Essen. Als künstlerischer Leiter nimmt Rainer Besel Abschied von der Steeler Bühne. Wie er die neue Ausrichtung des Theaters begleitet hat.
Er ist unlängst 66 Jahre geworden und geht ganz offiziell in den Ruhestand. Wenn man auf einen beliebten Schlager hört, fängt da das Leben an und man hat Spaß daran. Gewarnt von seiner Mutter und seinem Vater, die beide Gesang an der Folkwangschule studierten und ihren sehnlichsten Wunsch nicht in die Tat umsetzten, machte Rainer Besel immer das, was ihm gefiel. Dazu gehörte für den Schauspieler, Regisseur, Autor und Kindertheatermacher auch die künstlerische Leitung des Theater Freudenhaus, die er jetzt niederlegt.
Als der Duisburger 2014 an die Steeler Bühne kam, war sie vor allem bekannt für ihre Ruhrgebietskomödien. Mit Sigi Domkes „Freunde der italienischen Oper“ begann vor 27 Jahren eine Erfolgsgeschichte, denn dieses ebenso tiefgreifende wie humorvolle Stück Zeitgeschichte ist stets ausverkauft. Dennoch war es notwendig, sich thematisch breiter aufzustellen. „Komödien wird es weiterhin geben. Aber wir müssen neue Wege suchen, um weiter bestehen zu können“, meinte Rainer Besel vor Jahren. Und das ist auch passiert: „Wir sind politischer geworden, weil wir ein handfestes Problem vor der Haustür haben.“
Das Theater Freudenhaus ist politischer geworden
Mit „Stillstand“ oder „Ab durch die Mitte“ gelangten Produktionen auf dem Spielplan, die sich zeitgemäß und politisch mit Fragen des Strukturwandels, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des erstarkenden Rechtsradikalismus’ beschäftigen. Ein Thema, das nicht zuletzt durch die Aktionen der selbst ernannten Bürgerwehr „Steeler Jungs“ und die Schüsse auf das Grend im März 2019 an Brisanz gewonnen hat. Aber Rainer Besel konnte auch andere Neuerungen verbuchen wie das lokale Bürgerprojekt „Mensch, Steele“.
„Gefallen hat mir in dieser Zeit besonders, dass Nora Tabea Schattmaier als erste Frau Regie am Freudenhaus geführt hat, die Kooperation mit dem Schauspiel Essen seit dem „Ruhrfaust“ und mit Studierenden der Folkwang Universität, die unter anderem die „Kriegerin“ bei uns gezeigt haben“, erzählt Besel und fügt hinzu, dass „Fortuna“ über den surinamischen Bediensteten der Essener Fürstäbtissin Franziska Christine tolle Reaktionen im Publikum ausgelöst habe und als intelligentes Theater gelobt worden sei.
Die Corona-Hochphase hat an den Nerven gezerrt
Das waren die guten Tage. Aber er hat auch die schlechten erlebt. „Im ersten Jahr war es schwer, sich als Chef zu positionieren und der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein“, berichtet er. Und dann die Hochphase von Corona mit den Lockdowns, nicht zu wissen, wie man das finanziell überbrücken soll, das anschließende Ausbleiben des Publikums - das zerrte an den Nerven. „Aber verzweifelt bin ich nie. Das Team war da und ich bin ja Berufsoptimist“, erinnert er an das erste Interview mit dieser Zeitung zu Beginn seiner Leitungsfunktion.
Langsam erholt sich die Situation. „Ich gehe mit dem Gefühl, dass es mir richtig Spaß gemacht hat, hier zu arbeiten. Ich habe viel gelernt, tolle Menschen kennengelernt. Ich freu mich auf meine neue Verantwortungslosigkeit“, betont er lachend, wobei die gar nicht so absolut ausfällt, wie es sich anhört. Schließlich tritt er weiterhin auf mit seinem Kindertheater „kreuz und quer“ auf, bei der „Heimland“-Produktion von Jelena Ivanovic, im Mondpalast und ist als Vorstand der Initiative Freie Szene Essen nicht wegzudenken.
So geht es am Freudenhaus weiter
Noch herrscht Leere auf der Homepage des Theater Freudenhaus. Ab 7. August können, laut Geschäftsführer Frank Fuchs, neue Termine gebucht werden.
Die neue Spielzeit beginnt am 17. September mit einem illustren Abend, bei dem auch der neue künstlerische Leiter vorgestellt wird.
Erst 2024 wird es wegen des Leitungswechsels eine neue Produktion geben. Zunächst laufen Stücke aus dem Repertoire wie „Freunde der italienischen Oper“, „Voll verstopft“, „Ruhrfaust“, Stillstand“, „Ab durch die Mitte“, „Fortuna“ oder „Seriengeflüster“.
Karten und Info telefonisch unter 0201 85 132 30 oder auf https://grend.de
Ob da viel Zeit bleibt für den Bücherstapel neben seinem Sessel, Theater- und Ausstellungsbesuche, Erholungsphasen in seiner „Datsche“ in Holland, intensivere Pflege von Freundschaften, Musik machen und, und, und? Nicht zu vergessen, dass er sich im Theater Freudenhaus weiter blicken lässt: als Heinz Kopleck anno 1969 in „Freunde der italienischen Oper“. „Er ist, wie Männer damals so waren. Die haben viel Grausames erlebt und nicht viel an sich rangelassen. Er erinnert mich sehr an meinen Vater.“
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