Essen. 100 Jahre Ruhrbesetzung und Fußball-Geschichte in 400 Fotografien: Was Ruhr Museum und Stiftung Zollverein für das Ausstellungsjahr 2023 planen.
Es ist der 11. Januar 1923, als französisches und belgisches Militär ins Ruhrgebiet einmarschieren. Am Abend dieses eisigkalten Januartages haben zigtausende, schwer bewaffnete Soldaten mit Panzern die Stadt Essen erreicht, um von hier aus in den nächsten Tagen auch Nachbarorte von Gladbeck bis Dortmund zu besetzen. Die „Ruhrbesetzung“ hat begonnen. Die feindlichen Besatzer sind gekommen, um die nach dem Ersten Weltkrieg von Kriegsverlierer Deutschland zugesicherten Reparationszahlungen einzutreiben, ersatzweise in Form von Kohle und Telegrafenmasten. Weil die Weimarer Republik den im Versailler Vertrag von 1919 verankerten Verpflichtungen nur schleppend nachkommt, holt man sich die Kriegsschulden nun persönlich – zur Not auch mit Gewalt.
100 Jahre später, auf den Tag genau am 11. Januar 2023, wird im Ruhr Museum eine Ausstellung eröffnet, die an diese Invasion erinnert. Als Reaktion fordert die Reichsregierung die Bergleute und Stahlarbeiter zum passiven Widerstand durch Streiks auf, Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit, Plünderungen und Armut bestimmen von nun an auch das Leben an der Ruhr. Die Produktionsausfälle beschleunigen den Niedergang der Wirtschaft. „Hände weg vom Ruhrgebiet! Die Ruhrbesetzung 1923–1925“ heißt denn auch die Galerieausstellung, mit der das Ruhr Museum ins Ausstellungsjahr 2023 startet.
Die Schau beschäftigt sich vom 12. Januar bis zum 27. August 2023 mit dem Besatzungsalltag der Bevölkerung und dem Einsatz der an der Ruhr stationierten Soldaten. Zu sehen sind dabei eindrucksvolle und seltene Exponate aus großen europäischen Ausstellungshäusern und Militärmuseen, die beispielsweise Originaluniformen und militärisches Gerät nach Essen schicken.
Für Theo Grütter, Direktor des Ruhr Museums, ist 1923 aber nicht nur das Jahr der Ruhrbesetzung, sondern auch „ein Schlüsseljahr der Ruhrgebietsgeschichte“. Es stehe für die „Janusköpfigkeit der Moderne“. Auf der einen Seit herrschen Krieg und Armut, aber auch der kulturelle Aufschwung prägt in den frühen 1920er Jahren das Bild der Städte im Ruhrgebiet. Und die Besetzung, so Grütter, „schweißt das Ruhrgebiet von innen zusammen“.
Das „Land der 1000 Derbys“ wird Ausstellungsthema
Doch nicht nur der Ruhrkampf dürfte im neuen Ausstellungsjahr für überregionales Interesse sorgen. Fußballfans können sich auf den 4. Mai freuen, denn dann wird das „Land der 1.000 Derbys“ Thema einer Ausstellung, die man schon als Einstimmung auf die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland sehen kann. Sie schließt thematisch aber auch an die historischen Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg an. Denn auf Plätzen wie der „Kampfbahn Glückauf“ wird der Kampf Mann gegen Mann ab den 1920 Jahren nun freundschaftlicher als Mannschaftssport weitergeführt.
Turnvater Jahn wird abgelöst. Stattdessen kann sich der Ballsport aus England, dem Mutterland des modernen Fußballs, im Ruhrgebiet nun als „Arbeitersport“ etablieren. Rund um die Bergwerke im Ruhrgebiet entstehen zahlreiche Zechenmannschaften. Und die „Knappen“ von „Schalke 04“ avancieren in den 1920ern mit Stars wie Fritz Szepan und Ernst Kuzorra zur erfolgreichsten Mannschaft des Ruhrgebiets.
Über 400 seltene bis nie gezeigte Fotografien beleuchten diese Entwicklung erstmals gleich an zwei Zollverein-Standorten, der Halle 8 und auf der 12-Meter-Ebene des Ruhr Museums, mit der Ausstellung „Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“.
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Zu den zentralen Ausstellungen im Ruhr Museum kommen im neuen Jahr noch weitere Projekte. So wird Essen die einzige deutsche Station einer Ausstellung sein, die an den 70. Jahrestag der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erinnert. 2020 hatte die Ausstellung „Survivors“ mit großformatigen Porträts von Holocaust-Überlebenden auf Zollverein bereits für große Aufmerksamkeit gesorgt, Kanzlerin Angela Merkel war damals zur Eröffnung gekommen. Unter dem Titel „16 Objekte“ werden in der Halle 8 nun von Anfang März bis Anfang April Gegenstände von jüdischen Menschen gezeigt, die einst in Deutschland lebten.
Wildes Ruhrgebiet: Zollverein wird 2023 auch zur Outdoor-Galerie
Tief eintauchen in die Geschichte des Ruhrgebiets kann man ab dem 25. September dann mit einer Galerieausstellung des Ruhr Museums. Sie widmet sich der noch jungen Disziplin der„Archäologie der Moderne“ und zeigt Funde aus dem Industriezeitalter. Zusammen mit der archäologischen Forschung werfen die Objekte neue Schlaglichter auf die Kultur- und Ereignisgeschichte des späten 18. bis 20. Jahrhunderts an Rhein und Ruhr.
Positive Bilanz
Die Besucherbilanz auf dem Zollverein-Areal fällt 2022 nach zwei schwierigen Pandemie-Jahren wieder positiver aus. Über 200.000 Besuch haben trotz der noch zeitweiligen Einschränkungen die Ausstellungen besucht. Das Ruhr Museum und seine Außenstellen haben damit wieder die Vor-Corona-Zahlen erreicht.
Etwa die Hälfte der Gäste sahen die Dauerausstellung im Ruhr Museum. Rund 50.000 Besucher zählte die Sonder-Ausstellung „Eine Klasse für sich. Adel an Rhein und Ruhr“. Etwa 30.000 besuchten die Schau mit Fotografien von Henning Christoph anlässlich des 60. Jahrestages des Anwerbeabkommens mit der Türkei.
Ein neues Zählsystem, das auf Handydaten beruht, hat auf dem Zollverein-Areal 2022 insgesamt rund 1,6 Millionen Besucher erfasst.
Zollverein wird im kommenden Jahr auch zur Outdoor-Galerie: In Kooperation mit dem Projekt „Wildes Ruhrgebiet“ präsentiert die Stiftung Zollverein im Sommer zwischen Zeche und Kokerei die schönsten Naturfotografien aus dem vergangenen Jahr.
„Pixelprojekt auf Zollverein“ mit Arbeiten zeitgenössischer Fotografen
Dass die historische Zeche auch ein Zukunftsort ist, will man mit der zweiten Auflage von „New Now“, dem Festival für Digitale Künste auf Zollverein zeigen. Internationale Künstlerinnen und Künstler präsentieren ihre Werke zum Thema „Hypernatural Forces“ vom 2. Juni bis zum 6. August in der Mischanlage auf der Kokerei. Zum Programm gehören auch Satellitenveranstaltungen im gesamten Ruhrgebiet.
Den fotografischen Blick ins Ruhrgebiet schärft die Ausstellungsserie „Pixelprojekt auf Zollverein“. Die Kooperation wird 2023 mit zwei Ausstellungen zeitgenössischer Fotografen im Rundeindicker in der Kohlenwäsche fortgesetzt. „Wovon Maschinen träumen“ heißt das Projekt von Fred Hüning (2. April bis 15. Oktober). Fotografien unter dem Titel „Die Wanderung“ zeigt Espen Eichhöfer ab dem 29. Oktober.