Essen-Kettwig. Fotos aus Kettwig der 1950er und 1970er Jahre: Ein Bildband nicht nur für Alteingesessene, die den Ort wieder oder neu kennenlernen möchten.
Jürgen Wagener ist waschechter Kettwiger, in der Gartenstadt aufgewachsen, zur Schule gegangen und immer noch hier ansässig. Seit seinem 14. Lebensjahr ist die Kamera sein ständiger Begleiter. Aufmerksam beobachtet Wagener seine Umgebung, Menschen, Orte.
Oft dokumentiert er ein Haus, eine Straße über Jahrzehnte hinweg auf seinen Fotos. Wie sehr sich Kettwig im Laufe der Jahrzehnte verändert hat, das versetzt den Betrachter in Erstaunen, wenn es dabei zur direkten Gegenüberstellung der Motive kommt. So geschehen in dem Bildband „Kettwig - Fotos erzählen Geschichten“, der jetzt im Kettwiger Verlag Hummelshain erschienen ist.
Ein Schutzpolizist regelte den Verkehr an der Kreuzung
Nur zwei Jahrzehnte liegen dazwischen: Eine Panoramaaufnahme zeigt den Blick vom Bahnhof Stausee aus auf die Ruhr. Im Hintergrund dominieren in den 1950er Jahren die Gebäude der Tuchfabrik Scheidt. In den 1970er Jahren haben sich dann die Eisenbahn-Hochhäuser an der Werdener Straße ins Bild geschoben, Wald und Wiesen gibt es an dieser Stelle nicht mehr.
Unweit davon ist die Kreuzung Werdener Straße/Ringstraße in den 1950er Jahren noch Dreh- und Angelpunkt für den Weg nach Düsseldorf. Ein Schutzpolizist regelte den Verkehr. „Die Mintarder Brücke der A 52 wurde ja erst 1963 begonnen“, erklärt Helmut Wißler, der mit Jürgen Wagener einst die Schulbank drückte, zum Titelbild des vorliegenden Bildbandes.
Wißler, dessen Interesse für die Historie im Heimatkundeunterricht der Volksschule geweckt wurde, hat die Fotos von Jürgen Wagener betextet. Er konnte dabei aus eigenem Erleben schöpfen, aber auch aus historischen Quellen, die im Kettwiger Heimatmuseum archiviert sind.
Viele Häuser seien gerade in der Zeit zwischen 1955 und 1980 verschwunden, nicht, weil ihre Substanz schlecht war, sondern weil sie der Stadtplanung der aufstrebenden (und unabhängig bleiben wollenden) Gemeinde Kettwig im Wege gestanden hätten, konstatiert Wißler. Ein Beispiel: der Hof vom Berg. Das 1773 errichtete Gebäude befand sich an der heutigen Hauptstraße (gegenüber Wilhelmstraße). Wißler: „Halt auf dem Berg, rund herum waren nur Wiesen und Weiden, die einst bis an die Ruhr reichten.“ Die Posthalterei hatte dort bis 1876 ihre Station. 100 Jahre später hat dieser Standort einen komplett anderen Charakter bekommen: Das Warenhaus Karstadt ist dort nun Platzhirsch.
Die Balken des Bauernhauses waren aus Kerneiche und hätten wohl noch gut 200 Jahre gehalten – das habe ein Baumeister 1974 in einem Gutachten festgehalten, sagt Wißler. „Angeblich sollen die Balken trotz des Hausabrisses erhalten worden seien.“ Vielleicht seien sie inzwischen Teil eines Museumsdorfes, „aber das ist nicht wirklich belegbar“, setzt Wißler hinzu.
Erschienen im Hummelshain Verlag
Die Hardcover-Ausgabe „Kettwig - Fotos erzählen Geschichten“ von Jürgen Wagener (Fotos) und Helmut Wißler (Text) hat 112 Seiten, ist im Hummelshain Verlag erschienen und kostet 24 Euro (ISBN 978-3-943322-521).
Vorgestellt wird das Buch von den Autoren am Donnerstag, 26. Januar 2023, um 19 Uhr in der Freien ev. Gemeinde, Steinstraße 7. Dies ist eine Veranstaltung des Förderkreises der Stadtteilbücherei Kettwig.
Eine dritte Zeitebene bringt der Betrachter selbst ein
52 Motive hat Jürgen Wagener doppelt aufgenommen – einmal in den 50er Jahren, dann erneut in den 70er/80er Jahren. Manchmal sind es nur Details, an denen eine Abweichung erkennbar ist. Oft genug ist es aber eine radikale Veränderung, die sich im Stadtbild vollzogen hat. „Eine dritte Zeitebene bringt der Betrachter automatisch mit ein – den Blick auf die Gegenwart“, erklärt dazu Verleger Peter Marx, der das Projekt eineinhalb Jahre begleitet hat.
„Helmut Wißler hat die Bilder kenntnis- und anekdotenreich kommentiert“, findet Marx. Bilder und Texte seien ebenso informativ für alteingesessene Kettwiger wie für Zugezogene, die ihren Ort hier einmal „mit dem historischen Vergrößerungsglas kennenlernen können.“