Essen. Gesundheitskioske sollen im Norden entstehen. Einige fühlen sich abgefertigt: Der Vorsitzende des Essener Gesundheitsausschusses nimmt Stellung.

Die zwei Gesundheitskioske in Altenessen und Stoppenberg sollen ab Herbst zentraler Anlaufpunkt für die Bürger sein, wenn es um Fragen zur Gesundheit und Gesundheitsförderung geht. Gesundheitslotsen, die mit Ärzten, Therapeuten, Krankenhäusern und Apotheken zusammenarbeiten, beraten niederschwellig in mehreren Sprachen und bereiten Arztbesuche vor und nach. Prävention ist das große Ziel des Projektes, das es in Hamburg bereits gibt. Doch die Essener äußern ihren Unmut und ihre Vorbehalte. Im Interview geht Martin Schlauch (SPD), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, darauf ein.

Der Name „Kiosk“ für ein Angebot der Gesundheitsprävention ist im Ruhrgebiet ziemlich ungünstig gewählt.

Stimmt. Der Name ist Mist. Es ist aber auch erstmal ein Arbeitsbegriff. Wenn wir das im Herbst an den Start bringen, muss das anders heißen, da sind sich Politik und Verwaltung einig. Es gibt dort schließlich kein Trostpflaster, sondern ein vernünftiges Angebot.

Beratung in mehreren Sprachen, Kurs- und Präventionsangebote bieten Krankenkassen und Apotheken auch. Warum braucht es dann noch einen Gesundheitskiosk?

Der Gesundheitskiosk ist ja getragen von den Krankenkassen, die haben also selbst auch ein Interesse daran. Die Angebote gibt es tatsächlich schon jetzt, aber eben nicht zentralisiert, gebündelt und lokalisiert. Die Gesundheitslotsen sollen mit Sportvereinen und Selbsthilfegruppen vor Ort zusammenarbeiten und die Patienten direkt dorthin verweisen. Bestenfalls finden die Angebote sogar direkt im Gesundheitskiosk statt. So könnte es dort zum Beispiel auch regelmäßige Hebammen-Sprechstunden geben.

Wer krank ist, sollte doch am besten zum Arzt gehen, oder nicht?

In Hamburg wird der Gesundheitskiosk von einem Ärztenetzwerk mitgetragen. Dafür laufen jetzt auch in Essen Gespräche. Die Ärzte können einige Patienten dann per Überweisung in den Gesundheitskiosk schicken. Beispiel: Ein türkisch sprechender Mann, der aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung schon öfter beim Hausarzt war und seine Werte trotzdem nicht in den Griff bekommt, könnte im Gesundheitskiosk in seiner Muttersprache beraten werden. Die Gesundheitslotsen würden ihm zeigen, wie man Insulin spritzt, könnten eine Ernährungsberatung machen und ihm Fragen beantworten.

Die Menschen fordern ein Krankenhaus statt einen Kiosk im Essener Norden. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Aus meiner Sicht hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Der Gesundheitskiosk hätte im Essener Norden so oder so gefehlt. Ich sage jedem, der es hören will, dass der Kiosk kein Klinik-Ersatz ist. Die medizinische Grundversorgung muss im Essener Norden geregelt werden. Dazu zählt auch ein medizinisches Versorgungszentrum, das jetzt schnell aufgebaut werden muss, um die mangelnde Facharztversorgung auszugleichen. Politik und Verwaltung können nicht über eine neue Klinik entscheiden. Das liegt in den Händen vom Land und von Contilia.

Die Menschen fühlen sich abgefertigt und haben Angst, dass sich Politik und Verwaltung mit dem Gesundheitskiosk aus der Affäre ziehen wollen.

Wir tun alles, um die Grundversorgung zu sichern. Wenn wir die Gesundheitskioske und ein modernes medizinisches Versorgungszentrum haben, sind wir in diesem Punkt schon einen großen Schritt weiter.

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Laut Sudie sind 80 Prozent zufrieden mit dem Angebot

Die Universität Hamburg hat die Angebote des Gesundheitskiosks in den dortigen Stadtteilen Billstedt und Horn wissenschaftlich begleitet. Das Ergebnis: Eine stärkere Vernetzung der medizinischen und sozialen Versorgung sowie ein niedrigschwelliges Gesundheitsangebot verbessern nachweislich die Versorgung der Menschen in sozioökonomisch schwächeren Regionen.

Pläne zum Medizinischen Versorgungszentrum

Was noch fehlt, um die Versorgungslandschaft im Essener Norden zu verbessern, skizzieren die Stadt wie die Politik bislang in allerlei Stichpunkten. So fehlten in den Stadtbezirken V und VI Fachärzte für Gynäkologie und Internistik, Urologie und Neurologie, Kinderheilkunde und Orthopädie. Mittelfristig soll ein Gesundheitszentrum entstehen, das ein ambulantes operatives Zentrum mit 24-Stunden-Überwachung bietet. Außerdem soll es eine bessere Notfallversorgung geben.

Im Rat wurde zuletzt beschlossen, dass die Stadt besonders in diesen Bezirken eine umfassende Gesundheitsversorgung sicherstellen soll. Die Stadtverwaltung will jetzt das Essener Institut for Health Care Business damit beauftragen, alle Ideen zusammenzutragen und in ein Gesamtkonzept zu gießen.

So sei beispielsweise die Anzahl der vermeidbaren Krankenhaus-Einweisungen gesunken. Parallel dazu stieg nach Angaben der Uni die Zufriedenheit der Versicherten mit der Gesundheitsversorgung in Billstedt und Horn. Die Ärzte fühlten sich durch den Gesundheitskiosk ebenfalls entlastet, weil sie mehr Zeit für andere Patienten hatten. Auf der anderen Seite führte die ärztliche Überweisung in den Gesundheitskiosk dazu, dass deutlich mehr Bürger die Angebote in Anspruch nahmen.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die meisten Beratungen zum Thema Übergewicht erfolgten. Eine Nutzerbefragung zeigte zudem, dass 80 Prozent der Befragten im Durchschnitt sehr zufrieden mit dem Gesundheitskiosk sind. 47 Prozent würden die Kurse auch dann nutzen, wenn diese kostenpflichtig wären.

Das Hamburger Projekt dient den Essenern als Vorbild. Daher hatte Oberbürgermeister Thomas Kufen in der vergangenen Woche Vertreter des Gesundheitskiosks Hamburg eingeladen, um Fragen zu klären und Erfahrungen zu hören. Gesundheitsdezernent Peter Renzel will jetzt die weiteren Schritte festlegen und die politischen Gremien einbinden, so dass das Projekt im Herbst an den Start gehen kann.