Essen. Rund 100 Schüler des Gymnasiums Essen Werden tanzen sich bis zum Abitur. Auf dem Weg dahin sammeln sie schöne und weniger schöne Erfahrungen.

Sie legen lachend ihre Köpfe schief, haken sich unter und vereinen sich zum Bauerntanz. Eine ältere Dame versetzt ihrem Mann einen Stoß in den Oberarm und raunt: „Wie goldig. Schau mal.“ Das Publikum ist entzückt, wenn, wie hier bei „Giselle“, Kinder die Szenerie in einem Handlungsballett von Ballett-Chef Ben Van Cauwenbergh übernehmen. Diese neun sind Schüler des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen Werden und stets froh, wenn sie auf der Bühne eingebunden werden. Selbst an den schulfreien Weihnachtsfeiertagen ist es für sie ein Geschenk.

Frühe Auftritte motivieren Kinder in der vorberuflichen Ausbildung

In einem restaurierten und für drei Ballettsäle umgebauten Bahnhofsgebäude trainieren sie im Löwental dreimal die Woche nachmittags nach dem üblichen Gymnasialunterricht. Neben Naturwissenschaften und Musik ist der Tanz mit rund 100 von 1300 Lernenden der kleinste Fachbereich der Schule, der mit überregionalem Ansehen seit 2000 eine vorberufliche Tanzausbildung bis zum Abitur anbietet. Da nehmen die frühen Auftritte auf der Bühne eine wichtige Funktion ein.

https://www.waz.de/staedte/essen/essener-aalto-opern-klassiker-und-ein-tramp-namens-chaplin-id235190529.html „Wir sind überglücklich über diese Kooperation mit dem Aalto-Theater“, sagt der Fachbereichsvorsitzende Heinz Loigge. „Sie gibt den Schülerinnen und Schülern eine große Motivation. Energie generiert Energie.“ Bei den Produktionen „Dornröschen“, „Nussknacker“ und „Giselle“ waren und sind sie im Einsatz. Eine vierte kommt mit „Smile“ ab Ende Januar hinzu. Wieder wird es tägliche Proben vor der Premiere im April geben, für die sogar Stundenpläne gekippt werden. „Das machen wir dann möglich“, so Loigge, räumt aber auch ein, dass es für die Zehn- bis Dreizehnjährigen eine Belastung ist.

Das Publikum ist entzückt, wenn Schülerinnen und Schüler des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen-Werden beim Bauerntanz die Szenerie in Ben Van Cauwenberghs „Giselle
Das Publikum ist entzückt, wenn Schülerinnen und Schüler des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen-Werden beim Bauerntanz die Szenerie in Ben Van Cauwenberghs „Giselle" übernehmen. © Foto: Hans Gerritsen

Der Schulalltag bedeutet ohnehin viel zusätzliche Arbeit, zumal einige noch Klavier, Harfe oder Querflöte lernen wie Asiyah, Luis, Elisa und Maya. „Es ist schon anstrengend und schwierig, sich mit Freunden zu treffen“, meint Coralie und Luis fügt hinzu: „Man muss sich immer fragen: Was sind meine Ziele?“ Salma wusste gleich, dass sie weniger Zeit haben würde, wenn sie sich für diese Schule entscheidet. Wie sie muss die ganze Erstbesetzung von „Giselle“ diszipliniert, pünktlich, fleißig und sehr vernünftig sein.

Tanzschülerinnen und -schüler schneiden bei den Noten gut ab

„Viele denken, dass wir Probleme mit schlechten Schulnoten haben“, berichtet Lehrer Heinz Loigge. Weit gefehlt. „Unsere Schülerinnen und Schüler haben recht gute Noten.“ Die Beteiligung an Bühnenproduktionen hänge nicht davon ab. Das Aalto-Theater entscheide, wer mitmacht. Und sollten die Noten doch mal schlecht sein, entscheiden die Eltern. In dieser Runde ist keiner dabei, der dieses Problem hat. „Seit ich tanze, habe ich bessere Noten“, meint Maya sehr zufrieden mit ihren Leistungen.

Auch mit dem Essen gibt es kein Theater. „Sie dürfen alles essen. Wichtig ist nur der Zeitpunkt“, so Loigge. Alle wissen, dass Süßigkeiten nicht nur schlecht für die Zähne sind. Das hat ihnen die ehemalige Tänzerin und inzwischen studierte Kinderpädagogin am Aalto-Theater, Yulia Tsoi, beigebracht, die mit ihnen die Choreographien einstudiert. „Süßigkeiten sind nicht gut vor der Vorstellung. Erst sind die Kinder völlig aufgedreht, dann auf der Bühne ganz schlapp“, schildert sie ihre Erfahrung.

Yulia Tsoi, ehemalige Tänzerin und jetzige Kinderpädagogin am Aalto-Ballett, studiert mit Tanzschülerinnen und -schülern des Gymnasiums Essen Werden die Choreographien ein.
Yulia Tsoi, ehemalige Tänzerin und jetzige Kinderpädagogin am Aalto-Ballett, studiert mit Tanzschülerinnen und -schülern des Gymnasiums Essen Werden die Choreographien ein. © FUNKE Foto Services | Foto:Vladimir Wegener

Yulia Tsoi schätzt die Disziplin der Schülerinnen und Schüler. Sie kennt ihre Stärken und Schwächen, weiß, was sie aushalten müssen, wenn sie für die Auswahl nicht klein und niedlich genug sind oder wenn sie gehänselt werden. Nur ein Prozent der Kinder und Jugendlichen im Fachbereich Tanz sind Jungen und bekommen „blöde Sprüche“ gedrückt: „Das ist doch was für Mädchen“, ist die gängigste Bemerkung. Doch Mark, Raphael und Luis wollen sich nicht ärgern lassen. Auch Coralie kennt Sticheleien: „Du verkackst das, wenn Du da mitmachst“, hat man ihr bei „Dornröschen“ gesagt. „Das ist nur Neid“, sagt sie und dass es richtig Spaß macht.

Manche Kinder benötigen mehr Zeit, um sich zu entwickeln

Ballettstars wie Mikhail Baryshnikov, Rudolf Nurejew, Marcia Haydée oder Polina Semionowa nennen sie nicht als Vorbilder auf der Bühne, sondern Wataru Shimizu, Yuki Kishimoto, Larissa Machado. Eigentlich finden sie die ganze Aalto-Compagnie sehr cool. Und es ist mit Abstand das Größte, mit ihr auf der Bühne zu stehen. Asiyah war schon bei „Der Widerspenstigen Zähmung“ dabei und nun mit Salma bei der Wiederaufnahme von „Der Nussknacker“. Was ist dagegen „ein bisschen Lampenfieber“.

„Es ist eine schöne Atmosphäre am Theater. Man fühlt sich willkommen. Wenn das Licht angeht, ist man sofort in der Geschichte drin“, erzählt Emilia. Ihre Trainerin Yulia Tsoi traute ihr die Rolle der kleinen Aurora in „Dornröschen“ zunächst nicht zu, hat ihr aber die Chance gegeben, sich zu entwickeln. „Manche Kinder brauchen mehr Zeit“, stellt sie fest. „Sie ist eine gute Schauspielerin.“ Die positive Verstärkung wirkt. Das Gefühl, es nicht zu schaffen, sich zu blamieren, verfliegt. Für einen Auftritt werden sogar die Weihnachtsfeiertage geopfert. Elisa hat schon mehr als 25 Aufführungen als Clara im „Nussknacker“ hinter sich: „Es ist wie ein zweites Geschenk von der Oma aufmachen.“