Düsseldorf/Bonn. Qualität und Unabhängigkeit dreier von Experten- Gutachten wird in einem Medienbericht angezweifelt. Grüne Jugend fordert Kosequenzen.
Zum Bundesparteitag der Grünen an diesem Wochenende in Bonn spitzt sich der Streit um den Erhalt von Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier zu. Ein Bericht des „Spiegel“ über angebliche Mängel in Gutachten, auf die sich Landesregierung und RWE bei ihrer Entscheidung, die Ortschaft abzubaggern, stützen, überschattet das Treffen. Gleichzeitig drohen Klimaschutz-Aktivisten vom Bündnis „Ende Gelände“: „Wer Lützerath angreift, wird einen hohen Preis zahlen.“
Wie gut sind die Gutachten?
Der Bericht nährt Zweifel an der Qualität von drei Gutachten aus Aachener Büros. Sie seien unter hohem Zeitdruck entstanden, in einem Fall sogar in nur zwölf Tagen. Zweitens hätten sich die Experten in hohem Maß auf Daten des Unternehmens RWE verlassen, das ein Interesse an der Kohleförderung hat. Schließlich gehe aus den Gutachten nicht zweifelsfrei hervor, dass diese Kohle benötigt werde.
Anfang Oktober hatten Bundesklimaschutzminister Robert Habeck und NRW-Klimaschutzministerin Mona Neubaur (beide Grüne) eine Vereinbarung mit RWE vorgestellt: Der Kohleabbau in NRW soll demnach schon 2030 und damit acht Jahre früher als bisher geplant enden. Mehrere Dörfer in der Nähe des Tagebaus im Rheinischen Revier sollen erhalten bleiben, Lützerath aber nicht.
RWE hat das Recht auf seiner Seite
Neubauer bezog sich dabei auf die genannten Gutachten, denen zufolge eine Insellage dieses Ortes in dem Tagebau nicht zu rechtfertigen sei. Juristisch ist RWE bei seinen Plänen, Lützerath abzubaggern, auf der sicheren Seite, und die Bewohner wurden längst entschädigt.
Die Grüne Jugend sieht sich durch die Enthüllungen bestätigt und beantragt auf dem Parteitag ein „Räumungs-Moratorium“ für Lützerath in diesem Winter. „Wir haben schon vorher kritisiert, dass die Gutachten übereilt geschrieben wurden und dass die Autoren weitgehend auf RWE-Daten angewiesen waren. Man hätte eigene Zahlen heranziehen müssen, und wenn das länger dauert, dann muss man sich diese Zeit auch nehmen. Ein Problem wäre das nicht, denn die Kohle unter Lützerath wird nicht in den nächsten drei, vier Monaten benötigt“, sagte Nicola Dichant, NRW-Vorsitzende der Grünen Jugend, dieser Redaktion. „Ein Räumungs-Moratorium würde Zeit verschaffen, um ein neues Gutachten in Auftrag zu geben, die Daten von RWE zu checken und zu ermitteln, ob man die Kohle unter Lützerath noch benötigt“, so Dichant.
Klimaschützer argumentieren mit anderen Gutachten
Fridays for Future-Sprecherin Linda Kastrup warf der Landesregierung am Freitag einen „intransparenten Deal“ mit RWE vor. Sie kündigte Proteste zum Grünen-Parteitag an. Klimaaktivisten stützen sich ihrerseits auf Gutachten des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung und zweier Universitäten, denen zufolge die geplante Fördermenge in Tagebau Garzweiler 2 die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad gefährde und die Kohle unter Lützerath nicht für die Versorgungssicherheit benötigt werde.
Kritik von der Opposition aus SPD und FDP
Die Kritik an der Lützerath-Entscheidung wird auch in der Landtags-Opposition immer lauter.
FDP-Landtagsfraktionschef Henning Höne stellte am Freitag in einer Mitteilung die Entscheidung, früher aus der Kohleverstromung auszusteigen, grundsätzlich in Frage: „Die Ausstiegsvereinbarung für 2030 ist ohne Information des Parlaments voreilig und ohne vollständige Kenntnis der Sachlage von der Landesregierung verkündet worden. Erste Berechnungen weisen zudem darauf hin, dass der vorgezogene Ausstieg auch keine nennenswerte Verbesserung beim Klimaschutz bringt. Kaum Mehrwert für das Klima, dafür große Sorgen bei der Versorgungssicherheit. Das ist ein schlechter Deal für Wirtschaft, Industrie und Arbeitsplätze in unserem Land."
Bei so vielen Ungewissheiten hätte sich die Landesregierung noch nicht abschließend festlegen dürfen, meint Höne. Es scheine so, als wolle sich Klimaschutzministerin Neubaur "als Messias für den Ausstieg 2030 ins rechte Licht rücken, ohne aber gegebene Versprechen halten zu können". Höne spricht von schwarz-grüner "Hinterzimmerpolitik".
Auch die SPD wirft Schwarz-Grün undurchsichtige Entscheidungen vor. „Die Landesregierung hat diese Vereinbarung ohne Einbeziehung des Landtages und ohne Einbeziehung der Kommunen vor Ort und der Gewerkschaften getroffen"
kritisierte Lena Teschlade, Beauftragte der SPD-Fraktion für den Strukturwandel im Rheinischen Revier. Bürgermeister und Landräte hätten den Eindruck, sie dürften nur am "Katzentisch" sitzen.