Essen-Schönebeck. Eine Essener Metzgerei verkauft neben Schwein und Rind auch Wild. Das wohl ungewöhnlichste Produkt in der Theke: Nutria-Ragout.
Die Schönebecker Metzgerei Bickert zählt dem Gourmetmagazin „Der Feinschmecker“ zufolge zu den 500 besten Metzgereien Deutschlands. Das wohl ungewöhnlichste Produkt im Laden: Nutria-Ragout. Doch für das Ranking zählen andere Kriterien wie handwerkliche Qualität und Geschmack, auch Freundlichkeit und Kompetenz des Personals. Fleischermeister Jürgen Bickert fühlt sich geehrt: „So, wie ich es verstehe, ist es ein Publikumspreis. Für uns sind unsere Kunden die wichtigste Jury. Sie kaufen deutlich bewusster ein, durchaus weniger Fleisch, dafür aber qualitativ hochwertiger. Erfreulich viele junge Familien interessieren sich wieder für gesunde Küche. Sie haben wieder Lust darauf, gut zu kochen.“
Und die Nachricht über die Auszeichnung kam zu einem willkommenen Zeitpunkt. Erstmals hatte Bickert im Winter seine Schönebecker Fleischerei geschlossen und mit Ehefrau Martina fünf Tage lang auf Texel das Meeresklima genossen: „Wir wollten einfach mal die Sorgen wegblasen lassen. Es waren schon drei sehr herausfordernde Jahre.“ Erst kam die Corona-Pandemie, dann die steigenden Energiekosten. „Da kommen Existenzängste auf“, sagt Bickert.
Essener Metzgerei erhält Auszeichnung des Magazins „Der Feinschmecker“
Die Auszeichnung des „Feinschmeckers“, die auch weitere Essener Betriebe erhalten haben, ist für ihn ein positives Signal. Der 52-Jährige möchte mit seinem Handwerk überzeugen: „Bei uns kaufst du nicht nur Fleisch. Bei uns bekommst du die komplette Geschichte des Tiers dazu. Da steht für uns der gute alte Begriff vom Nutztier obenan.“ Es gehe ihm auch um Nachhaltigkeit. Daher werde auch Wildfleisch aus der Region angeboten, gejagt von ihm selbst oder von befreundeten Jägern. „Wildfleisch hat durch die viele Bewegung wenig Fett und eine feine Faser“, sagt Bickert.
Er empfiehlt, auch einmal Nutria-Ragout zu probieren. Das Fleisch des aus Südamerika stammenden Nagers liege geschmacklich zwischen Spanferkel und Kaninchen. Die Wasserverbände an Lippe und Ruhr bitten die Jägerschaft, den Bestand einzudämmen: „Nutrias untergraben Ufer und Dämme, sie zerstören Schilfgürtel, natürliche Flussverläufe und Auen“, erklärt Bickert. Für ihn ist das Vorgehen Naturschutz in Verbindung mit Nachhaltigkeit. Die erlegten Tiere verarbeitet er weiter und verkauft das Fleisch in seinem Geschäft.
Essener Fleischermeister verarbeitet Nutrias
In der Geschichte des Betriebs ist das Nutria-Ragout eine exotische Neuerung. Jürgen Bickerts Vater Peter gründete den Betrieb 1962: „Meine Eltern übernahmen damals den Laden in ziemlich desolatem Zustand und päppelten ihn auf.“ Im März 1999 übernahm dann Sohn Jürgen: „Es war eine kleine Metzgerei, die wirklich gut lief. Aber ich wollte mehr.“ Der Betrieb wurde ausgebaut.
Inzwischen ist auch die Dachfläche mit einer Photovoltaik-Anlage versehen: „Wir erzeugen einen guten Teil unseres Stroms selbst.“ Ehefrau Martina wirbelt an der Verkaufstheke, die Söhne Robin (19) und Erik (17) treten in des Vaters Fußstapfen: „Robin macht nächsten Monat seinen Gesellen und Erik ist im dritten Lehrjahr.“ Apropos: „Unser Mitarbeiter Andreas Stovermann war der letzte Lehrling meines Vaters und ist immer noch an Bord.“
Fleisch von Tieren aus der Umgebung
Nur noch 12.000 unabhängige Metzgereien gibt es in Deutschland, das sind halb so viele wie noch vor 20 Jahren. Gerade einmal 13 Betriebe zählt die Fleischerinnung Rhein-Ruhr noch in Essen. In dieser Situation setzt Bickert erst recht auf die Strategie, die Tiere von Höfen im Umkreis von höchstens 60 Kilometern zu kaufen. „Teils sind das Nebenerwerbslandwirte. Dort haben die Tiere noch Zeit, zu leben. Da haben sie es gut“, findet er. Auf dem Bauernhof von Familie Strothmann in Raesfeld könne man zum Beispiel vorbeischauen und sich alles ansehen. In Schermbeck steht ein alter Jeep parat, mit dem Bickert die Bauern besucht und ihre Tiere in Augenschein nimmt: „Am Wochenende zum Beispiel schaue ich mir an der Lippe Heckrinder an und einen Angus-Ochsen.“ Bickert lässt die Tiere vor Ort schlachten und verarbeitet das Fleisch dann in Schönebeck.
Fleischer bietet auch Barbecue-Kurse an
Der Schönebecker Fleischermeister Jürgen Bickert ist auch Dozent der Augsburger Fleischer-Akademie für den Lehrgang zum Wild-Sommelier. Dort hat er sich selbst vor Jahren ausbilden lassen: „Die leisten tolle, innovative Arbeit. Da bin ich halt klebengeblieben.“ Im Sommer ließ er sich in Augsburg zum „Asador“ ausbilden. „Asado“ bezeichnet in Südamerika eine Festmahlzeit, bei der über offenem Feuer gegrillt wird: „Beim Barbecue steht der soziale Charakter im Vordergrund, das Zusammensein. Das ist die Kultur, die wir vermitteln wollen.“
Sein Wissen gibt er gerne weiter: „Ab März geht es wieder los mit unseren Seminaren, zum Beispiel BBQ von Basic bis Pro. Beim Rinder-Steak-Tasting zeigen wir verschiedene Special Cuts, für die es exaktes Wissen braucht. Du musst das Stück verstehen. Aus einem Rind kannst du die verschiedensten Geschmackseindrücke zaubern, wie bei einer Pralinenschachtel.“ Beim Lehrgang „Wursten wie beim Opa“ können die Teilnehmer ihre eigene Bratwurst herstellen. Im Kurs „Aus der Decke in die Küche“ lernt man, wie Wild zerlegt wird: „Welches Wildbret eignet sich für besonders zum Grillen, aus welchen Stücken bereite ich ein zünftiges Gulasch zu? Wo sitzen die besten Suppenknochen?“ Die Termine der Lehrgänge werden vorher in den sozialen Kanälen der Fleischerei Bickert bekannt gegeben.