Essen. Der Wald auf Zollverein ist einzigartig – genauso wie der Job von Förster Oliver Balke. Ein Besuch im Essener Norden mit Überraschungen.
Industriegeschichte, Kunst und Kultur ziehen Tausende Besucher auf das Gelände der Zeche Zollverein. Was vielen aber verborgen bleibt, ist ein spannendes Experiment, das sich hinter Doppelbock, Ruhr Museum, Cafés und Restaurants abspielt. Hier, auf der anderen Seite der Fritz-Schupp-Allee liegt das Revier von Förster Oliver Balke. Sein Job ist einzigartig: Er betreut den Industriewald und kann beobachten, wie sich die Natur ein Areal zurückholt, das der Mensch sozusagen auf den Kopf gestellt hat.
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Bäume, Sträucher, Stauden und Gräser wurzeln auf Zollverein in einem Untergrund, den sie eigentlich nie erreicht hätten. Durch die Kohleförderung sind verschiedene Gesteinsarten aus dem Untergrund an die Erdoberfläche gelangt. Hinter der ehemaligen Kohlenwäsche, die heute das Ruhr Museum beherbergt, lagern Tonnen von Gesteinsschutt. Die „Waschberge“ zeichnen sich durch Trockenheit und einen hohen Salzgehalt aus – eigentlich eher ein lebensfeindliches Umfeld. Und doch sprießt es hier überall.
„Flächen wie diese sind regelrechte Hotspots der Biodiversität geworden“, sagt Förster Oliver Balke. Der 54-Jährige führt Besucherinnen und Besucher gerne durch den Wald auf Zollverein, um ihnen zu erklären, wie er funktioniert. Nach wenigen Schritten entdeckt er einen der Spezialisten, die mit dem Untergrund auf Zollverein gut klarkommen: Das schmalblättrige Greiskraut mit seinen gelben Blüten ist auf Industriegeländen häufig zu finden. Mit der trockenen und steinigen Umgebung kommt es bestens zurecht. Ursprünglich stammt es aus Südafrika und wurde durch Handelsbeziehungen unbeabsichtigt nach Europa gebracht, auch in Mittel- und Südamerika kommt es vor.
Mehr als 500 Pflanzenarten wachsen im Wald auf Zollverein in Essen
„Auf Industriebrachen gibt es immer einen nennenswerten Anteil an Neophyten“, erklärt Balke. Neophyten sind durch den Menschen eingetragene Arten, die eigentlich nicht in das jeweilige Gebiet gehören. In vielen Fällen sind sie Forstleuten und Biologinnen eher ein Dorn im Auge, weil sie einheimische Arten verdrängen können. Aus Balkes Job allerdings sind Neophyten nicht wegzudenken.
„Hier ist nicht nur die Bevölkerung international, sondern auch die Pflanzenwelt“, sagt er. In direktem Umfeld des südafrikanischen Greiskrauts zeigt er auf die Riesen-Goldrute aus Nordamerika und Sommerflieder aus Asien. Unter den Bäumen ist die Birke prägend für den Industriewald. Der Mix aus heimischen und eingetragenen Arten ist für Balke mittlerweile selbstverständlich. „Wir sehen es pragmatisch“, sagt er. „Die Pflanzen sind jetzt da und wir werden sie auch nicht loswerden.“
Mehr als 500 Pflanzenarten gebe es mittlerweile auf dem 36 Hektar großen Areal – zu seinem Dienstbeginn vor knapp 25 Jahren seien es nur etwa halb so viele gewesen. Wo und in welchem Umfang sie sich aussäen, das beeinflusst der Förster nicht. Auf Zollverein hat die Pflanzenwelt so gut wie freies Spiel – es wird nicht gesät, gepflanzt oder geerntet. Bäume werden lediglich dann gefällt, wenn sie ein Risiko für die Besucherinnen und Besucher darstellen. Und selbst dann verbleibt das Totholz auf dem Areal, wird zum Lebensraum für Tiere.
Oliver Balke ist ein Exot unter den Förstern in Deutschland
Vogelarten wie Buntspecht, Grünspecht, Hausrotschwanz, Turmfalke und mehrere andere Sing- und Greifvögel können auf Zollverein zu beobacht werden. Wildkaninchen, Waldmäuse, Igel und Eichhörnchen sind auf dem Gelände unterwegs, auch Libellen schwirren umher. Sie nutzen kleine Tümpel zur Eiablage, in denen sich auch verschiedene Kröten, Frösche und Molche vermehren. Das größte Säugetier, das im Wald umherstreift, ist der Rotfuchs. Wildschweine, Hirsche und Co. gibt es hier nicht, dafür ist der kleine Wald zu eng umgeben von Verkehrsadern, Industrie und Wohngebieten.
Als Oliver Balke sich entschied, die Familientradition fortzuführen und Förster zu werden, hatte auch er ein anderes Bild vor Augen. So wie bei einer seiner ersten beruflichen Stationen im Kottenforst bei Bonn sah er sich eher durch einen fast menschenleeren Wald streifen, Bäume setzen und fällen, Wildtierspuren lesen und auf die Jagd gehen. Doch dann folgte der Ruf ins Industriewald-Projekt im Ruhrgebiet.
Hier ist alles etwas anders, die Kommunikation mit Menschen, Bildung und Aufklärung gehören zum Joballtag. In den Lauf der Natur greift der Förster nicht ein, sondern beobachtet ihn. „Das gibt es nur einmal auf der Welt, für Forstkollegen ist es sehr exotisch“, sagt Balke. Seinen ungewöhnlichen Arbeitsplatz möchte er nicht mehr missen.
Industriewälder im Ruhrgebiet
- Der Wald auf Zollverein wird im Rahmen des Projekts „Industriewald Ruhrgebiet“ betreut, zu dem 13 Flächen gehören.
- Das Projekt wurde zur Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher-Park gestartet, die von 1989 bis 1999 für die Erneuerung von ehemaligen Industrieflächen im nördlichen Ruhrgebiet stattfand.
- Seit fast 25 Jahren ist der gebürtige Bochumer Oliver Balke als Förster für die Industriewälder zuständig.
- Projektzentrale ist die Forststation Rheinelbe in Gelsenkirchen.