Essen. Das fällt sogar dem Nicht-Bergmann auf: Die Seilscheiben von Schacht XII Zollverein stehen still, auch das Förderseil fehlt. Das sind die Gründe.

Kohle fördert Zollverein schon lange nicht mehr, 1986 haben sie am Zentralschacht XII in Essen-Stoppenberg die letzte Tonne des schwarzen Grubengoldes ans Tageslicht geholt. Jetzt hat die RAG damit begonnen, den mehr als 1000 Meter tiefen Schacht für immer zu verfüllen. Ist am Ende auch hier der schwere Deckel draufgesetzt, wird es zum allerletzten Mal dieses stechende Schicht-am-Schacht-Feeling geben. „Wenn der letzte Mann der Grubenwehr aus dem Schacht kommt, ertönt das Steigerlied, da wird bestimmt so manche Träne fließen“, sagt Stefan Roßberg, als RAG-Bereichsleiter zuständig für die Wasserhaltung zwischen den Bergwerken Lohberg im Westen und Haus Aden im Osten.

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Dass sie den imposanten Zollverein-Schacht XII und nur wenige Schritte davon entfernt auch Schacht II so lange offen gehalten haben, hängt mit den Ewigkeitsaufgaben des Ruhrbergbaus zusammen. Stationäre Anlagen haben das Grubenwasser jahrzehntelang nach über Tage in die Emscher gepumpt. „Um den renaturierten Fluss zu entlasten, läuft das Grubenwasser auf dem Weg zum Rhein künftig in das Grubengebäude von Prosper-Haniel in Bottrop über“, so der Experte.

Auf Zollverein haben sie jährlich acht Millionen Kubikmeter Grubenwasser in die Emscher gepumpt

Die Spezialfirma Thyssen Schachtbau übernimmt die Verfüllung der beiden Zollverein-Schächte XII und II. Die Mitarbeiter Samid Ribic (links) und Tadeusz Wozna stehen am zentralen Förderschacht unter dem markanten Doppelbock.
Die Spezialfirma Thyssen Schachtbau übernimmt die Verfüllung der beiden Zollverein-Schächte XII und II. Die Mitarbeiter Samid Ribic (links) und Tadeusz Wozna stehen am zentralen Förderschacht unter dem markanten Doppelbock. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Dimensionen in der Wasserhaltung sind gewaltig. Jährlich haben sie allein von Zollverein aus acht Millionen Kubikmeter Grubenwasser in die Emscher geleitet.

Die beiden Welterbe-Schächte dienen nach dem neuen RAG-Grubenwasserkonzept nur noch als Reservestandorte. Sollte der Überlauf nach Prosper mal nicht klappen, springen auf Zollverein sofort genannten Tauchpumpen an. Diese schicken das gehobene Grubenwasser dann per neuer Rohrleitung über Tage nach Prosper-Haniel.

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Schächte hat es in der langen Geschichte des Ruhrbergbaus allein in Essen zu Hunderten gegeben. Sie zu verfüllen, zählt für Bergleute seit jeher zu den Routinejobs. Doch Zollverein ist anders, nämlich Weltkulturerbe. Und deshalb so vorsichtig zu behandeln wie ein Pharaonengrab. Das bedeutet: Jeder Stahlträger, jeder Ziegelstein, jede Schraube, die beim Verfüllen nun entnommen werden, müssen am Ende wieder exakt an alter Stelle eingebaut werden. Zollverein, schon bei der Eröffnung des Zentralschachts 1932 ein Superlativ, ist es auch jetzt wieder: ein Superlativ der Akkuratesse.

Seilscheiben Schacht XII: Einen „Kirmesantrieb“ als Zechen-Illusion wird es nicht geben

Ausgebaute Spurlatten und stählerne Querträger des Doppelbocks Schacht XII ruhen fertig zum Abtransport auf einem Lkw-Anhänger. Sie werden zwischengelagert und nach Abschluss der Verfüllung wieder an ihren alten Ort eingesetzt. Der QR-Code dient der Orientierung.
Ausgebaute Spurlatten und stählerne Querträger des Doppelbocks Schacht XII ruhen fertig zum Abtransport auf einem Lkw-Anhänger. Sie werden zwischengelagert und nach Abschluss der Verfüllung wieder an ihren alten Ort eingesetzt. Der QR-Code dient der Orientierung. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska
Sie begleiten die Verfüllung der Schächte XII und II auf Zollverein: RAG-Bereichsleiter Stefan Roßbach (rechts) und Pressesprecher Christof Beike.
Sie begleiten die Verfüllung der Schächte XII und II auf Zollverein: RAG-Bereichsleiter Stefan Roßbach (rechts) und Pressesprecher Christof Beike. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Wir haben Drohnen an den Himmel geschickt und 3D-Scans angefertigt“, berichtet RAG-Sprecher Christof Beike, „jedes einzelne Blech ist mit einem QR-Code markiert.“ Von den Schächten XII und II sind auf diese Weise dreidimensionale Modelle entstanden, die den exakten 1:1-Nachbau ermöglichen.

Selbst für den nicht-bergmännischen Betrachter hat sich schon eine Menge getan: Vertraute Bilder wie die langsam sich drehenden Seilscheiben wird es künftig nicht mehr geben. Eine Gewissheit, die wehmütig stimmt. Die armdicken Stahlseile sind längst abgenommen, die mächtigen Seilscheiben stehen für immer still. „Einen Kirmesantrieb“, stellt RAG-Mann Roßbach klar, „wird es auf keinen Fall geben“.

Am Doppelbock haben sie schon die Förderkörbe rausgenommen, auch das alte Führungsgerüst verschwindet vorübergehend. Die Männer der Spezialfirma Thyssen Schachtbau beladen mit einem Gabelstapler gerade einen Lkw: Spurlatten und stählerne Querträger ruhen wie Teile eines großen Puzzles auf dem Anhänger, an jedem einzelnen Teil heftet eine Marke mit QR-Code. Auf einem steht „Position 0285“. „Alle Teile werden zwischengelagert und alles geschieht in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz“, so der RAG-Sprecher.

Verfüllung dauert gut anderthalb Jahre und soll den Tourismusbetrieb wenig stören

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© funkegrafik nrw | Anna Stais

Damit der laufende Tourismusbetrieb auf dem Welterbe-Gelände so wenig wie möglich gestört wird, hat der Gabelstapler keinen Dieselmotor, er fährt elektrisch und besonders geräuscharm. Überhaupt soll die gut anderthalb Jahre dauernde Verfüllung möglichst unauffällig und leise über die Bühne gehen. Die Betonmischer verschwinden deshalb an der Fritz-Schupp-Allee unter einer schallisolierten Leichtbauhalle und die langen Betonleitungen sind eingehaust. Millionen Kubikmeter Beton-Spezialgemisch werden weit weg – in Herten-Westerholt – nach genauer Rezeptur zubereitet und mit einer Lkw-Flotte herangekarrt. Ein 25-Mann-Team pumpt regelmäßig den Beton in den 1000-Meter-Schlund.

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Damit das Grubenwasser zur Not mit Hilfe von Tauchpumpen gehoben werden kann, statten sie die beiden Zollverein-Schächte mit drei Hüllrohren mit je einem Meter Durchmesser aus. Ganz unter auf der 14. Sohle in mehr als tausend Meter Tiefe entsteht ein fünf Meter Hohlraum für das Grubenwasser.

Und was ist mit dem PCB?

Zu den Unter-Tage-Hinterlassenschaften des Bergbaus gehören altes Gerät ebenso wie nichtbrennbares Hydrauliköl, das Polychlorierte Biphenyle (PCB) enthält. Die Angst von Menschen vor dem hoch krebserregenden Stoff nimmt Stefan Roßbach ernst, gleichwohl hält er sie für unbegründet.

Der Rhein, so rechnet der RAG-Fachmann vor, habe eine PCB-Jahresfracht von 70 Kilogramm, davon 40 aus dem Ruhrgebiet.

„Im Grubenwasser des gesamten Ruhrbergbaus finden sich nur 120 Gramm, das ist verschwindend gering. Außerdem erwarten wir durch den Anstieg des Grubenwassers eine weitere Verringerung des PCB-Gehalts.“

Das A und O des neuen Grubenwasser-Konzeptes ist die strikte Trennung zwischen der Trinkwasserschicht des Grundwassers und dem salzhaltigen Grubenwasser. Damit sich bloß nichts vermische, liege der Sicherheitsabstand bei gut 150 Metern. „Das Grubenwasser wird dank der Pumpen auf nicht mehr als 600 Meter Tiefe ansteigen“, verspricht RAG-Bereichsleiter Roßbach. Unter Tage läuft es durch den wie ein Schweizer Käse ausgehöhlten Revier-Kosmos unter Tage zuerst über die „Möller-Rheinbaben“-Strecke nach Prosper-Haniel und von dort bis Lohberg (Dinslaken), wo es schließlich mit Hilfe von Pumpen in den Rhein gehoben wird.

RAG: PCB-Anteil aus dem Grubenwasser des Ruhrgebiets ist verschwindend gering

Bitte nicht stören! Die Betonmischer steuern den kleinen Platz an der Fritz-Schupp-Allee an und fahren in eine schallisolierte Leichtbauhalle. Von dort wird der Spezialbeton in Rohren nach Schacht XII gepumpt. Die Arbeiten sollen so geräuscharm wie möglich ausgeführt werden, um den Tourismusbetrieb auf dem Welterbegelände nicht zu stören.
Bitte nicht stören! Die Betonmischer steuern den kleinen Platz an der Fritz-Schupp-Allee an und fahren in eine schallisolierte Leichtbauhalle. Von dort wird der Spezialbeton in Rohren nach Schacht XII gepumpt. Die Arbeiten sollen so geräuscharm wie möglich ausgeführt werden, um den Tourismusbetrieb auf dem Welterbegelände nicht zu stören. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ein dichtes Kontrollnetz zeigt den RAG-Experten detailliert an, was das Grubenwasser gerade da unten macht. Roßbach: „Wir wissen zu jeder Zeit, wie sich der Wasserspiegel unter Tage entwickelt.“