Essen. Vier Monate nach Eröffnung liegen erste Erkenntnisse über den Essener Gesundheitskiosk vor. Sie zeigen, wer warum vorstellig wurde.
Von Hamburg nach Altenessen und von dort ins ganze Bundesgebiet; das ist die Idee von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), wenn er über Gesundheitskioske spricht. 1000 Einrichtungen dieser Art sollen langfristig in Deutschland etabliert werden, so das Ziel einer aktuellen Gesetzesinitiative. Bisher gibt es Einrichtungen dieser Art auch noch in Aachen und Köln.
Die Menschen im Ruhrgebiet haben immernoch an dem Namen zu knapsen, werden ihn aber wohl nicht mehr los. An diesem Kiosk gibt es keine gemischte Tüte und kein Stauder, sondern Beratungen in Gesundheitsfragen. Etwas mehr als 100 Tage nach dem Start in Altenessen gibt es jetzt eine erste Bilanz und Details zu dem zweiten Essener Standort in Katernberg.
300 Gespräche im Essener Gesundheitskiosk seit Anfang Mai
300 Gespräche mit 130 Menschen seien in dieser Zeit geführt worden, erklärt Tanja Rutkowksi von der Caritas Essen als Mitglied der Betreibergesellschaft. Ungefähr dreimal am Tag findet also jemand den Weg in die dafür geschaffenen Räume in der Alten Badeanstalt an der Altenessener Straße 393. Da ist bei aktuell sechs Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen noch Kapazität nach oben. „Gestartet sind wir mit drei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, dann mussten wir die Einrichtung erstmal bekannt machen, in die Netzwerke gehen und Programme entwickeln“, sagt Rutkowski und versichert, dass schon jetzt der Zulauf „ein anderer“ sei.
Klinken putzen war also in den ersten Monaten angesagt. Unermüdlich erklärte das Team in Zentren 60 plus, Kitas, Schulen, Senioreneinrichtungen, Übergangswohnheimen und Hebammenpraxen und zuletzt auch bei der Katernberg Konferenz auf Zeche Zollverein, dass der Gesundheitskiosk kein Ersatz für die geschlossenen Krankenhäuser im Essener Norden sein soll, sondern das Ziel hat, Menschen im deutschen Gesundheitswesen auszubilden. „Auch die Ärzte müssen wissen, was wir anbieten“, erklärt Rutkowski, dafür würden gerade ganze Kataloge erstellt. Im besten Fall würden die Ärzte ihre Patienten und Patientinnen mit einer Diagnose und einem konkreten Auftrag an den Gesundheitskiosk überweisen: „Die Überweisung ist aber keine Pflicht, sondern dient der Information“, betont Rutkowski.
Essener Ärzte sollen durch Gesundheitskiosk entlastet werden
Die Ärzte sollen schließlich durch den Kiosk entlastet werden, sollen wissen, dass ihre Patienten und Patientinnen dort eine Ernährungsberatung bekommen, dass ihnen dort bei Anträgen an die Kranken- und Pflegeversicherung geholfen wird und dass sie dort Hilfe in ihrer Muttersprache bekommen – von Russisch über Albanisch, Französisch und Englisch bis zu Niederländisch: Am Gesundheitskiosk geht es multilingual zu. Übersetzt werde auch von Fachchinesisch in andere Sprachen.
Finanziert durch Stadt und Krankenkasse
Nach einem Vorbild aus Hamburg geht es in den Einrichtungen in Altenessen und Katernberg darum, Menschen gesund zu halten. Essener und Essenerinnen sollen in Fragen zur Gesundheitsförderung beraten werden; gratis und mehrsprachig. Die Bürger werden niederschwellig in ihre Behandlung einbezogen und motiviert, Krankheiten frühzeitig vorzubeugen und an Gesundheits- und Vorsorgegrammen teilzunehmen.
Die Beratungsspanne wendet sich an adipöse Kinder genauso wie an chronisch Kranke, sie empfiehlt Kurse ebenso wie Facharzt-Besuche, wenn erkennbar ist, wo welcher medizinische Einsatz am sinnvollsten ist. Und hier erfährt jemand auch, wo es Pflegeberatung gibt und welche Selbsthilfegruppe sich wo trifft.
Die Gesundheitskioske in Altenessen und Katernberg werden von der AOK Rheinland/Hamburg und der Stadt Essen finanziert. Die Caritas-SkF-Essen gGmbH (cse), das Sport- und Gesundheitszentrum Altenessen e.V. sowie das Ärztenetz Essen Nord-West e.V. sind die Gesellschafter der Betreibergesellschaft Gesundheit für Essen gGmbH.
Jene, die den Weg dorthin gefunden haben, wurden auch sogleich statistisch erfasst. So weiß man, dass 63 Prozent deutschsprachig, 27 Prozent arabischsprachig und 20 Prozent russischsprachig vorstellig wurden. Durch die räumliche Nähe kämen einige ukrainische Geflüchtete aus dem Marienhospital in die Alte Badeanstalt. So konnte eine Mutter mit einem schwerkranken Kind zuletzt bei der Suche nach einem Kinderarzt und einem Neuropädiater unterstützt werden. „Die Mütter äußern oft erstmal die Anliegen der Kinder“, weiß Gesundheitslotse Vladislav Seifert, dessen genaue Berufsbezeichnung „Community Health Nurse“ lautet. Wenn man sie dann frage, wie es ihnen selbst gehe, kämen oft noch andere Probleme zutage.
Wissenschaftliche Untersuchung von Gesundheitskiosk Essen
Das Thema Kindergesundheit landete in der bisherigen Statistik mit 45 Prozent auf Platz vier hinter psychischen Problemen (58 Prozent, Rang drei), Ernährungs- bzw. Gewichtsproblemen (65 Prozent, Rang zwei). Am häufigsten seien Klienten mit orthopädischen Anliegen wie etwa Rückenschmerzen vorstellig geworden. Zwei von ihnen seien komplett ohne Krankenversicherung gewesen. Auch ihnen werde geholfen: „Wir sind für alle da“, so Rutkowski. Damit sind Versicherte und Nichtversicherte, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gemeint.
In den kommenden Monaten soll die Bekanntheit der Einrichtung weiter erhöht werden, die Öffnungszeiten erweitert. Derzeit bietet das Team Beratungen montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr an. Nicht wenige dürften in dieser Zeit beruflich unterwegs sein.
Außerdem soll ein weiterer Gesundheitskiosk noch in diesem Jahr in Katernberg eröffnen – das beinhaltet der Sieben-Punkte-Plan, den die Stadt nach der Schließung der Kliniken im Essener Norden für die Gesundheitsversorgung der entsprechenden Stadtteile entwickelt hat. Nicht zuletzt soll die Einrichtung wissenschaftlich untersucht werden. Die Fragestellung der Studie: Was bringt der Gesundheitskiosk?