Essen. In der Uniklinik Essen können Frühchen nach der Geburt erst bei der Mutter bleiben. Sie werden auf einem Trolley versorgt und später abgenabelt.

Sie sind winzig, empfindlich und müssen schnellstmöglich medizinisch versorgt werden: Frühgeborene Babys werden darum rasch abgenabelt und von der Mutter getrennt. Es dauert, bis die Eltern ihr Kind sehen, berühren dürfen. An der Uniklinik Essen hat sich das dank einer neuen mobilen Geburtsschale geändert: „Das Baby kommt erstmal nicht in den Brutkasten, sondern kann auf der Schale versorgt werden – an der Seite der Mutter“, erklärt Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser, Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde I.

Uniklinik Essen will Frühgeborene besonders schonend versorgen

Denn der mobile „Concord Birth Trolley“ ist mit allen Geräten zur medizinischen Erstversorgung ausgestattet, und kann bei Kaiserschnitten im OP ebenso wie bei Spontangeburten im Kreißsaal eingesetzt werden. Das Neugeborene liegt dabei unter einer Wärmelampe in einer kleinen Babyschale und wird gleich vor Ort stabilisiert. „So können wir sehr kleine Frühchen besonders schonend versorgen und später abnabeln“, sagt Felderhoff-Müser.

Der erste Blick auf ihr Baby: Jil El Awad hat am 1. Februar 2023 im Essener Uniklinikum Drillinge zur Welt gebracht. Normalerweise werden Frühgeborene gleich abgenabelt und zur Erstversorgung gebracht. Hier wurde das Baby auf dem neuen Concord Birth Trolley versorgt und konnte so erstmal an der Seite der Mutter bleiben. (Auf Wunsch von Jil El Awad wurden ihre Haare gepixelt und so unkenntlich gemacht).  
Der erste Blick auf ihr Baby: Jil El Awad hat am 1. Februar 2023 im Essener Uniklinikum Drillinge zur Welt gebracht. Normalerweise werden Frühgeborene gleich abgenabelt und zur Erstversorgung gebracht. Hier wurde das Baby auf dem neuen Concord Birth Trolley versorgt und konnte so erstmal an der Seite der Mutter bleiben. (Auf Wunsch von Jil El Awad wurden ihre Haare gepixelt und so unkenntlich gemacht).   © Universitätsklinikum Essen

Dadurch werde auch das Risiko eines Sauerstoffmangels verringert, ergänzt Oberärztin Dr. Ioana Bialas. „Extrem kleine Frühgeborene atmen nicht sofort von allein. Wenn sie noch einige Minuten an der Nabelschnur bleiben, haben sie mehr Zeit, sich von der Versorgung durch die Mutter auf die selbstständige Atmung umzustellen.“ Frühchen, Kindern mit Fehlbildungen oder schweren Erkrankungen solle so ein weitgehend natürlicher Start ermöglicht werden. Gleichzeitig hält der neue Geburtstisch Sauerstoffmaske und Beatmungsgerät bereit.

Das Wunder des ersten Atemzugs

Mit der Geburt ist für das Neugeborene eine komplexe Umstellung verbunden. Wurde es im Mutterleib über die Nabelschnur versorgt, wird diese Versorgung nun gekappt: Das Baby muss selbstständig atmen. Mit dem Abnabeln wird daher gewartet, bis es seinen ersten Atemzug getan hat.

Kinder, die zu früh und/oder erkrankt zur Welt kommen, werden dagegen sofort abgenabelt, um sie rasch medizinisch versorgen zu können. Ihre Atmungsaktivität setzt aber oft verzögert ein: Das birgt das Risiko eines Sauerstoffmangels, der das Kind gefährden oder langfristig schädigen kann.

Neue Geburts-Trolleys wie der „Concord Birth Trolley“ ermöglichen, dass auch Frühchen nicht sofort abgenabelt werden müssen: Die mobilen Geburtsschalen sind mit Geräten für die intensivmedizinische Erstversorgung ausgestattet und können im Kreißsaal oder (beim Kaiserschnitt) im OP eingesetzt werden: Das Baby liegt sicher versorgt bei der Mutter, die Eltern können es berühren, bevor es in den Brutkasten oder zu weiteren Untersuchungen kommt.

Seit November 2022 wird der Trolley mit dem symbolträchtigen Namen an der Uniklinik Essen eingesetzt: Concord setzt sich aus con (mit) und cord (Nabelschnur) zusammen. Das spätere Abnabeln senke das Risiko einer Hirnblutung und beuge einer Blutarmut vor, sagen die Kinderärztinnen. „Und wir haben ganz schnell eine Rückmeldung, wie sich das Kind macht“, fügt ihre Kollegin Dr. Antonella Iannaccone hinzu. Sie ist Oberärztin an der Geburtsklinik der Uniklinik und hebt als einen Vorteil des Trolleys hervor, dass er den Eltern unmittelbar nach der Geburt den Kontakt zu ihrem Baby ermögliche.

Eltern trauen sich oft kaum, ihr winzigkleines Baby zu berühren

„Das Baby kommt erstmal nicht in den Brutkasten, sondern kann auf der Schale versorgt werden – an der Seite der Mutter“, erklärt Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser, Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde I an der Uniklinik Essen.
„Das Baby kommt erstmal nicht in den Brutkasten, sondern kann auf der Schale versorgt werden – an der Seite der Mutter“, erklärt Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser, Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde I an der Uniklinik Essen. © WAZ FotoPool | Sebastian Konopka

Wenn sie den winzigkleinen Säugling erstmals sehen, hätten Eltern von Frühgeborenen oft Berührungsängste, erklärt die leitende Hebamme, Yvonne Rohde. „Wenn sie erleben, dass alles ruhig verläuft, nehmen sie leichter Kontakt zu ihrem Baby auf.“ Eine möglichst frühe und entspannte Bindung zum Kind wirke sich übrigens nicht nur positiv auf dessen weitere Entwicklung aus, sagt Prof. Felderhoff-Müser: „Wenn die Mutter ihr Kind nach der Geburt sieht, ist das auch ein wichtiger Impuls für den Milcheinschuss.“

Für die Mutter kann der frühe Blick auf ihr frühgeborenes Kind auch eine große Erleichterung bedeuten: So schildert es Jil El Awad, die am 1. Februar Drillinge bekommen hat und den Kaiserschnitt als, sehr intensive Erfahrung beschreibt. „Als meine Jungen geholt wurden, lag ich da hinter dem Tuch, wartete nervös, dann kamen die Schreie – und dann der Kleine wie auf dem goldenen Tablett.“

Mutter war vor der Drillingsgeburt sehr aufgeregt

Bei Mehrlingsgeburten werden die Babys nacheinander auf dem Concord Birth Trolley versorgt, abgenabelt und zu weiteren Untersuchungen gebracht. Der Letztgeborene kommt vorher noch zur Mutter. „Es war so schön, dass ich ihn schon sehen konnte, bevor ich in den Überwachungsraum kam.“ Ihr Baby sei so winzig gewesen, dass sie sich kaum getraut habe, es zu berühren, aber das Geburtsteam habe sie ermutigt: „Fassen Sie ihn ruhig an.“ Inzwischen liegen die drei Jungs in Brutkästen auf der Intensivstation und ihre Mutter hat keine Scheu mehr vor dem so wichtigen Körperkontakt und Kangarooing.

„Wenn sie erleben, dass alles ruhig verläuft, nehmen sie leichter Kontakt zu ihrem Baby auf“, sagt Yvonne Rohde, leitende Hebamme am Uniklinikum Essen, über die Eltern von Frühgeborenen.
„Wenn sie erleben, dass alles ruhig verläuft, nehmen sie leichter Kontakt zu ihrem Baby auf“, sagt Yvonne Rohde, leitende Hebamme am Uniklinikum Essen, über die Eltern von Frühgeborenen. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Vor der Drillingsgeburt in der 33. Woche und ihrem ersten Kaiserschnitt war Jil El Awad, die schon zwei größere Töchter hat, sehr aufgeregt: „Aber das Team hat mir die Angst genommen.“ Die Geburt mit dem Trolley habe die Atmosphäre enorm beruhigt, das habe auf alle im Raum ausgestrahlt.

Der Trolley mit der Geburtsschale sei eigentlich eine ganz einfache Idee, sagt Ursula Felderhoff-Müser. Trotzdem gehe es natürlich nicht ohne die „geballte Kompetenz“ von Geburts- und Kinderklinik, ein gut geschultes und eingespieltes Team. Die Uniklinik Essen gehört zu den ersten Kliniken im Land, die mit dem im niederländischen Leiden entwickelten Trolley arbeiten. Inzwischen sei der schon bei mehr als 20 Geburten zum Einsatz gekommen und entwickle sich zum Standard bei Frühgeburten. Das gemeinsame Ziel sei, die Atmosphäre im OP möglichst nah an die bei einer Spontangeburt kommen zu lassen, sagt Yvonne Rohde: „So sanft wie möglich.“