Essen. Acht Monate nach der Straßenschlacht in Altendorf hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ibrahim A. (26) erhoben. Weitere sollen folgen.

Die Massentumulte des vergangenen Sommers im Clan-Milieu von Essen-Altendorf mit einem lebensgefährlich und mehreren leicht verletzten Beteiligten haben erste Konsequenzen: Acht Monate nach dem Straßenkampf zwischen zwei verfeindeten Großfamilien, deren Mitglieder mit Waffen, Knüppeln, Tischen und Stühlen am helllichten Tag vor einem Restaurant auf der Altendorfer Straße aufeinander losgingen, hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen 26-jährigen Türken erhoben.

Ibrahim A. soll am 25. Juni einem 30 Jahre alten Kontrahenten mit einem Teppichmesser in den Hals gestochen und dem Mann mit syrisch-türkischer Staatsangehörigkeit eine Wunde vom Ohr bis zum Oberkörper zugefügt haben, berichtete Landgerichtssprecher Thomas Kliegel auf Anfrage dieser Zeitung. Der Schnitt reichte „fast bis an die Lungenhaut“.

Auch einem zweiten Gegenüber soll der 26-Jährige attackiert haben. Doch dieser Angegriffene konnte sich so schnell wegducken, dass er durch die Klinge lediglich eine Verletzung erlitt, die ambulant behandelt werden konnte.

Bis heute erhebliche gesundheitliche Probleme

Währenddessen kämpften die Ärzte um das Leben des ersten Opfers. Der Mann musste notoperiert werden, habe mehrere Tage stationär in einer Klinik verbracht und bis heute mit „erheblichen gesundheitlichen Problemen“ zu kämpfen, so der Landgerichtssprecher.

Wie Kliegel sagte, gehe die Staatsanwaltschaft in ihrer Beurteilung der Zwischenfälle von einem Tötungsvorsatz des 26-Jährigen aus. Dass die Anklage dennoch „nur“ auf gefährliche Körperverletzung und nicht auf versuchten Totschlag laute, könnte in dem angenommenen „Rücktritt“ des mutmaßlichen Messerstechers begründet sein. Etwa, weil er sich nach seinem ersten Angriff einem zweiten Opfer zugewandt hat. Zudem werde Ibrahim A. Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall vorgeworfen.

Die zuständige Kammer des Landgerichts habe die Anklage der Staatsanwaltschaft noch nicht zugelassen, wann der Prozess beginnt, sei deshalb offen.

Weitere Beschuldigte könnten zur Verantwortung gezogen werden

Neben Ibrahim A. könnten aber durchaus noch andere Beschuldigte zur Verantwortung gezogen werden. Wie Marion Weise, Sprecherin der Essener Staatsanwaltschaft erklärte, werden Anklagen gegen weitere sechs identifizierte Verdächtige vorbereitet. Die Vorwürfe lauten auf gefährliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch, schwerer Raub und Verstoß gegen das Waffengesetz.

Nach dem ersten Tumult mit mehreren Hundert Beteiligten am 25. Juni, dessen Auslöser ein Streit um einen Parkplatz an der Altendorfer Straße gewesen sein soll, kam es tags drauf zu erneuten Unruhen und einer weiteren Zusammenrottung von rund 100 gewaltbereiten Randalierern. Es gab drei Leichtverletzte. Ein 19- und ein 20-Jähriger wurden in Gewahrsam genommen.

Zwei Tage später trafen Polizisten im Stadtteil auf vier Verdächtige im Alter von 17 bis 20 Jahren, die in ihrem Auto diverse Schlagwerkzeuge, Messer, Macheten und einen Elektroschocker transportierten. In der Nacht zum 29. Juni schließlich stoppten Beamte nach einem Hinweis in Borbeck elf Maskierte, die ausnahmslos einer an den Ausschreitungen mutmaßlich beteiligten Großfamilie zuzuordnen waren.

Die Verdächtigen konnten ihrer Wege gehen

In einem Auto der libanesischstämmigen Männer fanden sich zwei Pistolen samt Munition. Die Waffen seien einsatzbereit gewesen, hieß es bei der Polizei, die lediglich Platzverweise erteilte. Die Verdächtigen konnten anschließend ihrer Wege gehen. Die Begründung: Die Pistolen waren keinem von ihnen konkret zuzuordnen.

Ibrahim A. war nach seiner Festnahme drei Monate später in Untersuchungshaft gewandert, nach Zahlung einer Kaution aber wieder entlassen worden, berichtet die Polizei Essen, die in den Monaten nach den diversen Einsätzen nicht zur Ruhe kam: Es kam laufend zu gegenseitigen Anzeigenerstattungen der rivalisierenden Familien mit dem Ziel, polizeiliche sowie strafprozessuale Maßnahmen zum Nachteil der jeweils anderen Personengruppe herbeizuführen“, heißt es in einem Bericht unter der Überschrift „Tumultdelikt im Clanmilieu“. Auf gut Deutsch: Man schwärzte sich gegenseitig an.

Unterdessen sichteten die Ermittler „diverses Videomaterial“, um „aus unterschiedlichen Blickwinkeln“ herauszufiltern, wem welche Vergehen zuzuordnen sein könnten. Die Bilder waren die wohl einzige zuverlässige Quelle, denn „sämtliche Aussagen stammten von beteiligten Personen, überwiegend mit Clan-Zugehörigkeit“. Unabhängige Zeugen, so die Polizei, wurden nicht bekannt.