Essen. Baustelle Königshof Essen: Unter dem Willy-Brandt-Platz verschwindet jetzt der alte Posttunnel. Das Stück ist 38 Meter lang und 700 Tonnen schwer
Um den alten Kaufhof in Essen in den neuen Königshof zu verwandeln, müssen gewaltige Mengen Beton aus dem Gebäude entfernt werden. Den dicksten Brocken haben sie vor wenigen Tagen in Angriff genommen: den Posttunnel unter dem Willy-Brandt-Platz. Die unterirdische Betonröhre ist ein monströses Relikt aus einer Zeit, in der die Deutsche Bundespost Briefe und Pakete, Banknoten und Hartgeld, Schecks und Devisen in hochgesicherten Zügen transportierte.
„Der Posttunnel wird schon seit Urzeiten nicht mehr genutzt“, berichtet Uwe Hirzel vom Bauunternehmen Friedrich Wassermann. Für den Polier der Königshof-Baustelle war der alte Posttunnel einst so etwas wie ein „Riesen-Safe“: unterirdisch, geheim, bestens bewacht.
Allein schon die Kenndaten des Posttunnels sind imposant. Die Verbindung zwischen Hauptpost und Hauptbahnhof, die auch die vierspurige Straße unterquert, hat eine Länge von rund 300 Metern. Die Betonwände sind 40 Zentimeter stark. Die Außenmaße betragen 4,80 Breite und 3,20 Meter Höhe. Das ergibt Innenmaße von 4,00 Meter Breite und 2,40 Meter Höhe. „Das reicht locker, um hier mit einem SUV durchzufahren“, fügt der Polier hinzu.
Altes Schwarz-Weiß-Foto vom Essener U-Bahn-Bau zeigt den Posttunnel
Von 300 Metern Röhre müssen gut 38 Meter abgebaut werden, also genau das Stück, das schon zu Galeria Kaufhof- und Horten-Zeiten durch den Keller des Warenhauses führte (alte Schreibwarenabteilung, Confiserie, Spirituosen). Um im sogenannten Basement künftig mehr Raumgefühl und Platz zu schaffen, muss der Tunnel weg. „Er ist dem Bauherrn ein Dorn im Auge“, so Hirzel. Der Effekt wird sein: Zwischen dem inzwischen abgerissenen Pavillon und der Passerelle zur U-Bahn entsteht durch den Abriss eine breite Sichtachse.
Ein Monstrum aus Beton: 38 Meter lang, 700 Tonnen schwer, vier Monate Abriss
Auf einem Schwarz-Weiß-Foto aus den frühen 1970er-Jahren, das den Willy-Brandt-Platz während des U-Bahnbaus zeigt, ist der freigelegte Posttunnel gut zu erkennen. Seine Oberkante liegt nur gut einen Meter unter dem mit Betonplatten ausgelegten Platz. Unter der Tunnel-Unterseite sind die fünf U-Bahn-Röhren erkennbar. Aus der Sicht des Statikers betrachtet, handelt es sich bei der Röhre des Posttunnels um ein Brückenbauwerk, das auf einem Pylon ruht, den sie zwischen die beiden östlichen U-Bahnröhren eingezogen haben. Die Betonmischer, die durch die riesige Baugrube fahren, wirken auf dem Foto so klein wie Spielzeugautos von Matchbox.
Zurück zu den Zahlen: Der Polier schätzt das Gesamtgewicht des Tunnel-Teilstücks, das nun in einem monatelangen Kraftakt herausoperiert werden muss, auf gut 700 Tonnen. „Wir werden für den Rückbau circa vier Monate benötigen.“ Die einzelnen Blöcke, die von der Fachfirma Karabalta für Beton-, Bohr -und Sägetechnik herausgeschnitten werden, wiegen zwischen 600 und 700 Kilogramm. Vorarbeiter Mustafa Kanbur zeigt stolz die Blätter der scharfen Stahlbeton-Säge, die sie beim Abriss einspannen. Die 1000er-Scheibe nehmen sie für den Posttunnel, die 1600er für die noch gewaltigere darüber liegende Trogplatte. 1000er-Scheibe – das bedeutet 1000 Millimeter Durchmesser (gleich 1 Meter).
Der Beton ließe sich rein theoretisch auch Stück für Stück wegstemmen. „Doch aus Rücksicht auf die U-Bahnröhren darunter müssen wir erschütterungsarm zurückbauen und deshalb schneiden“, erklärt der Polier. An der Unterseite des Posttunnels lässt sich der Abbau-Fortschritt besichtigen. Denn in ihr klafft bereits eine acht mal drei Meter große Öffnung. Jeder herausgeschnittene Block ist über den freigelegten Teil des Willy-Brandt-Platzes per Kran in den Abbruch-Container gehievt worden. Hinzu kommen zahlreiche zylindrige Betonkerne.
Wo die Kaufhof-Kunden früher das Basement in Richtung Passerelle verließen, haben sich große Pfützen aus Schneidewasser gebildet, das die Scheiben der Betonsäge heruntergekühlt hat. Mit dem feinen Betonstaub vermischt sich das Schneidewasser zu hellem Schlamm.
Der Abriss des Posttunnels erfolgt nach den präzisen Vorgaben der Abbruchstatik, damit bloß keine Instabilität entsteht. Und es geht gut voran. „Der Tunnel ist schon so löcherig wie ein Schweizer Käse“, lacht Uwe Hirzel.