Essen. Die Aufsteigerin des Aalto-Balletts: Wie sich die Tänzerin Yuki Kishimoto aus der Gruppe in die erste Reihe der Essener Compagnie gearbeitet hat.
Wie eine Feder fliegt sie durch die Luft. Jede Drehung, jeder Sprung, jeder Spagat geprägt von Schwerelosigkeit. Auf dem Plakat zu dem romantischen Ballettklassiker „Giselle“ schwebt Yuki Kishimoto hoch erhobenen Hauptes mit weißen Lilien in den Händen durch den Raum als Bezwingerin des Todes durch die große Liebe. Doch nichts daran ist wirklich leicht. Zehn Jahre hat sie für den Aufstieg von der Gruppentänzerin zur Solistin hart gearbeitet. Jetzt krönt das Fotomotiv ihren Weg zur Titelfigur. Welch ein Triumph.
Mit 14 Jahren verließ die Aalto-Tänzerin ihre Heimat Japan
Yuki Kishimoto wurde in der Millionenmetropole Osaka geboren. Der Vater ist Geschäftsmann, die Mutter arbeitet im Krankenhaus und hatte selbst in jungen Jahren Ballettunterricht. Genau das Richtige für ihre Tochter, die mit ihren überaus beweglichen Gliedmaßen auffiel. Angespornt von Schulaufführungen ihrer Freunde, wollte sie es auch mal versuchen mit dem Ballett, das in Japan sehr populär ist und ein Ventil für Emotionen, die üblicherweise nicht gezeigt werden. Sie besuchte die Tanaka Ballet Art, absolvierte Kurse in London und New York und wurde nach gewonnenen Wettbewerben an der Académie de Danse Princesse Grace in Monte Carlo aufgenommen. Dort entdeckte sie Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh.
Sie war 14, als sie von zu Hause wegging. „Für mich war das aufregend. Ich war nicht ängstlich, hatte nur ein wenig Heimweh“, erinnert sich die zierliche Japanerin mit der positiven Lebenseinstellung. Mit 18 trat sie sehr erleichtert über ihren ersten festen Vertrag das Engagement in Essen an und blieb. „Diese Compagnie ist meine Familie für mich. Es sind nette Kollegen. Alle helfen einander. Ich habe Freunde gefunden“, erzählt die Tänzerin, die mit dem ukrainischen Tänzer Yegor Hordiyenko liiert ist. Wenn sie als Paar auf der Bühne stünden wie in „Romeo und Julia“ oder „Othello“, könne sie ihm vertrauen: „Er ist ein guter Partner. Ich muss ihm nichts sagen. Er weiß, was ich will.“
Die Arbeit an Ausdruck und Technik hat sich gelohnt
Von romantischen Rollen hat Yuki Kishimoto immer geträumt. Von Julia und Giselle, von Olga und der Kameliendame. „Die würde ich gerne probieren. Ich mag schöne Geschichten, schöne Musik. Ich mag romantisches Ballett“, sagt sie. Um so mehr freute sie sich, als Ben Van Cauwenbergh ihr ohne Begründung sagte: „Du solltest ,Giselle’ tanzen.“ Denn es bedeutete: Du bist so weit. Das jahrelange Arbeiten an Ausdruck und Technik hatte sich gelohnt. „Ich habe mich angetrieben beim Training und bei Proben“, sagt sie. „Zum ersten Mal auf einem Plakat zu sein, das ist schon großartig. Ich bin sehr dankbar.“
https://www.waz.de/staedte/essen/essener-aalto-opern-klassiker-und-ein-tramp-namens-chaplin-id235190529.htmlHerzerfrischend ist ihre ungetrübte Liebe zu dem Adligen Albrecht, der ihr seine Verlobung mit Bathilde verheimlicht. Nachvollziehbar der verzweifelte Zusammenbruch, als sie von dem Betrug erfährt und die andauernde Liebe über den Tod hinaus, die ihn am Leben erhält. Greifbare Verlockung, endlose Trauer, verzehrende Hingabe vereint sie in ihrem geisterhaften Wesen. Ihr niedergeschlagenes Gesicht, ihre herunterhängenden Hände, ihre demütige Haltung strahlen es aus. „Du musst wissen, wen du verkörperst. Du musst in dem Charakter sein. Das Wichtigste ist, die Geschichte mit dem Körper zu erzählen“, weiß sie. „Ein kleines Lächeln zeigt: Ich vergebe dir.“
In der Maske bereitet sie sich innerlich auf die Rolle vor
Nein, sie ist nicht wie Giselle. Sie würde nicht sterben, wenn ihr Liebster sie verlässt. „Traurig ja, aber mir würde nicht das Herz brechen. Ich würde nicht verrückt werden“, meint Yuki Kishimoto. Nervös ist sie schon vor dem abendlichen Auftritt. Sie trinkt morgens mehr Kaffee vor dem Training. Mittags isst sie etwas Pasta, um genug Energie zu haben, für den kräftezehrenden Einsatz. Mit geschlossenen Augen versucht sie, auf der Couch zu entspannen. „Wenn das Make-up gemacht wird, bereite ich mich auf die Rolle vor. Wenn ich tanze, geht die Nervosität weg. Tanzen ist meine Herzenssache“, sagt sie. Nach der Vorstellung fühle sie sich leer, fast wie tot, gesteht die 1,64 Meter große Tänzerin. Gespräche, eine Pommes in der Kantine wirken da geradezu belebend.
Bei der Premiere war ihre Mutter aus Japan zu Besuch und sehr stolz auf ihre Tochter. Yuki Kishimoto war glücklich. Die Familie kann sie selten sehen. Zu Weihnachten und zum Jahreswechsel ist ein Besuch wegen der eng getakteten Vorstellungen ohnehin nicht möglich. Normalerweise fliegt sie im Sommer nach Osaka. Nicht nur dann denkt sie an ihren verstorbenen Großvater, der ihr sein Lebensmotto mit auf den Weg gab, als sie im Teeniealter nach Monaco ging: „Gib nicht auf, Yuki.“