Rehhagel auf der Bühne der Lichtburg sehr persönliche Worte
Otto Rehhagel sind sie dafür dankbar. Noch während der Premiere skandierten die vielen Griechen im Publikum immer wieder seinen Namen. Der Geehrte genoss den Applaus und fand zum Abschied auf der Bühne ganz persönliche Worte, als er an seinen Vater erinnerte. Der hätte jeden für verrückt erklärt, der ihm, dem Bergmann aus Altenessen, erzählt hätte, dass sein kleiner Sohn Otto eines Tages Ehrenbürger von Athen werde würde. „Aber es ist möglich“, sagte Otto Rehhagel. Er hat es bewiesen.
Alles ist möglich. Diese Geschichte erzählt dieser sehenswerte und sehr unterhaltsame Film, an dem Betrachter auch dann viel Freude haben werden, wenn sie sich nicht für Fußball interessieren sollten.