Essen-Kettwig. Familie Laatz aus Essen-Kettwig ist Kummer gewöhnt. Doch die Einschulung der schwerst behinderten Tochter Alina wird zum echten Kraftakt.

Immer wieder auf Bürokratiehürden zu stoßen, ist Familie Laatz aus Kettwig gewohnt. „Einfach ist hier gar nichts“, sagt Yvonne Laatz mit einem Seufzen. Tochter Alina, sechs Jahre, ist schwerst behindert. Bis zu ihrem ersten Schultag auf einer Förderschule, der jetzt ansteht, war es ein steiniger Weg, der viel Nervenkraft gekostet hat. Aber die Probleme sind noch lange nicht überwunden. An zwei Dingen haben Yvonne und ihr Mann André jetzt besonders zu knacken.

Alina hat einen angeborenen Defekt auf dem X-Chromosom. Das sogenannte CDKL5-Gen ist dafür zuständig, die Informationen zu liefern, ein spezielles Protein zu bilden, das für das Gehirnwachstum nötig ist. Fehlt das, wächst das Gehirn nicht. Dies führt u.a. zu Epilepsie, schweren Entwicklungsverzögerungen und Sehbehinderungen. Alina kann nicht selbstständig sitzen, das heißt „sie muss regelmäßig gelagert, aufgesetzt und passiv mobilisiert werden“, wie in einem ärztlichen Attest nachzulesen ist.

Alina benötigt rund um die Uhr eine Intensivpflege

Dass der Besuch einer regulären Grundschule für ihr Kind nicht möglich ist, sondern sie auf die Helen-Keller-Schule mit dem Förderschwerpunkt „Körperliche und motorische Entwicklung“ in Essen-Altenessen kommt, hat das Ehepaar bei den Behörden regelrecht erkämpfen müssen. „Obwohl das angesichts der Behinderung klar auf der Hand liegt“, sagt Yvonne Laatz.

In der vom Landschaftverband Rheinland getragenen Förderschule selbst sollte Alina nun eine examinierte Pflegefachkraft an ihrer Seite haben. Denn: Aufgrund ihrer schweren Epilepsie bestehe u.a. eine akute Gefahr von Krampfanfällen, die lebensbedrohlich sein können, heißt es im Attest. Eine intensivmedizinische Betreuung, die die Eltern bislang täglich und rund um die Uhr leisten, die in der Schule jedoch fehlen wird.

„Auf Grund von Personalmangel bekommen wir sowas nicht, also möchte ich ein persönliches Budget beantragen, damit ich selber (selbstbestimmtes Leben bei Behinderung) eine Assistentin suchen und einstellen kann. Dieses lehnt die Krankenkasse ab“, so Yvonne Laatz. Der Medizinische Dienst habe nur nach Aktenlage entschieden. Dieser begründet die Ablehnung einer Kostenübernahme für eine sozialmedizinische Betreuung u.a. damit, dass es nicht ausreiche, eine klinische Verschlechterung anzunehmen oder zu befürchten. „Die Gabe von Notfallmedikamenten ist gemäß des hier vorliegenden Anfallsprotokolls im konkreten Fall gut wirksam. Sie kann durch jede angeleitete Laienperson durchgeführt werden“, so der Wortlaut.

Für die Genehmigung der vielen Hilfsmittel zur Versorgung ihrer Tochter Alina hat Yvonne Laatz stets kämpfen müssen.
Für die Genehmigung der vielen Hilfsmittel zur Versorgung ihrer Tochter Alina hat Yvonne Laatz stets kämpfen müssen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Immerhin: Eine Integrationskraft wird sich in der Schule künftig um die Sechsjährige kümmern. André Laatz: „Auch nur deshalb, weil wir uns gekümmert haben.“ Nach vielen Telefonanrufen habe schließlich der Malteser Hilfsdienst seine Hilfe zugesichert. Yvonne Laatz: „Die Betreuerin wird unser Sprachrohr sein, den Körperkontakt zu Alina aufrecht halten, ihr Hilfestellung geben.“ Die Eltern hoffen, dass sich so ein für ihre Tochter angenehmer Schulbesuch realisieren lässt.

Transport zur Schule stellt ein großes Problem dar

Sofern sie überhaupt zur Schule kommt. Denn das ist die nächste bürokratische Hürde, mit der die Familie zu kämpfen hat. Idealerweise sollte Alina mit einem Einzeltransport von zu Hause abgeholt werden. André Laatz erklärt, warum er das für notwendig hält: „Alina ist sehr anfällig für Infekte. Dreimal musste sie deswegen in den vergangenen zwölf Monaten ins Krankenhaus, und zwar auf die Intensivstation.“ Eine engmaschige Inhalationstherapie über mehrere Wochen folgte zuhause. Gemeinsam mit anderen Kindern in einem engen Bus sitzen – das berge die Gefahr neuerlicher Infekte. Zumal die geringe Sauerstoffsättigung seiner Tochter immer wieder Sorge bereite.

„Aber das zu organisieren, ist ein einziger Krampf. Beim LVR gehen die wirklich davon aus, dass die Eltern Zeit haben, ihre Kinder zu bringen oder sich mit mehreren Eltern zusammen zu schließen“, reagiert Yvonne Laatz verärgert. Ihre andere (gesunde) Tochter Celina habe gerade ihre Eingewöhnungsphase in der Kita. Auch sie benötige Aufmerksamkeit und Fürsorge.

Als Alina drei Jahre alt war, konnte glücklicherweise eine Tagesmutter für sie gewonnen werden. Das entlastete Mutter Yvonne spürbar.
Als Alina drei Jahre alt war, konnte glücklicherweise eine Tagesmutter für sie gewonnen werden. Das entlastete Mutter Yvonne spürbar. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Wie soll das alles gehen? Mein Kind sitzt im Rollstuhl und geht auf eine Behindertenschule, wo andere Kinder auch im Rollstuhl sitzen. Wer hat denn privat einen solchen umgebauten Wagen? Und ein Rollstuhltaxi bezahlt der LVR nicht.“

Trotz frühzeitiger Bestellung: Noch fehlt der Rollstuhl

Abgesehen davon: Für Alina gibt es noch gar keinen passenden Rollstuhl. Trotz Bestellung schon vor Monaten sei jetzt erst das Untergestell bewilligt worden. Nun müsse man mehrere Wochen auf den für Alina zugeschnittenen Sitz warten. Ganz wichtig außerdem: ein sogenannter Kraftknoten für die Befestigung im Transporter. „Ohne Rollstuhl mit Kraftknoten für den Schultransport kann Alina laut Gesetz aus Sicherheitsgründen nicht befördert werden“, erläutert die Mutter.

André Laatz hat sich nun Urlaub genommen, die Privatfahrten mit zu übernehmen. Yvonne Laatz: „Wie soll man sich auf die Einschulung freuen, wenn man nicht weiß, ob das Kind richtig betreut ist, geschweige wie es zur Schule kommen soll. Eigentlich soll es was Schönes sein, aber uns fehlt die Kraft, da es so emotional und einfach nur ärgerlich ist.“

Wie es andere Paare ohne Durchhaltevermögen mit schwerbehinderten Kindern ergehe oder gar Alleinerziehenden, mag sich der Kettwiger Familienvater gar nicht ausmalen: „Wenn man glaubt, man hat es geschafft, kommt schon die nächste Mauer. Man fühlt sich oft einfach nur hilflos.“

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