Essen-Nordviertel. Vonovia entwickelt das Essener Eltingviertel seit knapp zehn Jahren. Dabei hat das Wohnungsunternehmen erstmals eine neue Strategie gewählt.
Das Wohnungsunternehmen Vonovia hat vor rund zehn Jahren ein Pilotprojekt im Essener Eltingviertel gestartet. Ziel war es, das Quartier ganzheitlich zu entwickeln, und zwar für die Menschen, die dort wohnen und nicht für jene, die potenziell dort hinziehen sollten. Bei einer Zwischenbilanz stellt sich die Frage, ob man übers Ziel hinausschießen kann und eventuell doch die Gefahr der Gentrifizierung, also der Verdrängung der Alteingesessenen droht.
Beginn der Quartiersentwicklung im Essener Eltingviertel
Wie kam es überhaupt zur Quartiersentwicklung? Als die angrenzenden Zechen Mitte der 1960er-Jahre schlossen, verließen die Kumpel nach und nach das Essener Eltingviertel. Mit ihnen ging eine eingeschworene Gemeinschaft. In den Folgejahren entwickelte sich das Quartier am Rande von Universität und Innenstadt du einem „düsteren Ort“, wie es Vonovia-Sprecherin Bettina Benner beschreibt. Das Viertel hatte Probleme, die mit den Jahren immer größer wurden: schwache Sozialstruktur, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Leerstand und Fluktuation.
2009 wurde die Wende eingeleitet: Vonovia kaufte 1300 der insgesamt 3500 Wohneinheiten, darunter vier zentrale Innenhöfe, die umgeben waren von mehreren Häusern. 2015 begann die Quartiersentwicklung. „Ziel war es, das Viertel zusammen mit den Anwohnern und für die Anwohner zu entwickeln, und zwar ganzheitlich, nachhaltig, sozial und ökologisch“, erklärt Vonovia-Regionalleiter Ralf Feuersenger. Wohnen sei schließlich mehr als Küche-Diele-Bad. Die verschiedenen Lebensbereiche wie Kita, Schule, Arbeitsplätze und Aufenthaltsbereiche sollten mit berücksichtigt werden. Vonovia wollte also nicht nur Gebäude und Wohnungen sanieren, sondern auch städtebaulich eine Verbesserung herbeiführen – und das mit einer Reihe von Partnern.
So begaben sich unter anderem auch die Stadt Essen, Quartiershausmeister und Sozialarbeiter der Caritas SkF-Essen, das Projekt Innovation City und das „Institut für Stadtteilentwicklung, sozialraumorientierte Arbeit und Beratung“ (ISAAB) der Uni Duisburg-Essen an das Projekt Eltingviertel, pumpten Ideen und Tatkraft in die Entwicklung und akquirierten Fördergelder. Margarete Meyer, Abteilungsleiterin vom Stadterneuerungsamt erklärt, dass die Bewohner und Bewohnerinnen sich mit ihrem Umfeld identifizieren sollen: „Am Anfang wussten sie so gerade, wie der Stadtteil heißt, in dem sie wohnen, aber es gab keine Identifikation.“
Das ist im Essener Eltingviertel bereits geschafft
Mittlerweile kann sich die Haben-Seite durchaus sehen lassen:
- Drei von vier Höfen sind energetisch modernisiert und begrünt worden – der Mathiashof an der Zwinglistraße steht noch auf der Liste. „Wann genau dort begonnen wird, ist unklar angesichts der aktuellen Herausforderungen“, so Feuersenger, der auf gestiegene Kosten im Bausektor sowie Corona- und Energiekrise verweist. Die Co2-Emissionen im Vonovia-Bestand des Eltingviertels konnten laut Wohnungsunternehmen bisher um 48 Prozent gesenkt werden. Bis 2020 hatte Vonovia rund 27 Millionen Euro in die Entwicklung gesteckt.
- Nachbarschaftsfeste, Kaffeetafeln auf dem Eltingplatz und das Lichterfest haben für einen nachbarschaftlichen Zusammenhalt gesorgt.
- Bei Hofgesprächen und Workshops werden Anwohner und Anwohnerinnen nach ihren Wünschen befragt. Im Frühjahr 2022 stand während einer Brandserie unter anderem das Thema Sicherheit und Angsträume auf der Agenda.
- Künstler und Studierende der Folkwang-Universität haben sich im Eltingviertel angesiedelt – mietfrei. Die Hoffnung ruht dabei auf einer Belebung des Viertels beispielsweise durch Ausstellungen und eine Ausstrahlung in andere Stadtteile, sodass ich das Eltingviertel eventuell irgendwann als Szeneviertel herumspricht.
- Der Zwingliplatz wurde umgestaltet, das Café Zwingli ist dort zum zentralen Treffpunkt geworden.
Gefahr der Gentrifizierung im Essener Eltingviertel?
Unterm Strich ist das Eltingviertel also schicker und lebenswerter geworden. Meyer: „Die Wohnqualität hat sich objektiv verbessert.“ Lauert damit die Gefahr der Gentrifizierung, also die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte durch wohlhabendere Haushalte? Vonovia erklärt, dass 40 Prozent der Mieter, die zu Beginn der Modernisierung dort gewohnt haben, geblieben seien. Die Fluktuation liege bei 14 Prozent im Jahr und damit im städtischen Durchschnitt. Feuersenger findet, das Viertel habe einen „gesunden Prozentanteil der Anwohner behalten und einen kreativen Schwung dazugewonnen“.
Gentrifizierung erfolgt aber auch durch eine Erhöhung der Mieten, die mitunter nicht von allen getragen werden kann. Hier betont Bettina Benner: „Wir wollen niemanden herausmodernisieren.“ Ziel sei vielmehr, dass die Anwohner und Anwohnerinnen durch die Quartiersentwicklung gerne bleiben wollen, man wolle das Viertel für jene attraktiver machen die dort wohnen, und auch für jene, die dort potenziell hinziehen.
So haben sich die Mieten im Essener Eltingviertel entwickelt
Die Mieten seien zwar in den vergangenen Jahren im Victoriahof an der Zwinglistraße beispielsweise von 4,55 Euro vor der Modernisierung auf 7,17 Euro danach gestiegen. Im Umkehrschluss seien die Heizkosten aber gesunken, da jetzt Fernwärme statt Nachtspeicheröfen genutzt werden. Im Mathiashof, der noch nicht modernisiert ist, liegt die Miete bei 6,31 Euro pro Quadratmeter. Benner verweist auch auf das Härtefallmanagement des Wohnungsunternehmens, wonach Mieter und Mieterinnen Mietnachlässe beantragen können. 13 hätten das in den vergangenen Jahren getan, zehn Anträge wurden genehmigt. Im Rahmen der Modernisierungen im Victoria- und Bernehof wurden zudem 74 Wohnungen öffentlich gefördert.
Margarete Meyer vom Stadterneuerungsamt glaubt gar, dass ein bisschen Gentrifizierung dem Quartier noch helfen würde. Für Bettina Benner ist das Wort Gentrifizierung negativ besetzt. „Für uns heißt es, eine bunte Mieterschaft aus Alt und Neu tut einem Viertel gut. Zusätzlich müssen natürlich auch Angsträume entfernt, Gebäude modernisiert und Plätze entwickelt werden.“
Hohe Kinderarmut, viel Arbeitslosigkeit im Essener Eltingviertel
Tatsächlich ist das Eltingviertel von schicki-micki noch weit entfernt: Die Kinderarmut im Nordviertel, zu dem das Eltingviertel mit seinen rund 8200 Einwohnern gehört, ist noch immer hoch. 75 Prozent der Eltern, die ihre Kinder zur Nordviertel-Grundschule schicken, sind Bezieher des Bildungs- und Teilhabepakets. Die meisten, die hier leben, haben wenig Geld. Die Arbeitslosenquote liegt im Nordviertel mit 13,5 Prozent (Angaben der Stadt von 2021) deutlich über dem Essener Durchschnitt von 9,7 Prozent. „Noch fliegt das Viertel nicht von alleine“, so Feuersenger, der mit den anderen Akteuren weiter an diesem Ziel arbeiten will. So könnte das Eltingviertel für jene interessant sein oder werden, denen es in südlichen Stadtteilen vielleicht zu schick geworden ist. Um das zu erreichen, stehen noch Ideen auf der Liste.
Das ist noch zu tun im Essener Eltingviertel
- Mit dem Mathiashof muss der letzte Hof noch modernisiert werden.
- Weitere Ansiedlung von Gewerbe – zum Beispiel im Bereich Nahversorgung wäre willkommen.
- Der Eltingplatz soll modernisiert und freundlicher gestaltet werden. Die Anwohner und Anwohnerinnen wurden auch hier in die Pläne eingebunden – was prompt zu Protest führte. Ein Rasenkissen schien ihnen zu futuristisch. Einige waren in Sorge um den Grünbestand des Ortes. Margarete Meyer versichert: „Es wird kein Rasenkissen geben, eher eine grüne Decke.“ Die entsprechende Vorlage werde jetzt vorbereitet und soll noch dieses Jahr den politischen Gremien vorgelegt werden, sodass im nächsten Jahr die Bagger anrollen können.
- Die Verbindung zur Universität im Westen und zur Innenstadt im Süden kann noch verbessert werden. Die Unterführung an der Altenessener Straße verbindet das Eltingviertel mit der Innenstadt und wirkt eher als Barriere statt als Einladung. Ralf Feuersenger erklärt zudem, dass RWE ein abgeschlossenes Gelände haben will und somit der direkte Weg zur Universität auch in Zukunft nicht möglich sein wird.
- Mit dem Radschnellweg, der in einigen Jahren durchs Eltingviertel führen soll, soll das Quartier außerdem einen Schubs bekommen.
- Die Büste des Gründervaters – Hermann Elting – soll im kommenden Jahr im Eltingviertel ihren Platz finden.
- Eine Kita soll errichtet werden. Die Anwohner und Anwohnerinnen hatten sich zuletzt gegen den Standort am Ostermannplatz gewehrt. Jetzt soll die Einrichtung an der Altenbergstraße gebaut werden. Ein Zeitplan steht auch hier noch nicht fest. Feuersenger: „Die Dringlichkeit wird von allen gesehen.“
- Die Zusammenarbeit mit den anderen Eigentümern der Häuser und Wohnungen soll noch weiter intensiviert werden.
Vonovia ist jedenfalls überzeugt, dass die ganzheitliche Quartiersentwicklung ein Zukunftskonzept ist und hat eine deshalb auch unternehmenseigene Quartiersakademie gegründet. In Essen plant das Wohnungsunternehmen als Nächstes in Freisenbruch das Gebiet rund um den Philosophenweg entwickeln. Feuersenger betont jedoch, dass das Eltingviertel kein Projekt ist, das man einfach kopieren könne. Man müsse aber immer auch auf die Gegebenheiten und Herausforderungen vor Ort schauen.