Essen. Nach den Clan-Tumulten Mitte Juni gewinnen die regelmäßigen Razzien von Ordnungsamt und Polizei an Bedeutung. Nicht nachlassen, heißt die Devise.

Sie haben sich auf die Suche nach unversteuertem Tabak gemacht, nach zugestellten Fluchtwegen und illegalen Geldspielgeräten, nach Missetätern in der Kundschaft und schwarz beschäftigten Kellnern. Aber wo hinter den weißen Schwaden qualmender Shisha-Pfeifen ein kleines Treppchen in die winzige Küche führt, da pikst die „Politik der 1000 Nadelstiche“ an diesem Abend erstmal nur in einen Stapel schmutzigen Geschirrs: Den versucht ein schweigsamer Mitarbeiter des syrischen Cafés gerade mit kaltem Wasser abzuspülen, während ein Polizist sich im Vorraum einen farbeimergroßer Bottich zeigen lässt. In dem schwimmen bei gefühlten 25 Grad Celsius ein paar Kilo Hähnchenbrüste in Paprika-Marinade. Da verfliegt der Appetit im Nu.

Freitagnacht in der nördlichen Essener Innenstadt, irgendwann nach 23.30 Uhr: Es ist Razzia-Time – wie mittlerweile jeden Freitag und Samstag. Bis zu vier Mal pro Woche rückt das Ordnungsamt der Stadt zu spätabendlichen Kontrollen aus, wird flankiert von einem stattlichen Aufgebot der Polizei-Hundertschaft und heute auch mal wieder von Oberbürgermeister Thomas Kufen. Der fand, es sei zwei Wochen nach den Clan-Tumulten vielleicht eine gute Idee, erneut einen persönlichen Blick auf das zu werfen, was man so gemeinhin den „Kampf gegen Clan-Kriminalität“ nennt.

Frau P. vom Ordnungsamt signalisiert freundlich aber bestimmt, wer die Hosen anhat

Dort kämpft in vorderster Reihe: Frau P. vom Ordnungsamt. Eine kleine, resolute Frau, die fürs eigene Team ein bemerkenswertes Arsenal kesser Sprüche auf Lager hat und die den Geschäftsführern der drei Lokale in der ersten Kontrollrunde dieser Nacht freundlich aber bestimmt signalisiert, wer hier die Hosen anhat. Eben hat sie dem Chef der Shisha-Bar angekündigt, dass er nächste Woche Besuch von der Lebensmittelüberwachung bekommt. Dass dieser sich dafür artig bedankt, lässt sie einen Moment stutzen: „Haben Sie mich verstanden?“ – „Ja, ja, ja.“ Lebensmittelüberwachung, dolle Sache, muss auch mal sein. Danke, vielen Dank, auf Wiedersehen.

Die Kontrolleure machen sich nichts vor: Wenn sie am Abend das erste Lokal kontrolliert haben, bekommen die anderen im Zweifel von ihren Landsleuten einen Wink.
Die Kontrolleure machen sich nichts vor: Wenn sie am Abend das erste Lokal kontrolliert haben, bekommen die anderen im Zweifel von ihren Landsleuten einen Wink. © wk

Ist das jetzt also die Clan-Welt, die respektlose? Tummeln sich hier die Leute, die neulich zu Hunderten durch Essens City marschierten, hüben die Syrer, drüben die Libanesen, die verbal aufeinander losgingen und vielleicht wieder losgehen, wenn ein falsches Wort oder eine Provokation eskalierend die Runde macht?

„Wir wollen uns lieber nicht vorstellen, was passiert, wenn wir nicht so weitermachen“

An jenem Freitagabend vor zwei Wochen waren massive Polizeikräfte vor Ort, „dass da nicht mehr passiert ist“, sagt Essens Polizeichef Detlef Köbbel, „werte ich vom Ergebnis her als Erfolg“. Stärke zeigen, nicht zurückweichen, immer wieder das Schwungrad der Kontrollen antreiben, das müsse die Devise bleiben. Dass sie damit auf dem richtigen Weg sind, dass „fünf Jahre engmaschiger Kontrollen“ sich gelohnt hätten, zeige die Polizeiliche Kriminalstatistik: „Es gibt weniger Straftaten als zu Beginn des Lagebildes“, betont Köbbel, „und weniger Tumultdelikte“.

Umgekehrt gilt aber auch: „Was passiert, wenn wir nicht so weitermachen, wollen wir uns gar nicht erst vorstellen“, seufzt OB Kufen. Er ringt wie auch Ordnungsdezernent Christian Kromberg um die abschließende Bewertung, wie viel von diesem Konfliktpotenzial unter der „Clan“-Überschrift man schon gesehen und erlebt hat. „Und wie viel noch unter der Wasseroberfläche schlummert.“

Immer wieder spüren sie Aggressivität und geben mitunter „stundenlang den Erklärbär“

Die gemeinsamen Einsätze von Polizei und Ordnungsamt, 720 an der Zahl allein im vergangenen Jahr, legen sich wie ein dichter Kontrollteppich über die neuralgischen Punkte der Stadt. Düstere Kaschemmen sind darunter, aber auch helle freundliche Restaurants, in denen Familien mit Kind und Kegel diesen lauen Frühsommerabend genießen.

Was fürs Handy-Album: Ein Erinnerungsfoto mit dem Essener Oberbürgermeister war für vier junge Syrer aus Münster, Herne, Unna und Erfurt Pflicht.
Was fürs Handy-Album: Ein Erinnerungsfoto mit dem Essener Oberbürgermeister war für vier junge Syrer aus Münster, Herne, Unna und Erfurt Pflicht. © wk

Aber wie verlässlich ernst gemeint sind Freundlichkeits-Gesten, wenn sie den Kontrolleuren unter den wachen Augen der Polizei entgegengebracht werden? Dezernent Kromberg versichert, die Politessen erlebten bereits ein „defensiveres Verhalten“ im Clan-Umfeld, einerseits. Frau P. vom Ordnungsamt bestätigt das teilweise, macht aber auch ganz andere Erfahrungen: „Die Menschen sind aggressiv“, stellt sie immer wieder fest – die Belegschaften der kontrollierten Lokale genauso wie das Publikum. „Warum, wieso, weshalb – ich hab doch nix gemacht.“ Das sind die Standardsätze, die Frau P. zu hören kriegt, und dann macht sie „manchmal stundenlang den Erklärbär“.

Angst? Iwo, sagt Frau P. und zeigt auf die Polizisten: „Ich hab doch meine Boygroup“

Ob sie auch schon mal Angst verspürt? Nein, versichert sie glaubhaft und zeigt auf die Riege der Polizisten, die sich gerade vor „Aldimaschki“ am Salzmarkt, an den Treppenaufgängen drinnen wie auch an der Theke postiert haben: „Ich hab doch 30 Freunde“, grinst sie, „meine Boy Group“. Nach 39 Jahren im Job kann man einer wie ihr auch nichts mehr vormachen, freundlich will sie sein, sich von der menschlichen Seite zeigen, aber eben auch bestimmt. „Ich neige dazu, nicht lange zu fackeln.“

Wie das aussehen kann, wenn die Stadt „wie ein Eichhörnchen“ (O-Ton Kromberg) auf Problemsuche geht, Mängellisten abarbeitet und dabei „nicht lange fackelt“, das bekamen dieser Tage die Betreiber der „Cafeteria Bab Al Hara“ in der Kastanienallee zu spüren. Auf dem Dach des Lokals sollte eine Außengastronomie entstehen, sie war von Amts wegen auch grundsätzlich bewilligt – nicht allerdings, dass man ohne vorherige Prüfung eine 17 Zentimeter dicke Estrich-Schicht aufs Dach auftrug.

17 Zentimeter Estrich und Sorgen um die Statik: Da musste das Lokal schließen

Nun fürchtet das Bauordnungsamt angesichts des hohen Gewichts pro Quadratmeter um die Statik des Gebäudes und hat kurzerhand seine Schließung angeordnet. Breite rote und lilafarbene Siegel am Eingang künden vom unfreiwilligen Aus, von dem auch der City Zoo-Markt nebenan und Teile des angrenzenden Parkhauses Wolf betroffen sind.

In einer Shisha-Bar an der Kastanienallee, die bei Kontrollen von Stadt und Polizei regelmäßig aufgesucht wird, haben sich die Besuche einstweilen erledigt: Eine eigenmächtig aufgetragene Estrich-Decke auf dem Dach gefährdet die Statik des Baus, der deshalb – wie auch der Zoo-Markt nebenan – von Amts wegen geschlossen und versiegelt wurde.
In einer Shisha-Bar an der Kastanienallee, die bei Kontrollen von Stadt und Polizei regelmäßig aufgesucht wird, haben sich die Besuche einstweilen erledigt: Eine eigenmächtig aufgetragene Estrich-Decke auf dem Dach gefährdet die Statik des Baus, der deshalb – wie auch der Zoo-Markt nebenan – von Amts wegen geschlossen und versiegelt wurde. © wk

Einfach sein eigenes Ding machen und sich nicht groß um Behörden, Erlaubnisse oder Regeln scheren – das ist der zentrale Vorwurf gegen viele in dieser Szene, ob am Ende Clan-zugehörig oder nicht. Einfach mal eine fette Estrichdecke aufziehen. Oder 200 Meter weiter des Abends den dicken geliehenen Daimler-SUV mit so viel Abstand zum Gehweg an den Straßenrand parken, dass die komplette Fahrspur blockiert ist. Von Frau P. gibt’s dafür ein 40 Euro-Knöllchen, vom Fahrer retour ein freundliches „Auf Wiedersehen“.

Für die jungen Syrer ein Muss: das Erinnerungsfoto mit dem Oberbürgermeister

Es ist eine seltsame Atmosphäre: Unaufgeregt, einerseits, aber immer auch mit misstrauischen, zuweilen spöttischen, unterschwellig provokativen Blicken. Motto: Was wollt Ihr hier? Mal wird der abziehenden Polizei kurz hinterhergeklatscht, mal per Handy gefilmt, mal angestrengt ignoriert. „Wie geht’s Familie?“ fragen die Kinder den OB und rennen fröhlich weg, es sieht aus wie eine Mutprobe. Vier junge Männer, alle Syrer, alle vor sieben, acht Jahren nach Deutschland geflüchtet, betrachten am „Gast Palace Café“ an der Friedrich-Ebert-Straße amüsiert den Aufmarsch der Uniformierten. Sie kommen aus Münster, Herne, Unna und Erfurt, sprechen sehr gut Deutsch und haben sich hier zum islamischen Opferfest in Essen verabredet. Die Kontrollen? „Die sind gut, es geht ja um Sicherheit und Gesundheit.“ Echt jetzt?

Das Quartett bittet um ein Erinnerungsfoto mit dem Essener Oberbürgermeister, und Kufen lässt sich nicht lange bitten, lächelt freundlich in die Kamera, es ist kurz vor Mitternacht. Er wird sich gleich verabschieden von Polizeichef Köbbel, von den Polizisten und von Frau P., die noch ein paar Häuser weiter ziehen muss, weiter gen Norden, da warten Leute auf sie, „die haben 16 Jahre im Gefängnis gesessen“. Womöglich ein Erinnerungsfoto dort?

Lieber nicht.