Meerbusch. Nutrias zuzubereiten, Sumpfbiber, lehrt ein neuer Kochkurs. Bisher schießt man sie und wirft sie weg. Geht gar nicht, sagt die Nachhaltigkeit.

Es war ja letztlich die Nutria-Keule an Stern-Anis, die Jürgen Jansen überzeugt hat: „So weihnachtlich, so lecker.“ Versuchsweise hatte der experimentierfreudige Jäger aus der Gegend von Monschau sich eine Nutria zubereiten lassen und noch beim Essen beschlossen: „Ich werf’ keine mehr weg.“ Die mehrheitliche Reaktion der Kollegen kennt er freilich auch, die sagen nämlich immer noch: „So etwas esse ich nicht.“ Und das ist noch das Höflichste. Aber das ist ihm Wurst.

Zusammen mit seiner Frau Birgit Jansen hatte er die Idee zu einem Kochseminar, welches am Abend zehn Teilnehmer in das gehobene Landgasthaus „Strümper Hof“ in Meerbusch lockt. „Tradition verpflichtet“ steht an der Wand, die Speisekarte spricht dieselbe Sprache („Feldhase am Stück“, „Rehgoulasch“ mit dem edlen ou), die Spirituosen sind auserlesen, die Gerichte des Seminars allerdings durchaus untraditionell. Bis etwas heikel: Johannes Siemes, Chef, Koch, Hotelier und Rheinländer („Ich bin der Hennes“), lässt „Satè-Spieße von der Nutria“ anrichten oder auch „Nutriageschnetzeltes in Kirsch-Pfeffer-Sauce“.

„Dabei ist die Nutria weder Biber noch Ratte“

Die Teilnehmerin Désirée Büttner zerlegt eine Nutria.
Die Teilnehmerin Désirée Büttner zerlegt eine Nutria. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Das Tier ähnelt stark dem Biber, gilt in Deutschland als Eindringling, kann Dämme beschädigen und darf gejagt werden - nur von Jägern, versteht sich. Doch vor allem sein deutscher Name steht einer kulinarischen Karriere entschieden im Weg: Sumpfbiber. Und spätestens beim Synonym „Biberratte“ vergeht den Leuten ein kleines bisschen der Appetit. „Dabei ist die Nutria weder Biber noch Ratte“, sagt Siemes.

Sondern eine Art groß geratenes, schwimmendes Meerschweinchen. Weil leider vermutlich auch niemand in Deutschland Meerschweinchen essen möchte und Kinder gar in Tränen ausbrechen könnten angesichts des vollen Tellers und des leeren Käfigs, kommt aus Holland der kulinarisch unbedenkliche Begriff „Wasserkaninchen“ des Wegs. Aber ach: Durchgesetzt hat er sich noch nicht. Bei weitem nicht. Selbst im eigenen Rezepteheft steht es noch so: „Nach fünf Tagen den eingelegten Sumpfbiber auf ein Sieb schütten und die Marinade auffangen.“

Orangefarbene Zähne und der Schwanz unterscheiden sie von Bibern

Fünf Teams zu zwei Leuten stehen in der Gasthaus-Küche um den Arbeitstisch, Siemes hat sie eingeteilt („Wer macht den geschmorten Nutria-Braten?“). Unter seiner Anleitung zerlegen sie fünf abgebalgte Tiere: „Dann nehmt ihr eine Schere und schneidet die Rippchen durch.“ Sie schnibbeln, schneiden, vierteln, Siemes, überall und nirgends unterwegs, pfeffert, zuckert, guckt nach Chili, kommt jetzt mit dem Kochkurs-Klassiker: „Passt auf eure Finger auf!“

Birgit Jansen, die Initiatorin und Schatzmeisterin der Kreisjägerschaft, hat eine ausgestopfte, lebensgroße Nutria mitgebracht - schon groß. Vom Biber unterscheidet sie der weiße Schnurrbart, die orangefarbenen Zähne und der, nun ja, rufschädigende, rattenartige Schwanz. Image schlägt wieder mal Wirklichkeit, denn im wahren Leben, sagt Jansen, „ist die Nutria ein ganz liebes und hübsches Tier mit einem wunderschönen Pelz. Eine Nutria zu überreden, dass sie einen Menschen angreift, da müssen Sie schon sehr viel tun.“ Da kann der Koch mit seinem Fach nur assistieren: „Kein Cholesterin, gut verträgliche Fette, mineralreich.“

Jagdpächter kassieren pro Tier eine Schwanzprämie

Birgit Jansen von der Kreisjägerschaft Neuss hat den Kurs mit angestoßen.
Birgit Jansen von der Kreisjägerschaft Neuss hat den Kurs mit angestoßen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Tatsächlich geht es aber um viel mehr als eine Bereicherung der Speisekarte. 27.000 Nutria wurden 2021 in Deutschland geschossen, die Jagdpächter kassieren pro Tier die Schwanzprämie zwischen regional unterschiedlichen 4,50 und 13 Euro, und der Rest wird einfach weggeschmissen. Mehrere Kilo Frischfleisch. Geht gar nicht.

Hennes der Rheinländer Siemes, selbst Jäger, sagt es so: „Wir sind für Nachhaltigkeit. Das wichtigste ist, die Tiere, die wir töten, auch zu verarbeiten. Selbst für Krähen gibt es Rezepte.“ Désirée Büttner aus Düsseldorf ist aus ähnlichen Gründen zum Seminar gekommen: „Ich esse gerne Wild, weil das gut aufgewachsen ist.“ Die Gesichter ihrer Kollegen hätten Bände gesprochen („Du gehst zu einem Meerschweinchen-Kochkurs?“), aber sie findet: „Besser als aus Massentierhaltung.“

Bei der Familie von Yvonne und Michael Schilling hielt sich die Anti-Reaktion in engsten Grenzen, denn die lebte eigentlich in Ost-Berlin, und die DDR aß Nutria. Schillings haben das Seminar in einem Jäger-Medium entdeckt: „Finde ich cool, machen wir“, hat Yvonne beschlossen; jetzt finden sie es insgesamt „ungewöhnlich und spannend“, auch wenn sie gerade nur den Spitzkohl schnibbeln.

Für die normale Speisekarte ist das Tier noch „zu vorurteilsbelastet“

Das Nutria-Kochseminar wird es weiter geben. Schon jetzt hat Birgit Jansen Interessenten vertrösten müssen. Die können sich für den nächsten Termin, vermutlich Anfang 2023, über die Kreisjägerschaft Neuss anmelden: etwa unter www.kjs-neuss.de. Mitglieder zahlen 80 Euro, alle anderen 120.

Am Ende des Abends ist das Ergebnis eindeutig. Alle haben es gegessen, alle fanden es lecker. „Zart“, „nach Wild“, „gewohnt und doch unbekannt“, „zwischen Wildschwein und Kaninchen“. Lieber Herr Siemes, würden Sie Nutria denn nun auf die Speisekarte nehmen? „Nein“, sagt er entschieden: „Das schmeckt gut und sieht gut aus, aber Nutria ist nicht auf Bestellung verfügbar, weil es nicht gezüchtet werden darf.“ Und vor allem sei es für sehr viele Menschen noch „zu vorurteilsbelastet“. Wahrscheinlich würde nicht einmal ein edles „Nutriagoulasch“ daran etwas ändern. Und auch nicht „Nutria am Stück.“